Prolog zur Hans-Litten-Preis-Verleihung von Rechtsanwalt Joachim Kerth-Zelter, Vorsitzender der VDJ
Ich freue mich, dass wir heute – einer mittlerweile langjährigen Tradition der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen folgend – den nach dem Rechtsanwalt Hans Litten benannten Preis vergeben können.
Wir sehen das Leben und Wirken des Rechtsanwaltes Hans Litten in der Weimarer Zeit auch heute noch als einen steten Auftrag dafür an, für das Recht und die Gerechtigkeit auch und gerade dann zu kämpfen, wenn einem der Wind der Ungerechtigkeit ins Gesicht bläst. Wir wollen mit diesem Preis den unerschrockenen Einsatz Hans Littens mit den Mitteln des Rechts würdigen und die Erinnerung an ihn und sein Schicksal in den dunklen Zeiten des Nationalsozialismus wachhalten. Wir wollen aber auch durch die Verleihung dieses Preises den mutigen Einsatz der Preisträger*innen in heutiger Zeit hervorheben und so andere zur Nachahmung ermutigen.
In welch massiver Weise der Einsatz für Recht und Gerechtigkeit von undemokratischen Regimen als Bedrohung empfunden wird, zeigt das Schicksal unseres Preisträgers aus dem Jahre 2014. Der türkische Rechtsanwalt Selcuk Kozagacli, der leider im Zuge der in der Türkei immer noch andauernden ausufernden Verfolgung von linken, kurdischen und demokratisch gesinnten Menschen, mit mehreren Strafverfahren überzogen wird und immer noch inhaftiert ist. Er muss mit der Verhängung von mehrjährigen Haftstrafen rechnen.. Der gegen ihn erhobene Vorwurf besteht aber im Wesentlichen darin, dass er als linker Rechtsanwalt bereit war, die Verteidigung von Personen zu übernehmen, die als Terroristen beschuldigt werden. Er befindet sich alleine wegen seiner engagierten anwaltlichen Berufsausübung in Haft. Auch hier findet seitens der Ankläger und Richter eine unzulässige Gleichsetzung der Anwälte mit den vermuteten Ansichten und Handlungen eines Mandanten statt. Dies zeigt jedoch alleine, wie es derzeit um die Menschenrechte und die Verteidigerrechte in der Türkei bestellt ist.
Dass wesentliche Grund- und Menschenrechte aber nicht nur in autokratischen und diktatorischen Staaten in Gefahr geraten, sondern dass es durchaus auch hier in der Bundesrepublik Deutschland bedenkliche Entwicklungen gibt, ist uns gerade in jüngster Zeit noch einmal sehr deutlich vor Augen geführt worden.
Wir haben in diesem Jahr in beispielloser Weise mitansehen müssen, dass fundamentale demokratische Rechte im Zusammenhang mit der Covid 19-Epidemie weitgehend durch das Verbot von Kontakten ausgehebelt wurden. Wir meinen, dass sich eine demokratische Gesellschaft gerade in der Bewältigung von Krisen besonders bewähren kann und muss. Leider sehen wir in vielen Ländern, dass die dortigen Regierungen dieser Maxime nicht folgen. Mögen auch in der Bundesrepublik Deutschland zum Schutz von Leben und Gesundheit eine ganze Reihe von Massnahmen gerechtfertigt gewesen sein, so kann man doch nicht übersehen, dass es erst die überzogenen Sparmaßnahmen im Gesundheitswesen waren, die hierzulande dazu führten, dass zur Vermeidung einer Überlastung unseres Gesundheitswesens und damit zum Schutz von Menschenleben solch drastische Einschränkungen der Bürgerrechte als erforderlich angesehen wurden. Immer mit den schockierenden Bildern aus Italien vor Augen, dessen Gesundheitssystem unter anderem aufgrund der Sparmaßnahmen, die diesem Land von der EU aufgezwungen wurden, ruiniert war. So schien jede noch so weitgehende Einschränkung der Freiheit der Bürger notwendig, weil man meinte, nur so Menschenleben hinreichend schützen zu können. Viele der mit heißer Nadel gestrickten Verordnungen haben sich zunächst alleine an den Vorgaben der Virologen orientiert. Die Folgen dieser Maßnahmen für fundamentale Menschen- und Freiheitsrechte waren zunächst überhaupt nicht in den Blick genommen worden. Gerade hier war es wichtig, dass neben anderen Herr Rechtsanwalt Rolf Gössner in seinen Veröffentlichungen auf diese Defizite hingewiesen hat.
Es hat außerdem im Zuge der Corona-Massnahmen eine Verschiebung der Macht von den demokratisch legitimierten Parlamenten hin zur Exekutive stattgefunden. Das ist besonders dann bedenklich, wenn die gerichtliche Kontrolle dieser Massnahmen und Anordnungen nicht mehr funktioniert, wie dies zu Beginn der Corona-Epidemie leider mehrfach der Fall war. Dass mit zunehmender Dauer der Einschränkungen sich mehr und mehr Unmut und Unzufriedenheit in der Bevölkerung einstellten, war nicht anders zu erwarten. Hier war es notwendig, sachlich und rechtlich fundiert Kritik zu äußern und dieses Thema nicht alleine Bauernfängern und Verschwörungstheoretikern zu überlassen.
Die Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen verleiht den Hans-Litten-Preis in diesem Jahr an Rechtsanwalt Dr. Rolf Gössner, weil wir damit nicht nur sein jüngstes Engagement in Zeiten von Corona, sondern gerade seinen jahrzehntelangen, engagierten Einsatz für die Verteidigung von Demokratie und Rechtstaat, der in seinem ganzen beruflichen und rechtspolitischen Schaffen und Wirken wiederzufinden ist, würdigen möchten. Immer wieder hat er in bemerkenswerter Klarheit die Verletzungen von Grund- und Menschenrechten angeprangert, wo das notwendig war. So hat er sich auch jetzt bereits früh zu Wort gemeldet. Seine an demokratischen Rechten wie dem Versammlungsrecht orientierte Kritik an der Corona-Maßnahmen und die Forderung der Rückbindung dieser Maßnahmen an die Grundprinzipien der Demokratie ist lesenswert. Er hat damit der demokratischen Gesellschaft gerade deshalb einen großen Dienst erwiesen, weil durch seine Stellungnahmen deutlich wurde, dass es neben der lauttönenden und hyperaufgeregten Kritik von rechts durchaus eine hinreichend begründete Kritik gibt, die auch in Krisenzeiten den Blick für die Fundamente der Demokratie nicht aus den Augen verliert.
Welche Folgen eine fehlende Kontrolle staatlichen Handeln hat, musste Rechtsanwalt Dr. Rolf Gössner nicht zuletzt durch die jahrzehntelange illegale Überwachung seiner eigenen Person durch den bundesdeutschen Verfassungsschutz am eigenen Leib erfahren. Dass er sich hiergegen konsequent und entschlossen und natürlich auch mit dem dabei notwendigen langen Atem mit den Mitteln des Rechts zur Wehr gesetzt hat, ist ebenfalls aus unserer Sicht beispielgebend und preiswürdig
Mit dem Hans-Litten-Preis soll solches juristisches Wirken ausgezeichnet werden, das kompromisslos dem Recht verpflichtet ist, der Konfrontation mit den politischen Machtinteressen und ihren Institutionen nicht ausweicht, über den juristischen Beruf hinausgeht und so in besonders hohem Maß durch demokratisches und rechtspolitisches Engagement gekennzeichnet ist
Ich freue mich, dass wir mit dem diesjährigen Littenpreisträger einen würdigen Streiter für Demokratie und Recht gefunden haben.