Erklärung

„Der türkische Staat ist kein geeignetes Schutzobjekt“

Die Bürgerrechtsorganisationen Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V., RAV und der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen e.V. (VDJ) erklären zum Beginn des Prozesses gegen zehn türkische Linke vor dem OLG München:  „Der türkische Staat ist kein geeignetes Schutzobjekt“.

Am 17. Juni 2016 beginnt vor dem Oberlandesgericht München der größte Staatsschutzprozess in Deutschland seit Ende der 1980er Jahre. Angeklagt sind zehn türkische und kurdische Kommunist_innen, denen vorgeworfen wird, das sogenannte Auslandskomitee der maoistischen TKP/ML (Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten) gebildet zu haben. Ihnen wird die Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung nach § 129b StGB vorgeworfen, der einen Strafrahmen von einem Jahr bis zehn Jahren Haft vorsieht.

Die 1972 in der Türkei gegründete TKP/ML ist laut Angaben des Verfassungsschutzes in Deutschland nur politisch aktiv. Laut der Anklageschrift soll sie dort auch eine bewaffnete Organisation – die TIKKO – unterhalten, der diverse Anschläge, unter anderem gegen Angehörige der Polizei und des türkischen Militärs, vorgeworfen werden. Sie ist weder in Deutschland noch in anderen europäischen Staaten verboten und auf keiner der nationalen und internationalen Terror-Listen - außer in der Türkei - als Organisation aufgeführt.

Wie auch beim § 129 a StGB (Mitgliedschaft in einer inländischen terroristischen Vereinigung) bedarf es beim § 129b StGB nicht der Begehung konkreter Straftaten, um deswegen angeklagt zu werden. Eine mitgliedschaftliche Betätigung für die Organisation reicht aus. Auch den hier Angeklagten wird keine konkrete Straftat vorgeworfen. Für die strafrechtliche Verfolgung einer ausländischen Organisation gemäß § 129b StGB bedarf es einer sogenannten Verfolgungs- ermächtigung, die durch das Bundesministerium für Justiz erteilt wird – ähnlich wie es beim Verfahren gegen Jan Böhmermann der Fall war. Nach der Gesetzesbegründung sollen bei der Entscheidung, ob eine Verfolgungsermächtigung erteilt wird oder nicht, die außenpoli- tischen Interessen Deutschlands berücksichtigt werden. Das Ministerium soll dabei weiter in Betracht ziehen, ob die Bestrebungen der Vereinigung gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet und insgesamt als verwerflich anzusehen sind.

Nach unserer Ansicht ist der türkische Staat in seiner derzeitigen Verfassung keine die Würde des Menschen achtende staatliche Ordnung. Es ist bekannt, dass die Republik Türkei seit mehreren Jahren in vielfältiger Art und Weise die terroristische Vereinigung „Islamischer Staat“ unterstützt, u. a. durch die Lieferung von Waffen, durch unentgeltliche Behandlung verletzter IS-Kämpfer, durch Zurverfügungstellen türkischen Staatsgebietes für Angriffe des IS auf die kurdischen Gebiete in Syrien sowie durch bis in das Jahr 2016 andauernde Geschäftsbeziehungen. Diese Unterstützung stellt einen Verstoß gegen Völkerrecht dar, u. a. gegen bindende Resolutionen des UN-Sicherheitsrates.  Gleichzeitig hat der türkische Staat im letzten Jahr die Angriffe gegen kurdische Städte und Dörfer intensiviert, die zu immensen Zerstörungen und zu vielen Hunderten von Opfern unter der Zivilbevölkerung geführt haben. Journalisten, die kritisch berichten, werden zu langjährigen  Haftstrafen verurteilt, wie auch andere Kritiker_innen, denen Beleidigung des türkischen Präsidenten Erdogan vorgeworfen wird. Vor einigen Wochen wurde die Immunität von mehr als einem Viertel der Abgeordneten des türkischen Parlamentes aufgehoben, wodurch vor allem die Parlamentarier der prokurdischen und linken Partei HDP betroffen sind, die nun mit einer Strafverfolgung zu rechnen haben. Vor diesem Hintergrund sehen wir die Grundlagen für eine Verfolgung von türkischen und kurdischen Organisationen in Deutschland als nicht gegeben an.

Während in Deutschland fast täglich von Nazis und Rassist_innen Anschläge auf unbewohnte und bewohnte Flüchtlingsunterkünfte, die in den meisten Fällen unaufgeklärt bleiben, verübt werden, führt die Bundesanwaltschaft mit einem enormen Aufwand ein Verfahren gegen die zehn Angeklagten. Gleichzeitig werden derzeit so viele Verfahren gegen Kurden geführt, denen vorgeworfen wird, Kader der PKK zu sein, wie schon seit Jahren nicht mehr.

Die deutsche Strafjustiz macht sich damit zum Erfüllungsgehilfen von Erdogan und der AKP. Solange der türkische Staat permanent und systematisch nationales und internationales Recht bricht und die Menschenrechte mit Füßen tritt ist die türkische Staatsräson kein Schutzobjekt des deutschen Strafrechts.

Die Erklärung als pdf:

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Bei Presserückfragen wenden Sie sich an: Dr. Andreas Engelmann, Bundessekretär der VDJ, Tel.: 06971163438, E-Mail: bundessekretaer@vdj.de
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