Zum Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung des Teilzeitrechts - Einführung einer Brückenteilzeit
Der Arbeitskreis Arbeitsrecht der VDJ hat zum Kabinettsbeschluss vom 13.06.2018 zum Gesetzententwurf zur sog. Brückenteilzeit Stellung genommen. Hierbei unterstreicht die VDJ insbesondere, dass es sachgerecht wäre, wenn die Umkehr von der Darlegungs- und Beweislast bei einem gewünschten Aufstockungsanspruch von Teilzeitbeschäftigten auch freie Arbeitsvolumina, die nicht explizit als Arbeitsplatz definiert sind, mitumfassen würde. Nur wenn sachliche arbeitsplatzbezogene Gründe dagegen sprächen, wären diese Volumina nicht einzubeziehen. Anderenfalls verbliebe die alleinige Definitionsmacht, was ein für die Aufstockung zur Verfügung stehender „Arbeitsplatz“ wäre, beim Arbeitgeber. Umgehungsmöglichkeiten und Schlupflöcher wären die Folge. Ein den verschiedenen Lebensphasen von Beschäftigten folgender Aufbau von Arbeitszeit würde dadurch erschwert – ein Ergebnis, dass den eigentlichen gesetzgeberischen Willen nach Aufffassung der VDJ zu konterkarieren droht.
Bewertung des Vorschlags:
Der Gesetzentwurf ermöglicht
• einen durchsetzbaren Anspruch auf befristete Teilzeitarbeit, sodass eine Rückkehr auf dievorherige Stundenzahl nach dem Ablauf der Befristung erfolgen kann,
• eine Beweislastumkehr für Aufstockungsanträge nach § 9 TzBfG,
• neue Rahmenregelungen der Arbeit auf Abruf und
• ein Erörterungsrecht des Beschäftigten bezüglich der Lage und/oder Dauer der Arbeitszeit.
Mit diesem Maßnahmenbündel werden einige der dringendsten Anforderungen aus der Praxis erfüllt und hierfür in Teilen mehr Rechtssicherheit für Konflikt- oder Interessenklärung geschaffen. Das unterstützt die VDJ. Die Option einer besseren Vereinbarkeit von Arbeit und Leben bedeutet für Beschäftigte wie Arbeitgeber letztlich eine zufriedenstellendere Lebens- und natürlich auch Arbeitssituation. Deshalb ist es zur Erfüllung individueller Freiheitsrechte wie zur Verbesserung der wirtschaftlichen Situation zielführend der Realisierung dieser Interessen einen geregelten Rahmen zur Klärung zu ermöglichen. Von daher ist die von so Vielen angemahnte Weiterentwicklung des Teilzeitrechtes grundsätzlich zu begrüßen.
Zu den jeweils konkreten Regelungen möchten wir noch einige Anregungen aus unserer vielfältigen und breiten Praxis sowie aus grundsätzlichen Erwägungen - wo sich dies anbietet - darlegen.
Zum Erörterungsanspruch (§ 7 Abs. 2 - E):
Abgeleitet aus der vorgenannten Sichtweise ist es folgerichtig Beschäftigten auch bei der Lage und Dauer der Arbeitszeit während des laufenden Vertrages weitere Gestaltungsrechte zu ermöglichen, die allerdings auch durchsetzbar sein müssen, wenn keine dringenden betrieblichen Gründe entgegenstehen. Nach der Rechtsprechung des BAG ist das für die Dauer der Arbeitszeit im Rahmen eines kollektiven Konzeptes grundsätzlich möglich. Dies sollte auch für die Lage der Arbeitszeit ermöglicht werden. Ein sog. Erörterungsanspruch allein ermöglicht keine Durchsetzung, selbst wenn dringende betriebliche Gründe oder ein kollektives Konzept nicht entgegenstehen. Hierfür fehlt es im Gesetzentwurf völlig an einer entsprechenden Rechtsfolgenregelung und ebenso an einer spürbaren rechtlichen Sanktion, um die in der Praxis so wichtige Freiheit einer Veränderung der Arbeitszeit auch bezüglich ihrer Lage tatsächlich zu ermöglichen.
Zur Beweislastumkehr beim Aufstockungsanspruch (§ 9 – E):
Erfreulich ist, dass mit der Beweislastumkehr den Bedürfnissen der Praxis nach Aufstockung der Arbeitszeit besser gegenüber der bestehenden Rechtslage durchsetzbar werden soll. Beschäftigte kennen freie Arbeitskapazitäten in der Regel nicht bzw. nicht hinreichend, weil sie keine bzw. keine vollständige Übersicht über freie oder freiwerdende Arbeitsvolumina einschließlich der jeweiligen Anforderungen haben. Allerdings verlangt die Gesetzesformulierung einen vom Arbeitgeber als Arbeitsplatz ausgewiesenes Arbeitsvolumen. Dadurch wird dem Arbeitgeber ermöglicht selbst bei nach wie vor wirtschaftlich oder produktionstechnisch vorhandenem freiem Arbeitsvolumen durch die Nichtdefinition eines Arbeitsplatzes den Aufstockungsanspruch ablehnen zu können und ihn dadurch zu unterlaufen.
Beispiel 1: Wird ein Vollzeitarbeitsplatz frei, weil der Beschäftigte selbst gekündigt hat, besteht notwendiges Arbeitsvolumen im o.g. Sinne. Dann kann es nicht darauf ankommen, ob der Arbeitsplatz nach dem Willen des AG als Vollzeit- oder in mehreren Teilzeitarbeitsplätzen wiederbesetzt werden soll. Für lediglich Teilzeitbeschäftigung bedarf es nach der ständigen Rechtsprechung des BAG sachlicher arbeitsplatzbezogener Gründe.
Beispiel 2: Wird ein Vollzeitarbeitsplatz etwa wegen Auftragssteigerung benötigt, bestünde auch hier unstreitig notwendiges Arbeitsvolumen im o.g. Sinne. Dann kann es auch hier nicht darauf ankommen, ob der Arbeitsplatz nach dem Willen des AG als Vollzeit- oder in mehreren Teilzeitarbeitsplätzen wiederbesetzt wird. Für lediglich Teilzeitbeschäftigung bedarf es nach der ständigen Rechtsprechung des BAG sachlicher arbeitsplatzbezogener Gründe.
Beispiel 3: Will der Arbeitgeber das in den Fällen 1 und 2 identifizierte Arbeitszeitvolumen nicht als regulären Arbeitsplatz gestalten, sondern zerstückelte Volumina irgendwie frei vergeben, soll das nicht als Arbeitsplatz gelten und damit kein Volumen sein, dass für ein Aufstockungsverlangen zu berücksichtigen wäre. Das wird den Bedürfnissen der Praxis in keiner Weise gerecht und ist als gesetzgeberische Position schlicht nicht nachvollziehbar. Zugleich schmälert das die Chancen, einen Aufstockungsanspruch zu realisieren, deutlich. Schon, um die Kenntnis von solchen freien Volumina zu erhalten, reicht eine solche Herangehensweise, dies zu vereiteln, da nach dem Gesetzesentwurf dann offenbar kein vom Arbeitgeber als Arbeitsplatz definiertes freies Volumen vorliegen soll.
Der Fortschritt gegenüber der Rechtsprechung des BAG in den Entscheidungen (v. 8.5.2007, 9 AZR 874/06, v. 13.2.2007, 9 AZR 575/05, v. 15.8.2006, 9 AZR 8/6) muss aber, um eine reale Durchsetzung eines Aufstockungswunsches zu ermöglichen, genau darin liegen. Dem kam im Übrigen die Formulierung im ursprünglichen Referentenentwurf aus dem Jahr 2017 schon näher. Es erstaunt, dass hierzu eine Verschlechterung aus Arbeitnehmersicht vorgenommen wurde, obwohl diese Thematik kein Änderungspunkt im Koalitionsvertrag war.
Formulierungsvorschlag: … es sei denn, dass es kein freies Arbeitszeitvolumen gibt, für das der teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer…
Zum befristeten Teilzeitanspruch (§ 9a – E):
Wie bereits dargelegt, ist der Ansatz einen eigenständigen befristeten Teilzeitanspruch zu schaffen, praxisgerecht.Die Ausgestaltung im Einzelnen wirft jedoch einige noch dringend zu lösende Fragen auf. So ist es zum einen verfassungsrechtlich bedenklich, wenn durch in der Praxis bisher unbekannt hohe Schwellenwerte und gar noch durch eine Zumutbarkeitsgrenze die Anspruchsrealisierung für große Teile von Beschäftigten und hier insbesondere von in den Unternehmen bis zu dieser Größenordnung überwiegend beschäftigten Frauen diese hiervon ausgeschlossen werden. Das erscheint unvereinbar mit Art. 3 GG und dem staatlichen Auftrag zur Durchsetzung des Gleichbehandlungsgebotes zu sein und wird in der Praxis für die Ausgeschlossenen zu einer Verfestigung ihrer eigentlich allenthalben als unbefriedigend empfundenen Rechtssituation führen. Zudem ist der Bezugspunkt der tatsächlich beschäftigten Arbeitnehmer bei der Berechnung des Schwellenwertes / der Zumutbarkeitsgrenze für die damit dann in der Praxis tätigen Akteure zu einem enormen Aufwand führen und damit faktisch als weitere Einschränkung wirken.
In der Praxis ist zur Abwehr von im Einzelfall evtl. unberechtigten (Teilzeit-)Ansprüchen eine an den jeweiligen (möglichst dringenden) betrieblichen Gründen orientierte Argumentation völlig ausreichend. Den Arbeitgebern eine solche Argumentation erst gar nicht abzuverlangen, ist überhaupt nicht nachvollziehbar. Die Frage, wie ein Betrieb wirtschaftlich effizient geführt wird, muss stets eigenverantwortlich erfolgen. Die ggfs. Dazu möglicherweise im Widerstreit stehenden individuellen Freiheitsrechte sollten ausschließlich – wie auch sonst in vielen arbeitsrechtlichen Fragen - nur mit guten und nachvollziehbaren Gründen abgewehrt werden dürfen, die sich konkret auf die jeweilige Situation beim Arbeitgeber beziehen. Hinzu kommt: Nur ein solches Konzept, das eine an den individuellen Anforderungen einer Work-Life-Balance Arbeitszeitgestaltung ermöglicht, wird dem Interesse an einer langfristig erfolgreichen Unternehmensführung– auch in KMU – gerecht und schafft Voraussetzungen für ein für den wirtschaftlichen Erfolg so wichtiges gutes Betriebsklima. Deshalb sind die vielfältigen Einschränkungen des individuellen Freiheitsrechtes wie die Dauer der befristeten Teilzeitarbeit, seine Verlängerung oder Abänderung sowie seine Wiederbeantragung durch die restriktiven gesetzlichen - sowie den sogar punktuell zugelassenen zu Lasten von Beschäftigte möglichen verschlechternden tariflichen - Vorgaben nicht sachgerecht. Insbesondere für Härtefallsituationen wie etwa grundsätzliche Änderungen der Lebensumstände oder der familiären (Einkommens-)Situation sollte der Beschäftigte eine Änderung verlangen können; das erscheint schon unter Aspekten von Pflichtenkollisionen, also Zumutbarkeits-, und in jedem Fall unter Billigkeitsaspekten erforderlich.Rechtssystematisch überrascht, dass nunmehr ein ausdrückliches Ablehnungsrecht bei betrieblichen Gründen eingeführt werden soll (§ 9a Abs. 2 Satz 1 – E), während jetzt in § 8 Abs. 4 Satz 1 TzBfG auf ein Verlangen die Zustimmung zu erfolgen hat, es sei denn entgegenstehende betriebliche Gründe liegen vor. Der unterbreitete Regelungsvorschlag entspricht nicht dem Koalitionsvertrag, in dem sich eine solche restriktive Gestaltung nicht einmal angedeutet hat.
Zu den Neuregelugen der Arbeit auf Abruf (§ 12 – E):
Die in der betrieblichen Praxis und durch die Beratung- und teilweise auch der Prozesspraxis bekannt gewordenen Probleme machen in jedem Fall Änderungen dieser Beschäftigungsart erforderlich, um individuelle Freiheitsrechte und eine bessere Vereinbarkeit von Arbeit und Leben zu gewährleisten.
Um den bekannt gewordenen Verwerfungen wie der massenhaft in der Praxis praktizierten und bekannten Nichteinhaltung der Ankündigungsfristen und angesichts fehlender Sanktionen bei entsprechenden Verstößen, das Ausnutzen oft geringen betrieblichen Verbindungen zu anderen Beschäftigten, Problemen der Durchsetzung von Durchschnittsberechnungen etwa bei Entgeltfortzahlungsansprüchen im Falle von Urlaub und Krankheit, effektiv zu begegnen, reichen aber die im Referentenentwurf konzipierten Maßnahmen bei weitem nicht aus. Es stellt sich im Gegenteil die Frage, ob diese Beschäftigungsart auch in verbesserter, gesetzlicher Form überhaupt weiterhin akzeptiert werden sollte, da sie einseitige Gestaltungsmöglichkeiten zulässt, die ansonsten im Arbeitsverhältnis aus gutem Grunde ausgeschlossen sind und zugleich keinerlei zusätzliche Vorteile für Beschäftigte auf Abruf vorschreibt.
Wünschenswert wäre, dass der Gesetzgeber die bestehende Rechtsprechung des 5. Senats des BAG (24.9.2014, 5 AZR 1024/12) sich insofern zu eigen macht, dass bei fehlender Absprache einer Mindeststundenzahl, die gesetzlich vorgeschriebene Mindeststundenzahl als solche nur gilt, sofern in der Vergangenheit real weniger Stunden im Durchschnitt erbracht wurden. Wurden demgegenüber in der Vergangenheit bei fehlender vertraglicher Festlegung einer Mindeststundenzahl durchschnittlich mehr Stunden als das gesetzliche Minimum erbracht, müsste dies als vertraglicher Maßstab als vereinbart gelten. Dies muss dann sinngemäß auch für die Durchschnittsberechnung für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gelten, weil ansonsten eine Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten die Folge wäre und zugleich eine Verschlechterung gegenüber den zwingenden Regelungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes (Durchschnittsverdienst im Referenzzeitraum) erfolgen würde.
Die im Übrigen beabsichtigte Übernahme der umstrittenen Rechtsprechung des 5. Senats des BAG lässt eine zu weitgehende einseitige Gestaltungsmöglichkeit des Arbeitgebers zu und schränkt die Freiheitsrechte der Beschäftigten auf Abruf ohne jegliche Kompensation ein. Gesetzliche Öffnungsklauseln zur Verschlechterung der eh schon für Beschäftigte ungünstigen Beschäftigungsform sind darüber hinaus abzulehnen; bei solchen meist prekären Beschäftigungsverhältnissen würde das weiteren Wildwuchs Tür und Tor öffnen.
Alles in allem: Es besteht noch dringender Handlungsbedarf, um einen auch für die Beschäftigten zufriedenstellenden und praxisgerechten Gesetzeszustand herbeizuführen.