Erklärung

Aufklären und Einmischen: Konsequenzen aus der rassistischen Mordserie ziehen

Mehr als ein halbes Jahr nach der Selbstenttarnung des NSU in Eisenach (Thüringen) sind die parlamentarischen Untersuchungsausschüsse im Bundestag, in Thüringen und in Sachsen bei der Aufklärung der Hintergründe der NSU-Mordserie kaum einen Schritt weiter gekommen. Der Verdacht der direkten oder indirekten Unterstützung des NSU-Netzwerks durch Geheimdienste steht mehr denn je im Raum. Ein Geheimdienst, der nichts von der Mordserie des NSU wusste, wird nicht gebraucht; ein Apparat, der sich nicht kontrollieren lässt und der eventuell wissentlichdie Augen vor rassistischen Taten verschlossen hat, ist gefährlich und gehört abgeschafft.

In Anbetracht der beispiellosen rassistischen Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) fordern wir echte, schonungslose Aufklärung und politische Konsequenzen. Notwendig ist jetzt Solidarität mit all jenen, die von Rassismus betroffen und von der extremen Rechten bedroht sind.

Diese Morde markieren eine Zäsur in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Nicht allein, weil ein neonazistisches Terrornetzwerk mit einem breiten Unterstützer*innenkreis mehr als zehn Jahre lang unentdeckt in Deutschland leben und morden konnte. Sondern auch, weil diese Mordserie erst durch das komplette Versagen der Sicherheits- und Geheimdienste der Länder und des Bundes möglich wurde. Dieses Versagen ist auch durch rassistische Vorannahmen in der Ermittlungslogik begründet. Eine Zäsur auch deshalb, weil eine öffentliche Solidarisierung mit den Opfern und den Hinterbliebenen bislang kaum stattgefunden hat. Diese mangelnde Empathie der Mehrheitsgesellschaft lässt die Betroffenen nach wie vor allein und ermutigt rassistische und rechte Täter*innen zu weiterer Gewalt.

Mehr als ein halbes Jahr nach der Selbstenttarnung des NSU in Eisenach (Thüringen) sind die parlamentarischen Untersuchungsausschüsse im Bundestag, in Thüringen und in Sachsen bei der Aufklärung der Hintergründe der NSU-Mordserie kaum einen Schritt weiter gekommen. Der Verdacht der direkten oder indirekten Unterstützung des NSU-Netzwerks durch Geheimdienste steht mehr denn je im Raum. Ein Geheimdienst, der nichts von der Mordserie des NSU wusste, wird nicht gebraucht; ein Apparat, der sich nicht kontrollieren lässt und der eventuell wissentlichdie Augen vor rassistischen Taten verschlossen hat, ist gefährlich und gehört abgeschafft.

Die politischen Schlussfolgerungen, die bisher aus der NSU-Mordserie gezogen wurden, führen in die falsche Richtung. Anstatt sich mit den rassistischen Vorurteilen in der Ermittlungslogik sowie den eklatanten Fehleinschätzungen in Bezug auf die Neonazibewegung in Deutschland auseinanderzusetzen, wird die Sicherheitsarchitektur weiter ausgebaut. Eine grundlegende Diskussion über Rassismus in der Mitte der Gesellschaft wird konsequent vermieden.

Wir, die Unterzeichner*innen, rufen dazu auf:

  • die parlamentarischen Untersuchungen des Neonazi- und Geheimdienstskandals aufmerksam zu beobachten. Konsequenzen und Aufklärung setzen zivilgesellschaftliches Interesse und Druck voraus. Wichtig ist, diese aufmerksame Beobachtung auch mit einer kritischen Selbstreflexion innerhalb von antifaschistischen Gruppen, Medien und anderen zu verbinden, den Betroffenen zuzuhören und deren Perspektiven ernst zu nehmen

Wir unterstützen:

  • das „Bündnis gegen das Schweigen“ beim Aufbau einer unabhängigen Beobachter*innengruppe für die parlamentarischen Untersuchungsausschüsse.

Wir fordern:

  • die umfassende und schonungslose Aufklärung aller Vorgänge bei den Sicherheits- und Geheimdiensten in Bezug auf das Netzwerk des NSU und seiner Unterstützer*innen.
  • personelle und strukturelle Konsequenzen in den Reihen der zuständigen Geheimdienste, Ermittlungsbehörden und an den politisch verantwortlichen Stellen
  • eine umfassende Entschädigung aller Angehörigen und Hinterbliebenen der NSU-Anschläge durch die Bundesregierung.
  • eine ernsthafte Debatte über die Notwendigkeit des Verfassungsschutzes.
  • die Anerkennung der Arbeit sowie die langfristige Finanzierung von Opferberatungsstellen, Mobilen Beratungsteams und anderen zivilgesellschaftlichen Akteur*innen.
  • ein Bleiberecht für alle Opfer rassistischer Gewalt.
  • ein Ende der rassistischen und unmenschlichen Abschiebepraxis der Bundesrepublik Deutschland und eine willkommensorientierte Einwanderungspolitik.
  • eine Diskussion, die nicht allein rechten und rassistischen Terror, sondern auch Rassismus in staatlichen, medialen und gesellschaftlichen Institutionen und Diskursen zum Thema macht.


ErstunterzeichnerInnen
( Stand 1. Juni 2012)

Heilgard Asmus, Generalsuperintendentin und Vorsitzende des Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit
Cicek Bacik, Vorstandssprecherin, Türkischer Bund in Berlin-Brandenburg
Canan Bayram, MdA, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Berlin
Volker Beck, MdB, erster parlamentarischer Geschäftsführer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Pascal Begrich, Geschäftsführer, Miteinander e.V. – Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt
Eva Bulling-Schröter, MdB, DIE LINKE
Sevim Dagdelen, MdB, DIE LINKE
Michael Ebenau, Gewerkschaftssekretär, IG Metall, Jena
Philippa Ebéné, Geschäftsführerin, Werkstatt der Kulturen, Berlin
Dagmar Enkelmann, MdB, DIE LINKE
Kurt Gosweiler, Historiker, Berlin
Claudia Hahn-Raabe, Leiterin des Goethe Instituts Istanbul, Türkei
Martin Heiming, Rechtsanwalt, Vorsitzender des Republikanischen Anwältinnen-
und Anwaltsverein e.V. (RAV ) in Berlin / Wohnort in Heidelberg
Katja Herrlich, Rechtsanwältin, Frankfurt/Oder
Ulla Jelpke, MdB, DIE LINKE
Anetta Kahane, Vorsitzende, Amadeu Antonio Stiftung, Berlin
Mely Kiyak, Publizistin, Berlin
Bianca Klose, Geschäftsführerin, Verein für Demokratische Kultur in Berlin e.V.
Kenan Kolat, Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland
Prof. Michael, Klundt Fachbereich Angewandte Humanwissenschaften, Hochschule Magdeburg-Stendal
Kerstin Köditz, MdL, DIE LINKE, Sachsen
Stephan Kramer, Generalsekretär, Zentralrat der Juden in Deutschland
Shermin Langhoff, Künstlerische Leitung, Ballhaus Naunynstraße, Berlin
Monika Lazar, MdB, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Rudolf Leiprecht, Prof. für Sozialpädagogik und Diversity Education, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Steffi Lemke, Politische Geschäftsführerin, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Johannes Lichdi, MdL, Rechtspolitischer Sprecher, Fraktion Bündnis 90 / DIE GRÜNEN im Sächsischen Landtag
Gesine Lötzsch, MdB, Fraktion DIE LINKE
Helma Lutz, Prof. für Frauen- und Geschlechterforschung, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt
Ulrich Maurer MdB, DIE LINKE
Angela Melitopoulos, Filmemacherin/Videokünstlerin, Berlin
Ursula Mende, Rechtsanwältin, Bundesgeschäftsführerin der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen e.V.
Özcan Mutlu, MdA, B90/DIE GRÜNEN, Berlin
Karl Nolle, MdL, SPD, Sachsen
Jens Petermann, MdB, DIE LINKE
Günter Piening, Beauftragter des Senats von Berlin für Integration und Migration
Jan Raabe, Sozialpädagoge, Argumente & Kultur gegen Rechts e.V.
Prof. Regina Römhild, Institut für Europäische Ethnologie, Humboldt-Universität zu Berlin
Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma
Claudia Roth, MdB, Bundesvorsitzende, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Astrid Rothe-Beinlich MdL, Vizepräsidentin des Thüringer Landtags und Parlamentarische Geschäftsführerein der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Bundesvorstand BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Dirk Stegemann, VVN-BdA, Berlin
Mark Terkessidis, Journalist, Autor, Migrationsforscher, Berlin
Marianne Thum, Opferberaterin, Dresden
Dr. Gerd Wiegel, Referent für Rechtsextremismus/ Antifaschismus Fraktion DIE LINKE im Bundestag
Sandro Witt, DGB Vorsitzender Jena / Saale Holzlandkreis und Regionalleiter DGB Büro Ostthüringen
Salih Alexander Wolter, Publizist

Organisationen:

AFROTAK TV cyberNomads – Das Schwarze Deutsche Medien Kultur und Bildungsarchiv e.V.
AK “Marginalisierte – gestern und heute“
Aktion Freiheit statt Angst e.V.
Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e.V.
Antifaschistisches Pressearchiv und Bildungszentrum e.V. (apabiz)
Antirassistische Initiative e.V., Berlin
Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche & Rechtsextremismus
Die AnStifter – Bürgerprojekte gegen Gewalt und Vergessen, Stuttgart
Ezra – mobile Beratung für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt; bund evangelischer jugend in mitteldeutschland (bejm)
Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus
IG Metall Jugend
Initiative Schwarze Menschen in Deutschland – ISD Bund e.V.
JungdemokratInnen/Junge Linke Bundesverband
Jusos in der SPD, Bundesverband
Kampagne „Kein Bock auf Nazis!“
Kampagne “Zusammen handeln! Gegen rassistische Hetze und soziale Ausgrenzung! Kanak Attak
LOBBI – Landesweite Opferberatung, Beistand und Information für Betroffene rechter Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern
Miteinander e.V. – Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt e.V.
Mobile Beratung für Opfer rechter Gewalt in Sachsen-Anhalt
NaturFreunde Berlin
Opferperspektive e.V. .
ReachOut – Opferberatung und Bildung gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus, Berlin
Wohn- und Ferienheim Heideruh e.V. – Antifaschistische Erholungs- und Begegnungsstätte
ver.di-Jugend
Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten, Berlin

Bei Presserückfragen wenden Sie sich an: Dr. Andreas Engelmann, Bundessekretär der VDJ, Tel.: 06971163438, E-Mail: bundessekretaer@vdj.de
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