20 Jahre Dresdner Plädoyer für eine unabhängige Staatsanwaltschaft
„Schneiden Sie diesen alten preußisch-deutschen Zopf endlich ab!“
Jürgen Schär, Bundesvorstandsmitglied der VDJ und OStA i.R. auf der Tagung am 02.11.2023, an die anwesende sächsische Staatsministerin der Justiz, für Demokratie, Europa und Gleichstellung zum sogen. externen Weisungsrecht der Exekutive gegenüber den Staatsanwaltschaften gewandt.
I.
Vor 20 Jahren – am 21.09.2003 – tagten im Sächsischen Landtag Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, Vertreter der Juristenorganisationen NRV, VDJ und EJDM mit Abgeordneten des Sächsische Landtages der Fraktionen PDS, SPD und Bündnis 90/Die Grünen und wandten sich mit dem „Dresdner Plädoyer“ an Öffentlichkeit und Politik.
Sie forderten aus der historischen, kriminalpolitischen und verfassungstheoretischen Notwendigkeit heraus u.a.:
- die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft von der politischen Exekutive,
- insbesondere die Abschaffung des externen Weisungsrechts;
- die Abflachung / Demokratisierung staatsanwaltschaftlicher Hierarchien durch die Bildung von Präsidien und „gesetzlichen Abteilungen“ in den Behörden;
- die Neuordnung des tatsächlichen Verhältnisses von Staatsanwaltschaften und Ermittlungsbehörden sowie
- die Konzentration der Staatsanwaltschaften auf die schwere Kriminalität durch eine weitreichende Entpönalisierung im Bereich der Bagatelldelikte.
II.
Was hat sich seitdem getan?
Leider wenig bis nichts…
denn die jeweils regierenden Parteien wollen ihre Möglichkeiten der Einflussnahme nicht aufgeben.
Dabei verkennen wir nicht die Bemühungen der sächsischen Koalitionsregierung, im Rahmen von Bundesratsinitiativen die Abschaffung des externen Weisungsrechts und eine Entpönalisierung bei Bagatelldelikten zu fordern.
Die gegenwärtige gesellschaftspolitische und internationale Lage, insbesondere
- die voranschreitende Europäisierung der Strafverfolgung,
- die Gefahr der Internationalisierung teilweise unlauterer Geschäftspraktiken globaler Wirtschaftsunternehmen und
- das wachsende Gewicht von Sicherheit und Sicherheitsbehörden in Zeiten von Krieg, Terror und drohenden innenpolitischen Verwerfungen
erfordern umso mehr starke, unabhängige Staatsanwaltschaften mit ihrer „Scharnierfunktion“ zwischen Justiz und Sicherheitsbehörden und als rechtliches Korrektiv. Diese Entwicklungen unterstreichen die Aktualität und Dringlichkeit der Forderungen des „Dresden-Plädoyers“.
III.
Langfristiges Ziel ist und bleibt die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaften in einer personell – und sachlich – selbstverwalteten Justiz als „Schlussstein“ des Gewalten - geteilten, demokratischen Rechtsstaates.
Zunächst aber rufen wir die verantwortlichen Politiker im Sächsischen Landtag, der Staatsregierung und des Justizministeriums dazu auf:
- Starten Sie einen neuen Vorstoß zur Abschaffung des externen Weisungsrechts durch Reform der §§ 145 – 148 GVG.
- Sorgen Sie endlich für den Ausbau tatsächlicher Mitbestimmungsrechte der staatsanwaltschaftlichen Personalvertretungen.
- Schaffen Sie durch die Einrichtung demokratisch gebildeter Präsidien, die über die Verteilung der Geschäfte entscheiden, die Grundlage für eine in gesetzlicher Gebundenheit eigenverantwortlich entscheidende Staatsanwaltschaft.
- Stärken Sie die Rolle der Staatsanwaltschaften gegenüber den Ermittlungsbehörden durch die Beförderung von GEG (Gemeinsamen Ermittlungsgruppen) und eröffnen Sie der Staatsanwaltschaft Möglichkeiten, auch auf personelle Entscheidungen im Ermittlungsbereich Einfluss nehmen zu können.
- Unterstützen Sie die Bemühungen der Staatsanwaltschaften um eine Konzentration der Strafverfolgung auf die schwere Kriminalität u.a. durch eine Entpönalisierung bei den Bagatelldelikten.
Dresden, Dreikönigskirche am 02.11.2023
Die Vertreter des Landesverbandes Sachsen der NRV und der VDJ – Regionalgruppe Dresden/Leipzig auf der Tagung zum 20. Jahrestag des Dresden-Plädoyers für eine unabhängige Staatsanwaltschaft.