VDJ Info 05/2015 vom 27.04.2015

1. Themenschwerpunkt: Seenotrettung und sichere Zuflucht nach und in Europa tut not!

In einem Offenen Brief vom 22.04.2015 haben FIDH-AEHD (Föderation der Internationalen Liga für Menschenrechte und die Europäische Vereinigung für die Verteidigung der Menschenrechte) den Präsidenten des Europäischen Rates und die Staats- und Regierungspräsidenten der Europäischen Union aufgefordert, der Schande Europas ein Ende zu setzen.

Der Brief bringt die Bestürzung der Organisationen über die tragischen Vorfälle im Mittelmeer zum Ausdruck, die allein Mitte April 1.200 Leben forderten. Sie verlangen von der EU und ihren Mitgliedsstaaten dringend Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, dem Massensterben vor den Außengrenzen der EU ein Ende zu setzen und rufen die EU auf, umgehend eine EU–weite Such– und Rettungsoperation im Mittelmeer nach dem Vorbild der im November 2014 eingestellten Mare–Nostrum–Organisation Italiens aufzubauen. Schließlich fordern sie die EU auf, die Dublin II/III Regelungen zu reformieren, die die Südsaaten Europas unverhältnismäßig stark mit der Rettung von Leben im Mittelmeer belasten. Des Weiteren verlangt der Brief von der EU und ihren Mitgliedsstaaten, glaubhaft und verbindlich Verantwortung dafür zu übernehmen, dass solche Tragödien sich nicht mehr wiederholen, was nur zu gelingen vermag, wenn die verplombten legalen Fluchtwege nach Europa wieder geöffnet werden.

https://www.fidh.org/International-Federation-for-Human-Rights/europe/end-europe-s-shame-open-letter-to-the-european-council

Die EJDM hat sich inzwischen neben über 30 Organisationen dem Appell an den Europarat angeschlossen.

www.aedh.eu/Migrants-in-the-Mediterranean-32.html

Nach Einschätzung von Pro Asyl vom 24.04.2015 wird das Sterben im Mittelmeer nach den Beschlüssen des EU-Gipfels weitergehen. Beschlossen worden sei ein "Programm der Flüchtlingsbekämpfung und Seenotrettung 'light'".

http://www.proasyl.de/de/news/detail/news/eu_beschliesst_weiteres_programm_zur_fluechtlingsbekaempfung_und_eine_seenotrettung_light/

Die Europäische Union muss nach Internationalem Recht die Bootsflüchtlinge retten und aufnehmen. Das ist das Ergebnis einer eingehenden jurisitschen Betrachtung von Pro Asyl mit vielen strittigen Fragen: Seenotrettung ist essentielle humanitäre Pflicht. Doch auch Völkerrecht, Seerecht und EU-Menschenrecht verpflichten zur Rettung. Dabei sind enge Grenzen gesetzt: Die angedachten Pull-Backs in Richtung Libyen, Tunesien oder Ägypten etwa verbieten das Völkerrecht und das Seerecht. Was ist ein sicherer Hafen? Wann und durch wen muss gerettet werden?

www.proasyl.de/de/news/detail/news/internationales_recht_die_eu_ist_verpflichtet_fluechtlinge_aus_seenot_zu_retten_und_aufzunehmen/

In einem Interview mit den von der Humanistischen Union herausgegebenen "vorgänge" halten Prof. Dr. Jürgen Bast und Prof. Dr. Daniel Thym das Asylsystem der Europäischen Union für relativ liberal. Das Problem sei "nur", inwiefern Flüchtlinge überhaupt Zugang zu diesem System erlangen können. Im Gespräch erläutern sie die strukturellen Probleme in der Anwendung und Umsetzung des europäischen Asylrechts, bei der Grenzsicherung und der Verteilung der Aufgaben innerhalb der EU.

http://www.humanistische-union.de/nc/aktuelles/aktuelles_detail/back/aktuelles/article/der-zustand-des-europaeischen-und-deutschen-asylsystems/

2. Fachtagung zu TTIP, CETA und TiSA, Auswirkungen auf Rechtsstaat und Demokratie?

Es blieb auf der Fachtagung zu TTIP, CETA und TiSA am 11.04.2015 mit mehr als 130 Teilnehmer*innen, veranstaltet von VDJ, Bundesfachgruppe der Richter*innen und Staatsanwält*innen in ver.di, NRV und RAK Berlin bei den scharfen nicht überbrückbaren Gegensätzen zwischen entschiedenen Befürworter*innen und Gegner*innen der Freihandelsabkommen.

Neben Fragen der Einschränkung nationaler Regulierungsbefugnisse und Souveränitätsverzicht in diversen Bereichen staatlichen Handelns, konzentrierte sich die Kontroverse auf die Schiedsgerichte, die angesichts des beiderseits hoch entwickelten Rechtsschutzes als nicht notwendig angesehen und deshalb abgelehnt wurden, weil sie in die hoheitlichen Befugnisse der Europäischen Union und Deutschlands eingreifen können.

www.vdj.de/mitteilungen/nachrichten/nachricht/verdi-richterinnen-und-staatsaenwaeltinnen-vdj-und-nrv-juristenverbaende-wenden-sich-gegen-schiedsgerichte/f3b0c704fa8f0f42e52fa28d15aa7a3c/

In der Berichterstattung über die Veranstaltung wurden aber auch innerhalb des gegnerischen Lagers deutliche Differenzen ausgemacht:

"Weniger erfreulich als die mögliche Bewegung in Sachen Schiedsgerichte ist, dass ver.di zwischenzeitlich den Widerstand gegen TTIP und CETA weichgespült zu haben scheint. (...) Michael Fischer (der das Ressort Politik und Planung leitet) durfte verkünden, dass ver.di zwar irgendwie dagegen sei, aber nichts gegen Freihandel habe und mitdiskutieren wolle. Die grundsätzliche Kritik überließ er Andreas Fisahn, der an der Universität Bielefeld lehrt und im wissenschaftlichen Beirat von ATTAC sitzt. Der machte darauf aufmerksam, dass das EU-Handelsmandat für TTIP unter anderem auch eine weitere Liberalisierung der Finanzmärkte vorsehe. Freihandel verschärfe die Umweltkrise und führe automatisch zur Absenkung sozialer Standards, wie man bereits in der EU sehen könne. Mit CETA werde außerdem das in Deutschland und in der EU geltende Vorsorgeprinzip ausgehebelt. Als Fazit der Tagung bleibt, dass die Bundesregierung vor allem den Schutz deutscher Konzerne im Ausland und den Zugriff auf die bisher sehr abgeschotteten öffentlichen Aufträge in den USA im Auge hat, während Gewerkschaften und auch Vertreter der Kommunen das Dogma der Exportorientierung nicht in Frage stellen mögen."

https://www.jungewelt.de/2015/04-14/012.php?sstr=VDJ

Die Vorträge bzw. Präsentationsfolien und die Podiumsdiskussion werden demnächst auf der Webseite der VDJ eingestellt werden.

3. VDJ spricht sich gegen Tarifeinheitsgesetz aus

Auf der Bundesvorstandssitzung am 21.03.2015 hat sich der Bundesvorstand und Arbeitskreis Arbeitsrecht in einer Stellungnahme klar gegen das Tarifeinheitsgesetz gewandt, mit dem unzulässig in die Koalitionsfreiheit der Arbeitnehmervereinigungen eingegriffen werde und bei dem bei einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung die Gefahr der "Einhegung" des Arbeitskampfrechts bestehe. Die VDJ sieht keine Notwendigkeit für eine gesetzliche Regelung und bewertet den Gesetzentwurf als "nicht nur schlecht gemacht, sondern auch falsch gemeint."

http://www.vdj.de/mitteilungen/nachrichten/nachricht/nicht-nur-schlecht-gemacht-sondern-auch-falsch-gemeint-vereinigung-demokratischer-juristinnen-und-juristen-spricht-sich-klar-gegen-ein-sog-tarifeinheitsgesetz-aus/3bf385f7e69ed262b7cfdfaa21296861/

4. Gesetzentwurf Bleiberechtsregelung/ Aufenthaltsbeendigung

Bereits am 22.03.2015 hat im Bundestag eine umfangreiche Sachverständigenanhörung  zum Gesetzentwurf stattgefunden. Die 2. und 3. Lesung des Gesetzes ist voraussichtlich für den 08.05.2015 vorgesehen.

Alle Stellungnahmen der Sachverständigen, aber auch unaufgeforderte Stellungnahmen zum Gesetzentwurf (unter anderem vom UNHCR, PRO ASYL, amnesty international, BAGVW), finden sich hier:

http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse18/a04/anhoerungen/42_sitzung_inhalt/364474

Eine knappe Zusammenfassung der Anhörung ist auch von "Heute im Bundestag" vom 23.03.2015 aufbereitet worden:

https://www.bundestag.de/presse/hib/2015_03/-/366600

Schwere Kritik äußert das Komitee für Grundrechte insbesondere an den geplanten Abschiebehaftregelungen:

„Der zweite Teil des Gesetzentwurfes ist allein unter dem  Vorsatz geschrieben worden, Abschiebungen mittels Freiheitsentzug zwangsweise durchsetzen und beschleunigen, sowie Ausgrenzungen unerwünschter Flüchtlinge vornehmen zu können. Dabei hat man in der CDU und SPD offensichtlich jegliches menschenrechtliche und humane Maß verloren. Denn die Inhaftierung von Flüchtlingen und Asylsuchenden wird mit diesem Gesetzesentwurf und seinen Eingriffsrechten extrem erleichtert. In das Grundrecht der Freiheit der Person wird allein aus Gründen, die Arbeit der Flüchtlingsverwaltung zu optimieren, schwerwiegend eingegriffen.“

http://www.grundrechtekomitee.de/node/679

5. NRV: Vorratsdatenspeicherung reloaded

Zur Unzeit und völlig unnötig ist das Projekt der Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung wieder vom Bundesjustizministerium aufgenommen worden: Unnötig allein schon deswegen, weil auf EU-Ebene von einer Richtlinie inzwischen abgesehen wird.

Die Neue Richtervereinigung unterstreicht in ihrer Stellungnahme vom 21.04.2015 die Ineffektivität anlassloser Datenspeicherung, die bereits vom Bundersverfassungsgericht im Urteil vom 02.03.2010 als schwere Grundrechtsbeeinträchtigung qualifziert worden ist.

https://www.neuerichter.de/details/artikel/article/vorratsdatenspeicherung-reloaded-399.htm

6. Termine und Veranstaltungen

  • Unter dem Thema "Griechenlands aktuelle Entschädigungsforderungen an Deutschland und das Recht"- NS-Zwangsanleihe von 1942, staatliche Reparations- und private Schadensersatzansprüche lädt IALANA am Dienstag, 12.05.2015 von 18.00-21.30 Uhr | Festsaal der Humboldt-Universität zu Berlin | Luisenstraße 56, 10115 Berlin zu einer Vortrags- und Diskussionsveranstaltung u. a. mit Prof. em. Dr. Hagen Fleischer, Dr. Dieter Deiseroth und den Bundestagsabgeordneten Katja Keul, Wolfgang Gehrcke, Dr. Eva Högl (angefragt) ein.                                                          
    Programm: http://www.ialana.de/aktuell/veranstaltungen/veranstaltungen-in-2015/1144-12-05-15-griechenlands-aktuelle-entschaedigungsforderungen-an-deutschland-und-das-recht.
  • Anmeldung: kongress@ialana.de, Betreff: Griechenland
  • Vorankündigung Jubiläumsveranstaltung: 30 Jahre Arbeitskreis Arbeitsrecht am Samstag, den 31.10.2015 in Frankfurt am Main in der IG Metall Vorstandsverwaltung (Main-Forum), Wilhelm-Leuschner-Str. 79. Programm folgt.

7. Paech und Topçuoğlu: Untersuchung zur Lösung der kurdischen Frage

Norman Paech und Sebahattin Topçuoğlu haben eine umfangreiche Untersuchung, die bereits im Herbst des letzten Jahres erschienen ist, zu "Minderheitenschutz, Selbstbestimmungsrecht und Autonomie" - Zu den rechtlichen Grundlagen für eine Lösung der kurdischen Frage in der Türkei vorgelegt. Die Untersuchung, die auf der Seite der EJDM zum Herunterladen eingestellt ist, hat besondere Aktualität, weil nicht nur die bislang erfolgreich umgesetzten basisdemokratischen Selbstverwaltungsstrukturen in den kurdischen Gebieten in der Türkei, sondern auch in den Kantonen Nordsyriens - in Rojava - durch die Terrormiliz "Islamischer Staat" bedroht sind.

http://www.eldh.eu/fileadmin/user_upload/ejdm/publications/2014/Paech__Topcuoglu_-_Minderheitenschutz.pdf

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