Prozessbeobachtung der VDJ im DHKP-C Verfahren in Düsseldorf
Dritter Teil der Prozessbeobachtung von Rechtsanwalt Joachim Kerth-Zelter vom 09.10.2024
In dem Gerichtsverfahren wird bereits seit dem 14. Juni 2023 vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf in dem besonders gesicherten Gerichtssaal verhandelt. Die drei Angeklagten Ihsan Cibelik, Özgül Emre und Serkan Küpeli befinden sich bereits seit dem Mai 2022 in Haft.
Im Laufe der Verhandlungen haben insbesondere die Angeklagte Emre aber auch der Angeklagte Cibelik jeweils Erklärungen abgegeben, in denen sie die Verhältnisse und die Unterdrückung linker Gruppen in der Türkei und die dort nicht vorhandenen demokratischen Verhältnisse dargestellt haben, um damit die Berechtigung zum Widerstand gegen diese Verhältnisse darzulegen.
Neben einer ganzen Reihe von Zeugen wurde auf Antrag der Verteidigung der Sachverständige Prof. Dr. Buran Copur zu den aktuellen politischen Verhältnissen in der Türkei gehört. Dieser Sachverständige machte eindrucksvoll deutlich, dass in der Türkei seit Jahrzehnten eine „Kultur“ der Straflosigkeit herrscht, die die demokratischen Strukturen nachhaltig untergräbt. Er wies darauf hin, dass die Türkei wiederholt Entscheidungen des EGMR unter anderem im Falle des Herrn Kavala missachtet hat und dass der so genannte Putschversuch vom Juli 2016 seitens der Erdogan-Regierung nicht nur als „Geschenk Gottes“ bezeichnet wurde, sondern vielmehr dazu genutzt wurde, die Repression sämtlicher Opposition und die Festigung eines autokratischen Regimes auszuweiten.
Im Verhandlungstermin vom 12.09.2024 wurde die Beweisaufnahme nach vielen Verhandlungsterminen und einer Verfahrensdauer von 15 Monaten geschlossen und der Generalbundesanwalt begann sein Plädoyer. Er vertrat die Ansicht, dass trotz aller Einschränkungen der demokratischen Verhältnisse die Regelung des § 129b StGB, wonach eine ausländische terroristische Vereinigung unter der Voraussetzung, dass es seitens des Justizministeriums eine entsprechende Verfolgungsermächtigung gibt, angewendet werden kann. Nach Ansicht des Generalbundesanwalts handelt es sich bei der DHKP-C um eine marxistisch-leninistische Terrororganisation, die auch dann verfolgt werden muss, wenn sie in der Bundesrepublik Deutschland selbst nicht mit Terrorakten in Erscheinung tritt. Insoweit wurden auch umfangreiche Erkenntnisse türkischer Sicherheitskräfte zu den Aktivitäten der DHKP-C zu Rate gezogen. Außerdem hat sich der Generalbundesanwalt auf digitale Dokumente bezogen, die unter anderem bei Durchsuchungen in den Niederlanden sichergestellt wurden. Soweit die Verteidigung angemerkt habe, dass nicht sichergestellt sei, dass diese digitalen Dokumente unverfälscht in das Verfahren eingebracht wurden, habe die Verteidigung nicht darlegen können, inwiefern sie eine Verfälschung konkret befürchte. Die deutschen Sicherheitskräfte hätten eine solche Verfälschung ihrerseits bestritten.
Die Berufung auf ein allgemeines Widerstandsrecht stehe den Angeklagten nicht zu, weil sie nicht zur Verteidigung einer demokratischen Ordnung tätig geworden seien. Dass diese Einschränkung des Widerstandsrechts nicht zutreffen kann, ergibt sich bereits daraus, dass das Widerstandsrecht insbesondere mit Blick auf die Männer des 20. Juni 1944 in das Grundgesetz aufgenommen wurde. Denn klar ist doch, dass diese Attentäter keineswegs die Vorstellung hatten, nach Ermordung von Hitler einen demokratischen Rechtsstaat nach dem späteren Vorbild der Bundesrepublik in Deutschland zu errichten.
In der Fortsetzungssitzung vor Gericht am 26.09.2024 wurde dann das Plädoyer durch den Generalbundesanwalt fortgesetzt und den Angeklagten ihr jeweiliger, nach Ansicht der Generalbundesanwaltschaft gegebener Tatbeitrag vorgehalten, wobei sich die Generalstaatsanwaltschaft aber nicht allein damit begnügte, den Sachverhalt darzustellen, soweit er auch angeklagt wurde. Vielmehr listete sie die Aktivitäten der drei Angeklagten auch weit in der Vergangenheit auf, soweit diese den Behörden bekannt geworden sind. Im Wesentlichen wurde insbesondere dem Angeklagten Ihsan Cibelik seine Tätigkeit für die Musikgruppe Grup Yorum, die Veranstaltung von Konzerten und die Komposition von Liedern vorgeworfen, weil diese Musikgruppe der DHKP-C zuzuordnen sei. Ansonsten wurde den Angeklagten vorgeworfen, Sommercamps organisiert zu haben und Spendengelder gesammelt zu haben. Sie seien deshalb an entscheidender Stelle für die DHKP-C tätig gewesen und hätten Kaderaufgaben übernommen.
Keinem der Angeklagten wurde dagegen ein terroristischer Akt, Morde, Schutzgelderpressungen, Bombenanschläge oder Ähnliches zur Last gelegt.
Im Ergebnis forderte der Generalbundesanwalt dann für die Angeklagten unter Anrechnung der bisherigen Untersuchungshaft die folgenden Haftstrafen:
- Ihsan Cibelik; 4 Jahre und 10 Monate
- Özgül Emre; 6 Jahre
- Serkan Küpeli; 3 Jahre und 10 Monate
Da nur der Angeklagte Serkan Küpeli die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt müssen die übrigen Angeklagten bei einer entsprechenden Verurteilung damit rechnen, von der jeweiligen Ausländerbehörde nach Rechtskraft im vorliegenden Verfahren auch eine Ausweisung zu erhalten und damit ihr bisheriges Aufenthaltsrecht zu verlieren. Im schlimmsten Fall bedeutet das für sie, dass sie nach Verbüßung zumindest eines Teils der Strafen in die Türkei abgeschoben werden können
Das Plädoyer des Generalbundesanwalts befindet sich auf einer Linie mit der deutschen Regierungsposition, die die politischen Verhältnisse in der Türkei seit Jahren ausblendet, um weiter Geschäfte und Flüchtlingsabkommen mit dem Land vollziehen zu können. Das Plädoyer beteiligt sich an einer von der Türkei initiierten Kriminalisierung oppositioneller Parteien und nutzt dafür im politisch-administrativen Betrieb der Bundesrepublik weit verbreitete antikommunistische Ressentiments. Einer unbefangenen Zuhörerin wäre kaum verstehbar zu machen, wie die Tätigkeit in einer Musikgruppe eine jahrelange Haftstrafe nach sich ziehen soll. Die Zurechnung von Alltagshandlung zu schweren Straftaten über § 129b StGB zeigt einmal mehr den Konstruktionsfehler dieser Strafnorm und warum rechtsstaatlich gesinnte Jurist*innen seit Jahrzehnten seine Streichung aus dem StGB verlangen.
In den nun folgenden Hauptverhandlungsterminen vom 09. und 10. Oktober wird die Verteidigung der Angeklagten zu Wort kommen. Die Entscheidung des Gerichts wird dann im November 2024 erwartet.