Justizkreise torpedieren Versöhnung in Honduras
Vor einigen Wochen kamen gute Nachrichten aus Honduras. José Manuel Zelaya Rosales, der gestürzte Präsident, kehrte aus dem Exil zurück und wurde von einer begeisterten Menschenmenge empfangen. Basis für die Rückkehr ist das vom derzeitigen honduranischen Präsidenten, Porfirio Lobo Sosa, und Zelaya abgeschlossene “Abkommen zur nationalen Versöhnung und Konsolidierung des demokratischen Systems in der Republik Honduras” vom 22. Mai 2011, das auf Vermittlung der Präsidenten von Venezuela und Kolumbien zustande gekommen ist (Abkommen von Cartagena).
Zur Erinnerung: Am 28. Juni 2009 erließ das Oberste Gericht des kleinen, mittelamerikanischen Landes einen Haftbefehl gegen den damaligen Präsidenten Zelaya und beauftragte die Armee mit der Verhaftung, die ihn in das Nachbarland Costa Rica verschleppte. Zelaya hatte versucht, das Volk über die Einberufung einer Verfassungsgebenden Versammlung zu befragen, was ihm durch ein Verwaltungsgericht untersagt wurde, weil nach Art. 5 der honduranischen Verfassung die Entscheidung über die Durchführung eines Referendums oder Plebiszits beim Parlament liegt. Zelaya versuchte die Volksbefragung dennoch, allerdings auf einer anderen Rechtsgrundlage. Mit einer unhaltbaren strafrechtlichen Argumentation wurde daraufhin auf Antrag des Generalstaatsanwalts der Haftbefehl erlassen (ausführlich s. Verf., Betrifft Justiz 2010, S. 260 ff).
Zwei Jahre danach ist das Abkommen von Cartagena ein Lichtblick für das gequälte Land. Es leidet - neben extremer Armut - unter einem hohem Niveau an Drogengewalt, Jugendgewalt und Gewalt gegen Frauen. Nach dem Putsch ist eine Welle politisch motivierter Gewalttaten hinzugekommen. Zunächst setzte der vom honduranischen Parlament zum Nachfolger Zelayas gewählte Parlamentspräsident Micheletti das Militär und die Polizei rücksichtslos gegen den sich formierenden Widerstand ein. Aber auch nach den Neuwahlen im November 2009 dauert die politische Gewalt an. Seit Beginn des Jahres 2010 bis zum jetzigen Zeitpunkt wurden in dem Land mit nur etwa 8 Millionen Einwohnern allein 11 Journalisten ermordet. Die von Zelaya angeführte “Frente Nacional de Resistencia Popular” setzte ihren Widerstand gegen die Politik der Regierung und die etablierten politischen Parteien in zahlreichen, gewaltsam niedergeschlagenen Demonstrationen und mit anderen Aktionen fort. Auch Mitglieder der Widerstandsbewegung und Familienangehörige wurden Opfer einer Vielzahl von Morden und anderer Gewaltdelikte.
Der nun endlich eingeleitete Versöhnungsprozess könnte allerdings in Kürze schon beendet sein. Während Honduras wieder in die Organisation Amerikanischer Staaten aufgenommen wurde und eine Delegiertenversammlung der Widerstandsbewegung dem Kurs Zelayas zugestimmt hat, nutzen Richter und Richterinnen ihr Amt wieder einmal zugunsten ultrarechter Kräfte, die der Volksbewegung um Zelaya feindlich gegenüberstehen. Nach der Entmachtung eines vom Volk gewählten Präsidenten vor zwei Jahren und der Entlassung der Richterin Tirza Flores Lanza sowie dreier weiterer Richter, die öffentlich gegen den Haftbefehl und die Verschleppung Zelayas protestiert hatten, vor einem Jahr (s. hierzu hfe in RechtProgressiv vom 11.4.2011), torpedieren Teile der Justiz nun das Versöhnungsabkommen, um die “Resistencia” von der politischen Willensbildung des Landes fernzuhalten.
Unmittelbar betroffen sind der Rechtsanwalt Enrique Flores Lanza, Bruder von Tirza Flores Lanza, der Präsidialminister in der Regierung Zelaya war, und seine beiden Verteidiger. Enrique Flores Lanza floh nach dem Putsch in das benachbarte Nicaragua. Er ist nach Abschluss des Abkommens von Cartagena mit Zelaya und weiteren Mitgliedern seiner Regierung nach Honduras zurückgekehrt. Ihm droht Untersuchungshaft. Gegen seine beiden Verteidiger wurde ein befristetes Berufsverbot verhängt.
Die Strafverfahren gegen Zelaya, Enrique Flores Lanza u.a.
Das Abkommen von Cartagena bezieht sich in drei Klauseln auf Strafverfahren gegen Zelaya und Mitglieder seiner Regierung. Nach dem Putsch wurde ein Verfahren gegen Zelaya, Enrique Flores Lanza und weitere Beschuldigte eingeleitet, weil auf ihre Anordnung Haushaltsmittel zur Werbung für die Volksbefragung ausgegeben wurden (AZ: 0801-2009-31042). Die Verwendung von Haushaltsmitteln war bzw. ist auch Gegenstand eines zweiten Strafverfahrens ebenfalls gegen Zelaya, Enrique Flores Lanza und weitere Beschuldigte (AZ: 0801-2009-31126). Ein drittes Strafverfahren gegen Enrique Flores Lanza betrifft die Zahlung von Haushaltsmitteln an den Sicherheitsminister in der Regierung Zelaya (AZ: 0801-2009-27096) und ein viertes Verfahren gegen Enrique Flores Lanza u.a. die Zahlung von Haushaltsmitteln an die Ehrengarde des Präsidenten (AZ: 0801-2009-27640).
Da Zelaya Abgeordneter des zentralamerikanischen Parlaments ist, war für die Strafverfahren gegen ihn ein Berufungsgericht zuständig. Dieses beschloss am 2. Mai 2011, dass die Zulassung der Beschuldigungen gegen Zelaya nichtig sei, und die Generalstaatsanwaltschaft verzichtete auf Rechtsmittel. Das wird in Ziffer 4 des Abkommens von Cartagena ausdrücklich begrüßt.
Unberührt von der Entscheidung des Berufungsgerichts blieben die bei einem erstinstanzlichen Strafgericht anhängigen Verfahren gegen Enrique Flores Lanza und weitere Beschuldigte. Im Abkommen von Cartagena wird hierzu nach einer Garantie für Zelaya in Ziffer 2, bei voller Anerkennung seiner Rechte gemäß der Verfassung und den Gesetzen nach Honduras zurückkehren und dort in Sicherheit und Freiheit politisch handeln zu können, in Ziffer 3 erklärt, die den ehemaligen Amtsträgern der Regierung des ehemaligen Präsidenten Zelaya gewährten Rückkehrgarantien in Sicherheit und Freiheit würden vertieft, bei voller Anerkennung ihrer Rechte nach der Verfassung und den Gesetzen.
Enrique Flores Lanza beantragte daraufhin durch einen seiner Anwälte nach der Unterzeichnung des Abkommens die Aufhebung der gegen ihn erlassenen Haftbefehle und erklärte, er werde sich als Beschuldigter in den Gerichtsverhandlungen äußern. Daraufhin wurden die Haftbefehle aufgehoben und er kehrte am selben Tag wie Zelaya nach Honduras zurück.
Der Gerichtspräsident mischt sich ein
Sogleich nach seiner Rückkehr wurden in allen vier Verfahren Anhörungstermine für den 15. Juni 2011 anberaumt. Zuständig für die Verfahren 31126 und 31042 ist der Richter Claudio Aguilar, für das Verfahren 27096 die Richterin Alejandra Ochoa und für das Verfahren 27640 die Richterin Maria Dolores López.
Am 14. Juni 2011 erfuhr Enrique Flores Lanza von einer Person aus der Umgebung des Präsidenten des Obersten Gerichts, dieser habe dem Richter und den beiden Richterinnen Weisung erteilt, gegen ihn eine Kaution von 40 Millionen Lempira (Interbankkurs z.Zt. 1 HNL = 0,037 EUR) und für den Fall, dass dieser Betrag nicht sofort gezahlt werden könne, Hausarrest zu verhängen. Weitere Personen teilten am 15. Juni mit, es habe ein Treffen mit dem Präsidenten gegeben, an dem u.a. die o.g. Richter und die an dem Gericht aufsichtsführende Richterin teilgenommen hätten.
Wie angeordnet, geschah es auch, wenn auch nicht ganz so. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft entschied der Richter Aguilar im Verfahren 31126, der Beschuldigte müsse noch am selben Tag 14 Millionen Lempiras in bar hinterlegen. Nachdem die Verteidigung erklärte, dies sei dem Beschuldigten nicht möglich, verhängte der Richter Hausarrest für 30 Tage, innerhalb derer die Kaution beigebracht werden müsse, und drohte eine schärfere Maßnahme für den Fall an, dass dem keine Folge geleistet werde. Das Verfahren 31042 lief nach demselben Muster ab; hier wurde eine Kaution von 13 Millionen Lempiras festgesetzt. Die Termine in den beiden anderen Verfahren fanden dagegen am 15. Juni nicht statt, da die Verteidigung die Richterin Ochoa, die sich geweigert hatte, die Akten fotokopieren zu lassen, wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt hatte, und die Richterin López einem Vertagungsantrag der Verteidigung stattgab.
Diese Richterin verlegte den Termin auf den 20. Juni, der jedoch auch nicht stattfand. Die Richterin erklärte nämlich, sie gehorche nicht den Befehlen, die ihr in Bezug auf Sicherheitsmaßnahmen erteilt seien. Daraufhin wurde sie von der Staatsanwaltschaft mit der Begründung abgelehnt, sie sei eine intime Freundin des Beschuldigten. Dies ergebe sich aus der Terminsverlegung und der Art und Weise, wie sie den Beschuldigten begrüßt habe.
Der Gedanke an eine Justizposse drängt sich auf, wäre die Sache nicht so ernst. Ebenso absurd ist, was den Verteidigern widerfuhr. Nach Angaben des Rechtsanwalts Raúl Suaza Barillas erhielt dieser am 14. Juni 2011 einen Anruf von Roberto Turcios, einem Verwandten Michelettis, der ihn darauf hinwies, sein Ehrengerichtsverfahren könne wieder aufgenommen werden, wenn er Rechtsanwalt Flores Lanza weiter vertrete. Tatsächlich erfuhr er durch eine Bekanntmachung der Rechtsanwaltskammer vom 22. Juni 2011, dass diese bereits am 30. April beschlossen hat, ihm mit Wirkung vom 1. Mai die Berufsausübung für ein Jahr zu untersagen. Durch dieselbe Bekanntmachung erfuhr der weitere Verteidiger, Rechtsanwalt Daniel Oscar Rivera Mena, dass die Rechtsanwaltskammer am 30. April beschlossen hat, ihm mit Wirkung vom 1. Mai die Berufsausübung für sechs Monate zu untersagen.
Über die von den Betroffenen eingelegten Rechtsmittel ist noch nicht entschieden, ebenso noch nicht über die Ablehnungsanträge. Die von Enrique Flores Lanza gegen den Präsidenten des Obersten Gerichts erstatte Strafanzeige wird sich vermutlich “in Luft auflösen”.
29. Juni 2011