Erklärung von Internationaler Liga und VDJ zum NPD Verbotsantrag
Die Internationale Liga für Menschenrechte und die Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen haben in einer gemeinsamen Erklärung vom 08.04.2013 gegen den Antrag der Bundesländer zur Einleitung eines NPD Verbotsverfahrens erhebliche verfassungsrechtliche und rechtspolitische Bedenken formuliert.
1. Der Kampf gegen die NPD und den Rassismus ist und bleibt aktuell
Schon seit Jahrzehnten fordern insbesondere antifaschistische Organisationen und Gewerkschaften ein Verbot der NPD, lange bevor der NSU-Terror bekannt wurde. Die Programmatik der NPD, ihre konkrete Politik, zahllose Gewaltakte, Bedrohungen und Morde durch „Rechtsextreme“ waren dafür ausschlaggebend. Der Verfassungsschutzbericht nennt für 2011 über 16.000 Straftaten mit „rechtsextremistischem“ Hintergrund, darunter über 750 Gewalttaten, überwiegend Körperverletzungen und Brandstiftungen. Diese Gewalttaten richten sich in erster Linie gegen MitbürgerInnen, die selbst oder deren Familie aus anderen Ländern eingewandert sind, aber auch gegen politische Gegner der Rechtsextremen und gegen jüdische und muslimische MitbürgerInnen.
Viele BürgerInnen fühlen sich schon durch das aggressive Auftreten der NPD und der mit ihnen in Verbindung stehenden Kameradschaften und anderen Organisationen wie z.B. die „Autonomen Nationalisten“ bedroht, in ihren demokratischen Rechten eingeschränkt und unzureichend durch die Sicherheitsbehörden geschützt – demgegenüber werden Versuche, neonazistische Aufmärsche durch Blockaden u.ä. zu verhindern, immer wieder mit massiven Polizeieinsätzen durchkreuzt und z.T. kriminalisiert (Dresden u.a.).
Der Eindruck einer Verharmlosung oder gar Unterstützung neonazistischer Aktivitäten wird noch verstärkt durch die häufig anzutreffende Leugnung des rassistischen Hintergrundes von Gewalttaten sowohl durch Polizeibehörden, Staatsanwaltschaften und auch durch Gerichte. Dieses Versagen der staatlichen Stellen beim Schutz der BürgerInnen und der Demokratie ist im Zusammenhang mit der NSU-Mordserie besonders offenkundig geworden, und von vielen sogar als Komplizenschaft wahrgenommen worden. Das Scheitern der Polizei und der Geheimdienste bei der Verhinderung und Aufklärung dieser Verbrechen und ihrer Vorbereitung müsste zwingend zu der Erkenntnis führen, dass die „Verfassungsschutzbehörden“ von Genese und Ausrichtung ungeeignete Institutionen für die ihnen übertragenen Aufgaben sind. Daraus müssten umgehend die notwendigen Konsequenzen gezogen werden.
2. Die verfassungsrechtliche Problematik eines Parteiverbotsverfahrens ist zu beachten
Nunmehr haben sich alle MinisterpräsidentInnen der Länder – mit Ausnahme von Hessen – für ein erneutes Verbotsverfahren gegen die NPD ausgesprochen, ebenso wie die Mehrheit des Bundesrates. Die Entscheidung des Bundestages steht noch aus, dürfte aber gegen die Stellung eines eigenen Antrags ausgehen. Auch die Bundesregierung hat sich mittlerweile entsprechend positioniert. Unterschiedlich beurteilt werden auch die Aussichten eines Verbotsverfahrens bzw. die Risiken, die damit verbunden sind.
In unguter Erinnerung sind noch die Hintergründe und Gründe des gescheiterten Verbotsverfahren 2003.
Das Grundgesetz erklärt in Art. 21 Abs. 2 Satz 1 Parteien für verfassungswidrig, „die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden“. Ob das der Fall ist, ist vom Bundesverfassungsgericht zu entscheiden. Das Grundgesetz schreibt nicht zwingend vor, dass ein Verbotsverfahren durchgeführt werden muss, sondern überlässt diese Entscheidung den Antragsberechtigten, also dem Bundestag, dem Bundesrat oder der Bundesregierung. Es liegt derzeitig in der Verantwortung der Polizeibehörden und insbesondere der Geheimdienste für die möglichen Antragsteller die vorliegenden Erkenntnisse über die NPD so aufzubereiten, dass sie beurteilen können, ob ein Verbotsverfahren Aussichten auf Erfolg hat. Dazu gehört es nach dem Scheitern von 2003 auch, eventuelle Verfahrenshindernisse mitzuteilen.
Die in Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG genannten Voraussetzungen für ein Parteiverbot sind äußerst unbestimmt. Weder das Grundgesetz noch andere Gesetze enthalten hierfür eine Definition. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat sich unter anderem im Zusammenhang mit dem umstrittenen KPD-Verbotsverfahren damit beschäftigen müssen und für die „freiheitliche demokratische Grundordnung“ folgende Grundprinzipien aufgestellt:
„Eine freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Art. 21 II GG ist eine Ordnung, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.“
Für ein Parteiverbot ist nach der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden, vom Grundgesetz geschützten Ordnung erforderlich. Zu Recht hat jetzt das BVerfG auf seiner Jahrespressekonferenz die Frage aufgeworfen, ob die Anforderungen an ein Parteiverbot heute nicht andere, wahrscheinlich höhere, seien als zur Zeit von SRP- und KPD-Verbot in den 1950er Jahren; und es hat die besonderen Anforderungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte betont, die berücksichtigen, dass es in anderen westeuropäischen Demokratien vergleichbare Möglichkeiten, Parteien zu verbieten, nicht gibt.
Zum Kernbereich der im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte gehören insbesondere die Menschenwürde (Art. 1), das Persönlichkeitsrecht, das Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit (Art. 2), die Gleichheit vor dem Gesetz, das Verbot der Benachteiligung aus Gründen der Abstammung, Herkunft, Sprache, Religion (Art. 3). Die aus vielfältigen Quellen bekannten programmatischen Aussagen, Erklärungen und Aktivitäten der NPD und ihrer Anhänger, lassen zweifelsfrei erkennen, dass die NPD diese Grundrechte auf grobe Weise missachtet und bekämpft. Ein Verbotsverfahren gegen die NPD erscheint vor diesem Hintergrund nicht aussichtslos, bedarf aber sorgfältiger Begründung. Es wird auch der Nachweis zu erbringen sein, dass die NPD aggressiv-kämpferisch darauf zielt, die „freiheitliche demokratische Grundordnung“ zu beseitigen oder zu beeinträchtigen oder dass so genannte national befreite Zonen der Partei zuzurechnen sind. Darüber hinaus müsste die NPD auch das reale Potential für eine unmittelbare Gefahr für Demokratie und Verfassung haben, was angesichts schwindender Wählerstimmen und Mitgliederzahlen sowie angesichts ihrer Finanzschwäche mehr als zweifelhaft sein dürfte.
Die Erfolgsaussichten hängen einerseits von der Fakten- bzw. Beweislage ab, andererseits von der Würdigung dieser Beweise durch das Bundesverfassungsgericht. Eine wesentliche Rolle wird weiterhin die Verwertbarkeit von Fakten bzw. Beweisen aufgrund des Einsatzes von V-Leuten des „Verfassungsschutzes“ spielen.
3. Das Problem heißt Rassismus und wird durch ein NPD-Verbot nicht gelöst
Neben diesen rechtlichen Aspekten ist zu berücksichtigen, dass die rassistischen, fremdenfeindlichen, antisemitischen und demokratiefeindlichen Gefahren nicht nur von der NPD und den mit ihr kooperierenden Organisationen ausgehen. Entsprechende Einstellungen sind bis weit in der Mitte der Gesellschaft, auch bei den WählerInnen und Mitgliedern der Parteien des Bundestages oder in den Gewerkschaften vorhanden. Ein Zurückdrängen dieses menschenverachtenden Gedankengutes setzt insbesondere eine aktive Auseinandersetzung voraus, die an die Ursachen herangeht und so den Zustrom zu allen rassistischen Gruppen eindämmt.
Hinzu kommt ein institutioneller Rassismus in staatlichen Behörden, der auch auf Rechtsvorschriften und von ihnen ausgehenden Maßnahmen beruht, besonders ausgeprägt im vielfach ausgrenzenden und diskriminierenden Ausländer- und Asylrecht, in Teilen des Strafrechts (so genanntes „Feindstrafrecht“ gegenüber mutmaßlichen Terroristen u.a.), Vorschriften des Arbeits- und Sozialrechts und vielen Maßnahmen auf Verwaltungsebene sowie im Polizeialltag, hier vor allem gegenüber schwarzen Menschen und People of Color („Ethnic/Racial Profiling“, zu übersetzen als „rassistische Rasterung“) und auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt. Dieser institutionelle und staatliche Rassismus verstärkt den alltäglichen Rassismus in der Mitte der Gesellschaft.
PolitikerInnen und Mainstream-Massenmedien versuchen, die erwähnten Gewalttaten als Ausnahmefälle von „Rechtsextremisten“ hinzustellen, und verorten die „Hauptgefahr für die innere Sicherheit“ Deutschlands im „Islamismus“. Dadurch wird der Blick dafür verstellt, dass neonazistische Morde, Anschläge und Überfälle einerseits und Rassismus und Rechtspopulismus andererseits nur zwei Seiten einer Medaille sind. Institutioneller und Alltagsrassismus - insbesondere der antisemitische, antiziganistische und antimuslimische Rassismus - bilden den geistigen Nährboden, der unter bestimmten Bedingungen in manifeste Pogrome umschlagen kann.
Es ist also ein umfassendes systematisches Gesamtkonzept zur Bekämpfung des Rassismus erforderlich, das - neben zivilgesellschaftlichem Engagement - es auch als staatliche Aufgabe begreift, mit aller Entschiedenheit den Rassismus mit all seinen Auswirkungen effektiv und nachdrücklich zu bekämpfen und durch Aufklärung und Förderung von Zivilcourage dagegen anzugehen.
4. Konsequenzen
Das spricht zwar nicht grundsätzlich gegen ein NPD-Verbotsverfahren. Ein solches Verbotsverfahren darf jedoch keinen Vorwand liefern für Untätigkeit bei der notwendigen, breit angelegten Bekämpfung von Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus.
Wir fordern daher im Zusammenhang mit einem eventuellen Verbotsverfahren gegen die NPD
- eine gründliche und kritische Auswertung des vorliegenden belastenden Materials gegen die NPD bezüglich der Erfolgsaussichten eines Verbotsverfahrens. In diesem Zusammenhang sind auch Verwertungshemmnisse wegen des Einsatzes von V-Leuten und der indirekten Finanzierung von Aktivitäten der NPD zu berücksichtigen. Ein solches Verfahren darf kein Schnellschuss sein, mit dem Politiker ihren WählerInnen eine Problemlösung vorgaukeln; <o:p></o:p>
- eine sorgfältige Darstellung der Verantwortlichkeit der NPD für Gewaltdelikte und so genannte national befreite Zonen;<o:p></o:p>
- eine strikte Orientierung an rechtsstaatlichen Grundsätzen, die nicht geleitet ist von politischen, partei- und wahlkampftaktischen Überlegungen.
Unabhängig von dem konkreten Verbotsverfahren halten wir es für erforderlich, in das Grundgesetz eine Regelung aufzunehmen, wonach die Verbreitung rassistischen, fremdenfeindlichen und antidemokratischen Gedankengutes verfassungswidrig ist und dass sich Bund und Länder daher aktiv in ihren Zuständigkeitsbereichen gegen die Verbreitung faschistischer Ideologie engagieren und zivilgesellschaftliche antifaschistische Initiativen unterstützen, statt diese zu bekämpfen. Die Bekämpfung aller neonazistischen Aktivitäten und Organisationen sowie des institutionellen Rassismus und des Alltagsrassismus und ihrer Ursachen ist die vorrangige Aufgabe.
Internationale Liga für Menschenrechte
http://ilmr.de/
Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen e.V.
http://www.vdj.de