Stellungnahme zur Beobachtung des CHD-Prozesses in Silivri, Türkei
Pressemitteilung der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen e.V. (VDJ) vom 12. Dezember 2022
Die VDJ fordert die sofortige Freilassung aller Anwält:innen, die aufgrund ihrer Arbeit in politischen Fällenin der Türkei inhaftiert sind. Die Ausübung der Advokatur ist kein Verbrechen. Die Kriminalisierung der Ausübung des Anwaltsberufs muss beendet und die Grundprinzipien der Rechtsstaatlichkeit, einschließlich des Rechts auf ein faires Verfahren für alle Menschen in der Türkei müssen hergestellt werden.
Die Prozesse gegen die Anwält:innen der ÇHD sind Teil eines größeren Musters, bei dem Anwält:innen verfolgt und mit ihren Mandant:innen identifiziert werden. Sie werden wegen der Erfüllung ihrer Berufspflichten kriminalisiert und strafrechtlich verfolgt. Dies ist für uns nicht hinnehmbar und verstößt gegen internationales Recht. Internationale Beobachter:innen sind zu dem Schluss gekommen, dass bei den Anhörungen internationale Standards für faire Gerichtsverfahren nicht eingehalten wurden.
Bereits im Jahre 2013 begann ein Massenprozess gegen 22 Anwält:innen, allesamt Mitglieder der Anwaltsorganisation Progressive Lawyers’ Association (ÇHD, Türkei) und des Peoples Law Office (HHB). Die betroffenen Anwält:innen wurden wegen ihrer beruflichen Tätigkeit angeklagt oder verurteilt. Unter Verstoß gegen die UN-Grundprinzipien zur Rolle von Rechtsanwält:innen werden sie mit den Anliegenihrer Mandanten identifiziert und in ihrer Meinungsfreiheit eingeschränkt. Art.6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), Artikel 10 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und Artikel 14 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte verpflichten die Türkei, allen Angeklagten ein faires und öffentliches Verfahren vor einem zuständigen, unabhängigen und unparteiischen Gericht zu ermöglichen. Bereits 2021 kam eine Jury anlässlichdes International Fair Trial Day zu dem Schluss, dass diese internationalen Standards für ein faires Verfahren in der Türkei häufig verletzt werden. Die Türkei ist nach Russland und der Ukraine das Land mit den meisten Verurteilungen durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen Verletzungen des Art. 6 EMRK.
Mehrere der Angeklagten,darunter der ÇHD-Präsident Selçuk Kozağaçlı, sitzen seit Jahren in Untersuchungshaft. Eine der Angeklagten, Ebru Timtik, starb während eines Hungerstreiks. Selçuk Kozağaçlı ist ein international renommierter Anwalt, der für sein herausragendes Engagement für Demokratie, Menschenrechte und die Verteidigung der Rechtsstaatlichkeit vielfach ausgezeichnet wurde. Dazu gehören der Hans Litten-Preis der VDJ in 2014 und der Lawyers for Lawyers Award in 2019.
Anwält:innen aus Europa undanderen Kontinenten haben die Gerichtanhörungen beobachtet. Im November umfasste die International Observers Delegation mehr als 60 Anwälte aus 8europäischen Ländern, Belgien, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Italien,Niederlande, Österreich, Spanien/Katalonien und den USA.
Gerade wegen der Zweifel an einem fairen Verfahren für unsere Kolleg:innen unterstützen wir die Fortsetzung der Prozessbeobachtungen und rufen zu Solidarität mit den vor Gericht gestellten und inhaftierten Kolleg:innen auf.
Presserückfragen an Rechtsanwalt Dr. Andreas Engelmann,Bundessekretär der VDJ, telefonisch unter 069 71163438 oder per E-Mail anbundessekretaer@vdj.de