Erklärung

Appell an Innenminister Friedrichs: Roma aus Serbien brauchen Schutz!

In einem offenen Brandbrief greift die Rechtsanwältin Ilka Feyerabend (VDJ) die Äußerungen des Innenministers Friedrich vor dem EU-Treffen der Innen- und Justizminister am 25.10.2012 an, die Regeln für Asylsuchende aus Serbien und Mazedonien zu verschärfen. Mit solchen unverantwortlichen Äußerungen würden "Romaflüchtinge aus Serbien ins Unrecht gesetzt. Äußerungen dieser Art seien gefährlich, weil sie auf den auch in Deutschland fruchtbaren Boden des Rassismus fallen, Ängste vor Überfremdung und Verelendung schüren, anstatt den menschenlichen Impetus der Nächstenliebe und des aufklärerischen Interesses zu stützen".

Herrn
Dr. Hans-Peter Friedrich
Bundesministerium des Innern
Alt-Moabit 101 D
Vorab per Fax: 030/18 681-2926


Berlin, den 25.10.2012

Ihre Äußerungen in der Öffentlichkeit betreffend die Flüchtlinge aus Serbien

Sehr geehrte Herr Minister Dr. Friedrich,

mit großer Sorge habe ich Ihre öffentlichen Äußerungen wahrgenommen, die die vermehrte Asylantragstellung von Roma aus Serbien in Deutschland betreffen.

Sie diffamieren diese Menschen und würdigen ihre Beweggründe herab, ganz augenscheinlich, ohne auch nur mit einer dieser Familien jemals gesprochen zu haben, ohne sich sachkundig gemacht zu haben über die tatsächliche Lage dieser Menschen in ihrer Heimat, die zur Flucht nach Deutschland geführt hat.

Ich vertrete viele dieser Flüchtlinge anwaltlich. Mir begegnen ununterbrochen Berichte von Verstößen gegen die Menschenrechte im Heimatland Serbien.

Die Asylverfahren meiner Mandanten werden alle mit der Bezeichnung „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt. Die Textbausteine des Ihrem Ministerium unterstehenden Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge weisen auf die asylrechtlich nicht vorhandene Bedeutung des Sachvortrages meiner Mandanten hin.

Der Sachvortrag meiner Mandanten führt in meinen Augen aber zu der Erkenntnis, daß eine Gruppenverfolgung von Roma in Serbien besteht. Aus folgenden Gründen:

Roma sind in Serbien absolut rechtlos gestellt.

Die sogenannten Minderheitenräte, die das Bundesamt in all seinen Ablehnungsbescheiden erwähnt, bestehen nur auf dem Papier. Es gibt in diesen Räten keine Personen, die selber Roma sind oder auch nur ansprechbar für die Belange der Roma wären. Auch die Roma-Dekade 2005-2015 ist nur ein kosmetisches Mittel, das das Papier nicht wert ist, auf dem es formuliert wurde, das die Republik Serbien pro forma ausstellt, um vorzutäuschen, es gäbe eine aktive Minderheitenpolitik.

Es ist keinem einzigen meiner Mandanten, die dem Kreis der Roma aus Serbien zugehörig sind, möglich gewesen, Zugang zu den Minderheitenräten zu bekommen. Den meisten sind diese nicht einmal dem Namen nach bekannt. Die meisten von ihnen haben noch nie von der Roma-Dekade gehört. Die wenigen, die davon gehört haben, meinen, das sei etwas, das sich die serbische Regierung ausgedacht habe, um die EU zu beeindrucken.

Die aktive Minderheitenpolitik sieht so aus, daß Minderheiten, vor allem aber Roma in jeder nur erdenklichen Lebenssituation diskriminiert und gedemütigt werden. Sie können abends nicht ungefährdet die Straße betreten, ohne daß die Gefahr besteht, geschlagen, angespuckt, angepöbelt zu werden. Frauen werden sexuell belästigt und betatscht bis hin zu massiven sexuellen Übergriffen und Vergewaltigungen. Jede dritte der von mir vertretenen Frauen hat bereits Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen gemacht und diese mir gegenüber geäußert oder sie sind mir auf anderem Wege bekannt geworden (diese Dinge sind auch in unserer Gesellschaft noch immer mit einer großen Schamschwelle belegt).

Personen der Mehrheitsgesellschaft der Serben sehen oft tatenlos zu, spenden Beifall oder machen sogar mit. Behörden bieten keinen Schutz vor solchen Übergriffen. Manchmal werden zwar die Anzeigen aufgenommen, was bereits ein enormer Fortschritt zu den Situationen ist, wo die Roma einfach weggeschickt werden. Nach erstatteter Anzeige passiert jedoch gar nichts, selbst wenn die Täter bekannt sind.

Das Lehrpersonal in den Schulen sieht tatenlos zu, wie Romakinder von ihren serbischen Altersgenossen verprügelt werden, wie ihnen das Geld für die Essensversorgung oder das mitgebrachte Essen weggenommen und/ oder in den Dreck geworfen wird. Aufgrund der finanziellen Not der Roma, haben die Kinder oft keine Schulbücher, so daß sie immer wieder Ziel von Spott und Häme werden und auch nicht richtig am Unterricht teilnehmen können, weil sie keinen Zugang zu kostenlosen Lehrmitteln haben.

Es werden für Romakinder diskriminierende Sonderklassen eingerichtet, weil man ihnen die Fähigkeit, eine normale Bildung zu erwerben, nicht zutraut. Die rassistische Zuschreibung, Roma seien intellektuell sämtlich unterbelichtet, ist gesellschaftlicher Konsens in Serbien.

Roma können froh sein, wenn sie den vereinbarten Lohn für geleistete Arbeit, der sowieso unter dem liegt, was Serben für die gleiche Arbeit erhalten, auch wirklich erhalten. Oft kriegen sie nur Naturalien oder werden schamlos ausgebeutet, indem man ihnen nach getaner Arbeit sagt, sie sollen verschwinden.

Das Bundesamt schreibt weiter, es werde nicht verkannt, daß die Lebensbedingungen für Flüchtlinge und Heimkehrer in der Regel sehr schwierig sind und viele auf die humanitäre Hilfe internationaler Organisationen angewiesen sind. Gleichwohl (!!?) liegen keine existenziellen Gefährdungen vor, die nach ihrer Intensität und Schwere einer Rechtsgutbeeinträchtigung gleichkommen.

Das Gegenteil ist der Fall. Das, was sich für die Roma in Serbien derzeit abspielt, ist eine humanitäre Katastrophe. Nicht umsonst sind die wenigen Menschen, denen es gelingt, all ihr Hab und Gut zu verkaufen, um nach Deutschland zu gelangen, und hier mit letzter Kraft ankommen, oft krank und ausgezehrt.

Ich frage Sie persönlich, ob Ihnen ein einziger der derzeit zahlreichen Fernsehberichte über die Lage der Roma in Serbien und Mazedonien bekannt ist.

Es stehen darüber hinaus auch im Internet genügend Materialien zur Verfügung, die weitere Hinweise dafür enthalten, daß die vorgetragenen Einzelschicksale keine Ausnahmen sondern die Regel sind, daß die betroffenen Menschen keine Asylbetrüger sind, wie von Ihnen persönlich sehr fahrlässig wiederholt in der Öffentlichkeit kundgetan wurde.

Auch die Politik der EU schürt weiterhin den Fremdenhaß und Ressentiments gegenüber armen notleidenden Flüchtlingen. So meinten die Berichterstatter des Grundrechteausschusses des Europaparlaments Agustin Diaz de Mera und Garcia Consuegra, die Roma-Flüchtlinge aus Serbien, Montenegro und Mazedonien würden „in das Gebiet der Union einreisen“ (COM (2011)0290- C7-0135/2011 – 2011/0138(COD)), „um mit fadenscheinigen Begründungen internationalen Schutz zu beantragen“.

Meine Mandanten bedürfen des Schutzes. Ihre Begründungen sind nicht fadenscheinig und sie sind auch keine Asylbetrüger.

Ich appelliere an Sie, sich doch einmal an einem gewöhnlichen Wochentag in die Zentrale Aufnahmeeinrichtung in Berlin in der Turmstraße zu begeben und in die Gesichter der Menschen zu sehen.

Was Sie dort sehen werden, sind nicht Lug und Betrug, sondern tiefste Erschöpfung, Elend und Angst.

Durch die Bestrebungen der EU im Jahre 2011, den Zustrom von Notleidenden aus Serbien und anderen Staaten Osteuropas zu stoppen, wurde die Diskriminierung in ihrem jeweiligen Heimatland sogar verstärkt, wie durch die im Internet einsehbaren Dokumente nachgewiesen wird.

Ich verweise insbesondere auf die Dokumentation des Regional Minority Centers (Belgrad): „Die Visaliberalisierung und das Asylrecht – RCM Vorabfassung“. Dieser Bericht stützt evident das von mir Wahrgenommene. Der Bericht wird von einer verläßlichen Nichtregierungsorganisation gefertigt, die auf nachweisbare Quellen zurückgreift. Jede einzige der hier getroffenen Feststellungen ist konkret nachweisbar.

Damit haben sich die Staaten der EU mitverantwortlich gemacht für das stetige Anwachsen des Rassismus in Serbien gegen Roma einschließlich der Haßkriminalität und für das weitere Eskalieren der humanitären Katastrophe in Serbien für das Volk der Roma.

Das gestrige Ereignis der Einweihung eines Denkmals für die in Deutschland ermordeten Sinti und Roma während der Nazizeit wirkt auf mich angesichts dieser Politik zynisch.

Es besteht in Serbien quasistaatliche Verfolgung der Roma, da staatliche Behörden in Serbien weder willens noch in der Lage sind, Schutz vor Übergriffen zu bieten und die Grund- und Menschenrechte der Roma zu wahren.

Es besteht in Serbien sogar staatliche Verfolgung der Roma, da der Staat selbst eine Politik der institutionellen Diskriminierung durch Vorschriften und Praxen betreibt, die die Roma defavorisieren (Vergl. Regional Minority Centers (Belgrad): „Die Visaliberalisierung und das Asylrecht – RCM Vorabfassung“, Seite 3, 1. Absatz).

Ihre Äußerungen setzen meine Mandanten und andere Romaflüchtlinge aus Serbien ins Unrecht. Sie sind gefährlich, da sie von einer gebildeten autoritären Persönlichkeit des öffentlichen Lebens kommen, da sie auf den auch in Deutschland fruchtbaren Boden des Rassismus fallen, da sie Ängste innerhalb der deutschen Bevölkerung schüren, Ängste vor Überfremdung, vor Verelendung. Anstatt den menschlichen Impuls der Nächstenliebe, des aufklärerischen Interesses zu stützen, machen Sie es sich sehr einfach. Und durch Ihre Autorität appelieren Sie auch an andere Menschen, es sich einfach zu machen. Probleme werden so nicht gelöst, sondern weggeschoben. Schlimmer noch, die Probleme werden verschärft.

Überdenken Sie Ihre persönliche Verantwortung und versuchen Sie nicht lediglich, die Wählerstimmen am rechten Rand der Gesellschaft zu gewinnen.

Mit freundlichen Grüßen

Ilka Feyerabend
Rechtsanwältin

Bei Presserückfragen wenden Sie sich an: Dr. Andreas Engelmann, Bundessekretär der VDJ, Tel.: 06971163438, E-Mail: bundessekretaer@vdj.de
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