Erklärung

Faire Asylverfahren statt Ausverkauf rechtsstaatlicher Prinzipien

Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte protestieren gegen die geplante weitere rechtswidrige Asylrechtsverschärfung

Am 01.02.2016 hat die Bundesregierung einen Gesetzesentwurf zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vorgelegt, der am 19.02.2016 im Bundestag zur ersten Lesung ansteht. Dieser Entwurf ist neben dem Gesetzentwurf zur Einstufung weiterer Staaten als sichere Herkunftsstaaten (Algerien, Marokko, Tunesien) Teil des sogenannten Asylpakets II.

Wir protestieren als Anwältinnen und Anwälte auf das Schärfste gegen den aktuellen Gesetzesentwurf und fordern die Abgeordneten auf, dagegen zu stimmen. Seit Jahren und Jahrzehnten bearbeiten wir Mandate im Bereich des Aufenthalts- und Asylrechts. Der Gesetzgeber gibt aber mit dem nunmehr vorgelegten skandalösen Gesetzesentwurf einen Rahmen vor, in dem wir als Anwältinnen und Anwälte nicht mehr die Rechte unserer Mandantinnen und Mandanten vertreten können.

Dieser Gesetzesentwurf stellt einen traurigen Höhepunkt in einer verheerenden Rechtsentwicklung dar und ist endgültig nicht mehr rechtsstaatlich zu verantworten.

Fundamentaler Angriff auf die Rechtskultur, massive Entrechtung unserer Mandantinnen und Mandanten

Das Asylpaket I vom Herbst letzten Jahres und das nun zur Verabschiedung anstehende Asylpaket II sind ein fundamentaler Angriff auf die Rechtskultur dieses Landes. Anhörungsrechte im parlamentarischen Verfahren werden bis zur Unkenntlichkeit verkürzt. Eine sachliche Auseinandersetzung und Diskussion wird unmöglich. Bereits Ende Februar soll das Gesetz verabschiedet werden.

Weder das Asylpaket I noch das Asylpaket II führen zur einer Beschleunigung der Asylverfahren, ihrem angeblichen Hauptzweck. Dabei wäre eine Beschleunigung des Asylverfahrens dringend notwendig. Beide Asylpakete beschränken sich im wesentlichen auf Symbolpolitik. Eine Symbolpolitik, die allerdings verheerende Auswirkungen hat. Das Asylpaket I hatte Ende 2015 die gerade erst Anfang 2015 erheblich gelockerte Residenzpflicht wieder massiv ausgeweitet. Es folgte die Wiedereinführung des Sachleistungsprinzips. Bereits in den 1990iger Jahre wurde versucht, über Leistungskürzungen und Sachleistung statt Geldleistung Flüchtlinge zur Rückkehr zu nötigen. Das sogenannte „Aushungern“ funktionierte schon damals nicht und ist absolut unwürdig! Es fliehen Menschen vor lebensbedrohlichen Lagen, sie gehen nicht in diese Situationen zurück, weil man an ihren Leistungen spart. Die teilweise Wiedereinführung der Residenzpflicht und die Kürzungen von Sozialleistungen wird zu unzähligen Rechtsstreitigkeiten führen, von denen wir dachten, dass sie endgültig der Vergangenheit angehören würden. Künftig werden wir jede einzelne Verlassenserlaubnis, jede einzelne Windel und auch jeden Arztbesuch unserer Mandanten per Gericht durchsetzen müssen.

Der aktuelle Gesetzesentwurf verstößt sehenden Auges gegen verbindliche internationale Verträge und gegen höherrangiges europäisches Recht und führt zu massiver Entrechtung unserer Mandantinnen und Mandanten.

Noch zum 01.08.2015 in Kraft getretene Verbesserungen wie z.B. im Familiennachzug, nämlich die überfällige Angleichung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten an den Familiennachzug zu Personen, denen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde, werden nun nicht nur rückgängig gemacht, sondern noch massiv verschärft.

Die wesentlichen Inhalte des Gesetzes sind:

1.    "beschleunigte Asylverfahren". Für dieses neu eingeführte Verfahren ist eine Prüfungs- Rechtsmittel- und gerichtliche Entscheidungsfrist von jeweils nur einer Woche vorgesehen. Die Anhörungen sollen direkt in der Aufnahmeeinrichtung stattfinden.

Anwaltliche Vertretung wird auf Grund der Kürze der Fristen und vor allem der praktischen Unmöglichkeit die Aufnahmeeinrichtung überhaupt zu verlassen und Anwälte zu kontaktieren, in der Regel nicht gegeben sein. Zugleich werden die Gruppen, die von diesem beschleunigten Verfahren betroffen sind, willkürlich ausgeweitet und betreffen potentiell jeden Flüchtling, egal ob er aus Syrien, Eritrea oder Somalia kommt.

Das BVerfG hat festgestellt, dass das Asylrecht in besonderer Weise ein verfahrensabhängiges Recht ist. Ein entsprechend dem Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz gestaltetes beschleunigtes Asylverfahren nimmt den Betroffenen ihr Recht auf ein faires und unabhängiges Verfahren und ist zu streichen.

2.    „Abschiebung trotz erheblicher Gesundheitsgefahren“. Fachärztliche Atteste, die Mandanten vorlegen und die nachvollziehbar anhand gerichtlich vorgegebener Kriterien schwerste Gesundheitsgefährdungen belegen, sollen per Gesetz unbeachtlich sein u.a. mit der Begründung, sie seien „zu spät“ vorgelegt worden.

Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) hat 2015 festgestellt, dass mindestens die Hälfte der Flüchtlinge in Deutschland psychisch krank ist. Meistens leiden sie unter einer posttraumatischen Belastungsstörung (40 bis 50 Prozent) oder unter einer Depression (50 Prozent). Beide Erkrankungen kommen häufig gemeinsam vor. Flüchtlinge, die an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) erkranken, sind oft suizidal. 40 Prozent von ihnen hatten bereits Pläne, sich das Leben zu nehmen oder haben sogar schon versucht, sich zu töten. Auch bei Flüchtlingskindern in Deutschland sind Erkrankungen aufgrund traumatischer Erlebnisse besonders häufig. Jedes fünfte von ihnen ist an einer PTBS erkrankt.[1] In ihrer Stellungnahme stellt die Bundespsychotherapeutenkammer fest: „Die geplanten Regelungen diskriminieren gezielt psychisch kranke Menschen.“[2]

Flüchtlinge stehen vor vielen Hürden, bis es ihnen gelingt, die richtigen Ärzte/Therapeuten gefunden und das Sozialamt von einer Kostenübernahme überzeugt zu haben. Dies gilt insbesondere, als sie in den „besonderen Aufnahmeeinrichtungen“ oft isoliert sind und keinen raschen Zugang zu Informationen haben. Anerkannte Therapieeinrichtungen für Flüchtlinge verfügen oft über Wartezeiten von mehreren Monaten. Zusätzliche Fristen im Gesetz einzubauen ist vor diesem Hintergrund perfide.

Die Berücksichtigung von krankheitsbedingten Gefahren und der Gefahr des Suizids sowie die Verpflichtung des Schutzes von Leib und Leben auch der Geflüchteten folgt unmittelbar aus der Verfassung (Art 2 Abs. 2 GG). Dieses Schutzgebot darf nicht durch unhaltbare Verfahrensregeln ausgehöhlt werden.

Die Regelung ist zu streichen; lebensbedrohliche und schwerwiegende Erkrankungen sind stets in fairen Verfahren zu berücksichtigen.

3.   „Aussetzung Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten für zwei Jahre“. Dies entbehrt jeglichen sachlichen Grundes, ist unmenschlich und offensichtlich rechtswidrig. Menschen, die nachweislich wegen Lebensgefahr nicht in ihre Heimat zurück können, wird das Leben mit ihrer Kernfamilie verweigert. Da der Bundesregierung bekannt ist, dass Schutzberechtigten der Nachzug der Familie nicht dauerhaft verweigert werden kann, soll der Nachzug für zwei Jahre „ausgesetzt“ werden. Dies hat allein desintegrierende Wirkung. Es ist nicht nachvollziehbar, dass politisch über die soziale Sprengkraft diskutiert wird, die angeblich von alleinstehenden Flüchtlingen ausgehen soll und man gleichzeitig diesen Personen die Möglichkeit, mit der Kernfamilie zusammen zu leben, erst geben will, wenn sie zwei Jahre allein gelebt haben. Begründet wird dies mit der Begrenzung des Zuzugs. Ein Blick auf die Zahlen zeigt, dass es sich hier um reine Symbolpolitik handelt, die für die Betroffenen katastrophale Auswirkungen hat und direkt zu mehr Klagen bei den Verwaltungsgerichten führen wird. 1708 Afghanen hat das Bundesamt 2015 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, 325 haben den subsidiären Schutz erhalten. 14.510 Iraker erhielten die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, 289 den subsidiären Schutzstatus. Insgesamt stehen 137.136 Personen mit Flüchtlingseigenschaft 1707 Personen mit subsidiärem Schutzstatus gegenüber.[3] Die Regelung stellt nicht nur keine Asylverfahrensbeschleunigung dar, sie ist integrationspolitischer Unsinn und ein nicht gerechtfertigter Eingriff in Art. 6 des Grundgesetzes, Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie der UN-Kinderrechtskonvention.

Darüber hinaus ist auf folgendes hinzuweisen:

Die mit einer gemeinsamen Presseerklärung des BMI und des BMJV vom 12.01.2016 angekündigte Ausweitung der Ausweisungsmöglichkeiten durch fast uferlose Ausdehnung des Ausweisungsinteresses ist unverhältnismäßig, zur Gefahrenabwehr nicht notwendig und wird in der Praxis verheerende integrationspolitisch absolut unerwünschte und kontraproduktive Ergebnisse haben. Der Bundesregierung ist bekannt, dass im Bereich des Flüchtlingsrechtes die Ausweisung eben nicht zur Abschiebung führt, wenn im Herkunftsstaat die Gefahr von menschenrechtswidriger Behandlung, von Folter oder Gefahren für Leib und Leben bestehen. Die Absicht, Frauen und Männer gut vor sexuellen Übergriffen zu schützen, begrüßen wir. Mit dieser Begründung das Ausweisungsrecht zu verschärfen, ist ineffektiv, integrationspolitisch verfehlt und populistisch.

Insgesamt ist der Gesetzesentwurf ein entschieden abzulehnender Versuch, immer mehr Sondervorschriften, Sonderbehandlungen und auch Rechtsausschlüsse für willkürlich gewählte Flüchtlingsgruppen zu etablieren.

Der Ausschuss Ausländer- und Asylrecht des Deutschen Anwaltsvereins hat ausführlich die bestehenden Umsetzungsdefizite in Hinblick auf geltendes europäisches Recht in Deutschland dokumentiert.[4]

Wir fordern die Bundesregierung auf,

die Vorgaben der Asylverfahrensrichtlinie, der Europäischen Grundrechtecharta und der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie internationaler Menschenrechtsabkommen einzuhalten und umzusetzen.

Dies bedeutet insbesondere:

umgehende Registrierung von Asylanträgen; menschenwürdige Unterbringung und Zugang zu Sozialleistungen; effektive Umsetzung der besonderen staatlichen Schutzpflichten für Minderjährige und besonders Schutzbedürftige.

Wir haben uns als Anwältinnen und Anwälte schon im Dezember 2015 veranlasst gesehen, eine Kundgebung vor der SPD Zentrale am Oberanger in München abzuhalten. Wir haben für unsere Aktion breite Unterstützung erhalten, insbesondere von verschiedenen Therapeuten- und Ärzteorganisationen, IppNW, Refugio München e.V., Pro Asyl u.a.

Rechtsanwalt Thomas Moritz

Rechtsanwältin Annette Jansen

Rechtsanwältin Magdalena Holtkötter

Rechtsanwältin Julia Kraft

Rechtsanwältin Imeke der Weldige

Rechtsanwältin Berenice Böhlo

Rechtsanwalt Conrad Zimmer a.D.

und weitere 170 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten

Unterstützende Organisationen: Arbeitskreis kritischer Juristinnen und Juristen an der HU Berlin (akj-berlin), Verein Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges - Ärzte in sozialer Verantwortung  (IPPNW), Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV), Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ), Neue Richtervereinigung (NRV), XENION, Psychosoziale Hilfen für politisch Verfolgte e.V.

Wir rufen alle Kolleginnen und Kollegen auf, die vorstehende Berliner Erklärung mitzuzeichnen und die Unterstützungserklärung an kontakt@rav.de zu richten!

Es finden bundesweit Protestkundgebungen statt, zu denen wir ebenfalls aufrufen:

  • Berlin, 18.02.2016 um 13:00 Uhr Kundgebung am Verwaltungsgericht Berlin, Kirchstr. 7;
  • Bremen, 18.02.2016 um 11:30 Uhr vor dem Parteibüro der SPD in der Obernstr. 39;
  • Hamburg, 18.02.2016 um 13:00 Uhr Kundgebung am Rathausvorplatz mit anschließender Pressekonferenz;
  • Köln, 18.02.2016 um 12 Uhr Kundgebung vor der SPD Zentrale, Magnusstraße 18;
  • München, 18.02.2016 von 13.00 Uhr bis ca. 14.00 Uhr Kundgebung vor der SPD, Oberanger 38

[1]              www.bptk.de/aktuell/einzelseite/artikel/mindestens-d.html

[2]              www.bptk.de/uploads/media/20160203_2016-02-01_STN_BPtK_Einfuehrung_beschleunigter_Asylverfahren.pdf

[3]              https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Downloads/Infothek/Statistik/Asyl/201512-statistik-anlage-asyl-geschaeftsbericht.pdf?__blob=publicationFil

[4]              anwaltverein.de/de/newsroom/sn-48-15-initiativstellungnahme-zur-umsetzung-der-verfahrensrichtlinie

Bei Presserückfragen wenden Sie sich an: Dr. Andreas Engelmann, Bundessekretär der VDJ, Tel.: 06971163438, E-Mail: bundessekretaer@vdj.de
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