Trauer um Gerhard Stuby

Nachruf von Prof. Dr. Norman Paech
Am 24. August 2020 ist Gerhard Stuby, Mitglied im Beirat der „Blätter“ seit 1970 , gestorben - ein Jurist, der die einstufige Juristenausbildung in Bremen mit aufgebaut und ihre Reformansätze auch nach ihrer Einstellung immer vertreten hat. Ihre Öffnung hin zu den Sozialwissenschaften und die Integration von theoretischer Ausbildung und Praxis waren zentrale Merkmale einer Rechtswissenschaft, wie sie Gerhard Stuby in seiner literarischen Arbeit, seiner Lehre und seinem rechtspolitischen Engagement verstand.
Der Weg seiner Studien von der katholischen Theologie und Philosophie in Trier, Grenoble und München bis zur Rechtswissenschaft in Freiburg spiegelt sich schon in seiner Dissertation „Recht und Solidarität bei Albert Camus“ (1963), die den philosophischen Fragen Vorrang vor den rechtsdogmatischen gab. Als seine Habilitationsschrift „Wissenschaft und Bildungsplanung“ wegen „marxistischer Ansätze“ abgelehnt wurde und er in dem Buch „Disziplinierung der Wissenschaft“ 1970 die Studentenbewegung verteidigte, waren das allerdings schon deutliche Zeichen des Abschieds von der alten Universität in Richtung des linken sozialistischen Milieus. Nach Assistenzjahren in Freiburg und Mannheim erhielt er eine Vertretungsprofessur in Marburg, wo Wolfgang Abendroth eine Reihe sozialistisch orientierter Rechts- und Sozialwissenschaftler um sich gesammelt hatte. Abendroth war es auch, der ihm riet, an die Universität Bremen zu gehen.
1971 erhielt Gerhard Stuby, nicht ohne heftige politische Auseinandersetzungen im Vorfeld, eine Professur für öffentliches Recht und wissenschaftliche Politik an der neu gegründeten Universität Bremen. Bis zu seiner Emeritierung im Wintersemester 1999/2000 lehrte er dort und widmete sich mit großem Engagement als Mitglied in der Gesetzgebungskommission für die einstufige Juristenausbildung und zeitweiliger Konrektor der Universität der Reform des Jurastudiums. Gerhard Stuby dachte jedoch über den Rahmen der Universität hinaus und suchte die Verbindung zu ähnlich politisch engagierten Juristinnen und Juristen. So war er 1972 aktiv bei der Gründung der „Vereinigung demokratischer Juristen“ (VDJ) dabei, deren erster Vorsitzender er wurde. Es war die einzige juristische Organisation, in der auch Kommunisten sich organisieren konnten.
Das hatte durchaus Auswirkungen auf seine juristische Arbeit. Er nahm den Ausbildungsauftrag des Gesetzes, welches er selbst mitgestaltet hatte, ernst, in dem von einer juristischen Ausbildung, die „in der sich wandelnden Gesellschaft dem Anspruch einer rechtsstaatlichen, demokratischen und sozialstaatlichen Verfassung genügt“ (§ 2 Abs, 1 JAG) gesprochen wird. Was er in zahlreichen Artikeln als entschieden demokratisch und grundrechtlich geschützt verteidigte, wurde mit den Berufsverboten verfolgt – eine der Sackgassen des damaligen politischen Systems der BRD. Seine mangelnde Scheu vor Kommunisten, ob in der VDJ, in Bürgerinitiativen, an der Universität oder auf Demonstrationen, seine Erwähnung in den Verfassungsschutzberichten der damaligen Jahre, hatten einschneidende Folgen für ihn: 1978 wurde er aus der SPD geworfen. Zudem blieb ihm der Zugang zu den bürgerlich traditionellen Standesorganisationen und Organen sowie juristischen Redaktionen weitgehend verschlossen. Seine immer historisch fundierte und sozialwissenschaftlich orientierte Auseinandersetzung mit juristischen Problemen fand jedoch in anderen Publikationen wie den „Blättern“ oder „Demokratie und Recht“ u. a. ihren Platz.
1989 gelang Gerhard Stuby mit Hilfe von Hans-Jochen Vogel die Wiederaufnahme in die Partei. Das hinderte ihn jedoch nicht, im Jahr 1994 die Wahl der PDS in den Bundestag mit zu erstreiten. Die Chefjuristen von CDU und SPD, Rupert Scholz und Herta Däubler-Gmehlin hatten damals ein Wahlgesetz ausgeheckt, nach dem es der PDS unmöglich geworden wäre, die gesamtdeutsche 5%-Hürde zu überwinden. In einem gemeinsamen Gegengutachten konnten wir seinerzeit das Bundesverfassungsgericht von der Verfassungswidrigkeit dieses Anschlags auf das Wahlrecht überzeugen. Es blieb der einzige Sieg vor dem Gericht, aber gleichzeitig die Beihilfe beim parlamentarischen Zeugungsakt der Linken, die dann erst später geboren wurde. Gerhard Stuby aber blieb der SPD treu.
Er war Vizepräsident und zeitweise auch Generalsekretär der IVDJ, deren weltweiten Aktivitäten er sich mit zahlreichen Reisen und Untersuchungsmissionen von Chile bis Kambodscha widmete. Das war sein Feld als Völkerrechtler. Die IVDJ hat Beraterstatus bei der UNO und war in allen Kriegen und Konflikten, ob in Vietnam, Afrika, Palästina, Chile oder Kuba eine juristische Stimme auf der Seite der um ihre Unabhängigkeit kämpfenden Völker. Dieser Organisation, die 1946 in Paris von Juristinnen und Juristen aus 26 Länden gegründet worden war, darunter in erster Linie von Juristen, die den Nürnberger Prozess vorbereitet und durchgeführt hatten, war die Bedeutung der Nürnberger Prinzipien selbstverständlich und die Weiterentwicklung des Völkerrechts vordringliche Aufgabe.
Die hier gewonnenen Einsichten und gesammelten Erfahrungen fanden Eingang in das gemeinsame Studienbuch „Völkerrecht und Machtpolitik in den internationalen Beziehungen“ (1994, 3. Aufl. 2013), eine für die juristischen Standard-Publikationen ungewöhnliche Verbindung historischer, politik- und rechtswissenschaftlicher Analysen. Sie berücksichtigten bereits damals die erst in jüngerer Zeit hier bekannt gewordenen postkolonialen Ansätze von TWAIL (Third World Approaches to International Law).
Nachdem die Volkswagenstiftung schon frühzeitig unseren Forschungsantrag zur Aufarbeitung des größten der Nürnberger Nachfolgeprozesse, des sog. Wilhelmstraßenprozesses, abgelehnt hatte, griff Gerhard Stuby schließlich das Thema, das ihn nicht losließ, in seinem letzten großen Werk „Vom `Kronjuristen’ zum ‚Kronzeugen’ (2008) auf. Leitfigur war ihm der Jurist Friedrich Wilhelm Gaus, der von 1907 bis 1945 im Auswärtigen Amt eine lückenlose Karriere vom Kronjuristen des Reiches über den Leiter der Rechtsabteilung im faschistischen Amt bis zum Kronzeugen in den Nürnberger Prozessen hatte. Gerhard Stuby interessierte nicht so sehr die Psychologie eines derart geschmeidigen, fungiblen und bis zur Selbstaufgabe funktionierenden Juristen als das Panorama seiner Tätigkeit, die gewaltige Spannbreite der völkerrechtlichen Entwicklung in den internationalen Verträgen von Versailles über Rapallo, Locarno, dem Briand-Kellog-Pakt bis zum Hitler-Stalin-Pakt. Dieses große und detailreiche Werk wird zweifelsohne seinen Platz in der Aufarbeitung des Auswärtigen Amtes und der Funktion des Völkerrechts einnehmen.
Gerhard Stuby wurde 86 Jahre alt. Die Hochachtung und nachhaltige Freundschaft, die ihm im Kollegenkreis entgegengebracht wurde, beruhten vor allem auf seiner großen Freundlichkeit mit einem speziellen Humor, seiner intellektuellen Unbestechlichkeit, absoluten Solidarität und seinem beruflichen Ethos gesellschaftlicher Verantwortung. Ich trauere um einen großen Freund.
Quelle: Vorabdruck aus Blätter für deutsche und internationale Polltik, Oktober 2020 - 10'20
Nachstehend die Traueranzeige der VDJ für Gerhard Stuby: