Stellungnahme zum Entschließungsantrag „Nie wieder ist jetzt: Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken“ der Fraktionen der SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP
Sehr geehrter Herr Dr. Mützenich,
Sehr geehrter Herr Merz,
Sehr geehrter Herr Dobrindt,
Sehr geehrte Frau Dröge,
Sehr geehrte Frau Haßelmann,
Sehr geehrter Herr Dürr,
wir wenden uns heute als Vertreter*innen zivilgesellschaftlicher Organisationen an Sie, um unsere große Besorgnis über die Gefahr der Einschränkung von Grund- und Menschenrechten im Zusammenhang mit dem Entwurf des Entschließungsantrags „Nie wieder ist jetzt: Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken“ zum Ausdruck zu bringen.
Wir begrüßen ausdrücklich und uneingeschränkt das Ziel, Maßnahmen zur Bekämpfung von Antisemitismus, Rassismus und jeglicher Form von Menschenfeindlichkeit auf den Weg zu bringen und jüdisches Leben in Deutschland zu schützen. Der Resolutionsantrag in seiner jetzigen Form verfehlt dieses Ziel aus unserer Sicht jedoch nicht nur, sondern lässt darüber hinaus schwerwiegende Verletzungen von Grund- und Menschenrechten und eine erhebliche Rechtsunsicherheit befürchten.
Unsere Kritik richtet sich im Kern gegen die Zugrundelegung einer sehr weitreichenden und unbestimmten Definition von Antisemitismus als Maßstab für äußerst grundrechtsintensive Maßnahmen wie Straf- oder Asylrechtsverschärfungen, staatliche Fördermittelvergabe oder der Exmatrikulation von Hochschulen. Konkret sieht die uns vorliegende Version des Antragsentwurfs beispielsweise vor, dass die „Unterstützung oder Reproduktion von antisemitischen Narrativen“ ein Ausschlussgrund für die öffentliche Förderung von Projekten zivilgesellschaftlicher Organisationen sein soll. Zur Prüfung herangezogen werden soll die sogenannte IHRA-Arbeitsdefinition von Antisemitismus. Diese war jedoch nie als Regulierungsinstrument gedacht und eignet sich ob ihrer Unbestimmtheit und der Gefahr der Einordnung von Kritik an israelischer Regierungspolitik als antisemitisch gerade nicht als trennscharfe Definition von Antisemitismus.
Unklar bleibt also, wie sichergestellt werden soll, dass keine grundgesetzlich von der Meinungsäußerungsfreiheit geschützten Aussagen unter diese Definition von Antisemitismus subsumiert und entsprechend sanktioniert werden. Unklar ist außerdem, wer diese Prüfung durchführen und wie ein Missbrauch der Regelung vermieden werden soll. Denn derart unbestimmte und weitreichende Regelungen schaffen Rechtsunsicherheit und bergen ein enormes Missbrauchspotenzial. Insgesamt sind demnach bei der Umsetzung des Antrags unverhältnismäßige Eingriffe in die Meinungs-, Kunst-, Wissenschafts- und Versammlungsfreiheit zu befürchten.
Bereits jetzt sind viele Akteur*innen aus Menschenrechtsorganisationen, Kunst, Kultur und Wissenschaft verunsichert und schrecken teils aus Angst vor Repressionen davor zurück, Menschenrechtsverletzungen rund um den Nahostkonflikt als solche zu benennen oder zu den Themen Antisemitismus, Israel und Palästina öffentlich in Erscheinung zu treten. Eine derartige Meinungsprüfung nimmt außerdem nicht nur unser eigenes Engagement, sondern potenziell auch die Arbeit von Projektpartner*innen im Ausland ins Visier und diskreditiert sie. Schon jetzt sind einige lokale Partnerorganisationen in der humanitären Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit von Eingriffen in die Meinungsfreiheit betroffen und erhalten aufgrund von Kritik, die sie an teils völkerrechtswidrigem israelischem Handeln in Gaza und der Westbank öffentlich geäußert haben, keine Fördermittel des Auswärtigen Amtes oder des BMZ mehr. Nicht zuletzt seit dem 7. Oktober spielen zivilgesellschaftliche Organisation in Israel und Palästina eine besonders wichtige Rolle zur Aufrechterhaltung von Dialogräumen und Friedensperspektiven. Die Bundesregierung trägt eine besondere Verantwortung die friedensbereiten Kräfte auf beiden Seiten zu fördern und sollte sich aktiv dafür einsetzen ihre Finanzierung durch Bundesmittel aufrechtzuerhalten.
Auch das Vorhaben, „repressive Möglichkeiten konsequent auszuschöpfen“ und insbesondere im Asyl-, Aufenthalts- und Staatsangehörigkeitsrecht etwaige Gesetzeslücken zu schließen, sehen wir sehr kritisch. Hier wird das Narrativ eines rein importierten Antisemitismus perpetuiert, dem wir uns entschieden entgegenstellen und das im Übrigen durch Erkenntnisse aus Kriminalitätsstatistiken nicht haltbar ist. Auch prominente jüdische Stimmen bekräftigten unlängst in einem offenen Brief, dass jüdisches Leben in Deutschland nur gestärkt werden kann, indem die Rechte aller Minderheiten geschützt und sie gerade nicht gegeneinander ausgespielt werden.
Darüber hinaus erachten wir die Vermengung des Anliegens des Schutzes jüdischen Lebens in Deutschlands mit außenpolitischen Positionierungen zur Lage in Israel/Palästina als hochproblematisch und für das erklärte Ziel des Entschließungsantrags sogar schädlich. Eine Gleichsetzung von in Deutschland lebenden Juden und Jüdinnen mit dem Staat Israel bzw. dessen Regierungspolitik entspricht mithin gemeinhin verstanden einem Kriterium des Antisemitismus. Diese Gleichsetzung lässt außerdem die Pluralität der von in Deutschland lebenden Juden und Jüdinnen vertretenen Positionen außer Acht. In jüngerer Vergangenheit hat eine solche Gleichsetzung bereits dazu geführt, dass prominente jüdische Stimmen, die sich gegen israelisches Regierungshandeln und/oder gegen den Krieg in Gaza ausgesprochen haben, selbst als antisemitisch diffamiert wurden.
Außenpolitische Forderungen an die Bundesregierung bezüglich der Positionierung mit Blick auf den sog. Israel-Palästina-Konflikt sollten folglich nicht in einen Entschließungsantrag zum Schutz jüdischen Lebens in Deutschland einfließen, sondern an einer anderen Stelle formuliert werden. Eine einseitige Positionierung, wie sie im vorliegenden Entwurf verschriftlicht ist, die die Einhaltung humanitären Völkerrechts, des internationalen Rechts sowie der Menschenrechte nicht für alle Parteien zur Grundvoraussetzung erklärt, ist unserer Überzeugung nach nicht mit dem Anspruch auf menschenrechtliche Basierung deutscher Außenpolitik vereinbar.
Zuletzt möchten wir darauf hinweisen, dass wir es nicht für richtig halten derart weitreichende und potenziell grundrechtsintensive Regelungen in Form einer Bundestagsresolution auf den Weg zu bringen. Hierbei handelt es sich um eine juristisch unverbindliche Resolution, gegen die es kein effektives Rechtsmittel gibt und die den parlamentarischen Gesetzgebungsprozess umgeht, die aber gleichzeitig weitreichende Regelungen trifft. Das steht im Widerspruch zum Rechtsstaatsgebot. Gerade im Kampf gegen Antisemitismus als gesamtgesellschaftliche Aufgabe, ist eine öffentliche und transparente Diskussion, nicht zuletzt unter Einbeziehung der Expertise aus der Zivilgesellschaft, unerlässlich. Der Schutz marginalisierter Gruppen im Allgemeinen und der Schutz der Vielfalt jüdischen Lebens im Besonderen ist ein wichtiges menschenrechtliches Anliegen und bedarf geeigneter effektiver Maßnahmen. Eine solche stellt der Entschließungsantrag leider nicht dar.
Aufgrund der vorgenannten verfassungs- und menschenrechtlichen Bedenken appellieren wir als Vertreter*innen zivilgesellschaftlicher Organisationen daher dringend an Sie, den Antragsentwurf zu überdenken und so nicht zur Abstimmung in den Bundestag einzubringen.
Für Rückfragen oder Gespräche stehen wir gerne jederzeit zur Verfügung.
Mit besten Grüßen verbleiben
Dr. Julia Duchrow, Generalsekretärin, Amnesty International Deutschland e.V.
Wolfgang Kaleck, Generalsekretär, ECCHR – European Center for Constitutional and Human Rights e.V.
Alexander Mauz, Vorstandsvorsitzender, Forum Ziviler Friedensdienst e.V.
John Preuss, Geschäftsführer, KURVE Wustrow - Bildungs- und Begegnungsstätte für gewaltfreie Aktion e.V.
Tsafrir Cohen, Geschäftsführer, Medico International e.V.
Serap Altinisik, Vorstandsvorsitzende, Oxfam Deutschland e.V.
Gerold König, Bundesvorsitzender, Pax Christi – Internationale Katholische Friedensbewegung
Regina Steiner und Joachim Kerth-Zelter, Bundesvorsitzende, Vereinigung demokratischer Juristinnen und Juristen
Therese Wenzel, Geschäftsführung, Weltfriedensdienst e.V.