Mitteilung

Kundgebung am 03.08.2016 in Berlin: KEIN DEAL MIT DER TÜRKEI ÜBER MENSCHENRECHTE

Gemeinsam mit einer Vielzahl von juristischen Vereinigungen und Bürgerrechtsorganisationen hat die VDJ auf einer Kundgebung am 03.08.2016 vor dem Bundeskanzleramt in Berlin  in Solidarität mit den türkischen Kolleginnen und Kollegen gegen willkürliche politisch motivierte Haft und Entlassungen sowie massive Verletzung von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen protestiert.

Kein Deal mit der Türkei über Menschenrechte

Angesichts der aktuellen massiven Menschenrechtsverletzungen in der Türkei darf es keinen Deal mit der türkischen Regierung über Menschenrechte - auch nicht mit den Menschenrechten von Flüchtlingen - geben.

Deshalb fordern wir, zehn Jurist*innen- und Bürgerrechtsorganisationen, die Bundesregierung auf:

  • einen sofortigen Abschiebestopp für die Türkei zu erlassen;
  • sich auf allen Ebenen dafür einzusetzen, dass die willkürlichen und politisch motivierten Verhaftungen, Entlassungen oder Suspendierungen sofort aufgehoben werden;
  • vom Präsidenten der Türkei und seiner Regierung mit Nachdruck zu verlangen, dass der Rechtsstaat und die Demokratie in der Türkei umgehend wieder hergestellt werden;
  • die Konsultationsgespräche mit Vertretern des türkischen Geheimdienstes auszusetzen;
  • die Wiederherstellung der richterlichen Unabhängigkeit und der freien Berufsausübung von Rechtsanwälten und Rechtsanwältinnen, Staatsanwälten und Staatsanwältinnen und die Freiheit der Medien in der Türkei einzufordern.

Das Vorgehen der türkischen Staatsführung in den vergangenen zwei Wochen nach dem versuchten Militärputsch stellt eine massive Verletzung von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen dar:

Mit der Entlassung von über 70.000 Staatsbediensteten, unter ihnen tausende Richter und Staatsanwälte, von denen über 2000 festgenommen wurden, setzt sich in rasantem Tempo eine Entwicklung fort, die wir bereits seit Jahren beobachten: Unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung werden politisch missliebige, oder die eigene Machtposition gefährdende Gruppen, Rechtsanwälte, Journalisten, Akademiker, Politiker und Gewerkschafter und nun auch Richter, Staatsanwälte und Lehrer strafrechtlich verfolgt und ihrer Ämter enthoben. Festgenommene werden öffentlich zur Schau gestellt, teilweise mit deutlichen Folterspuren, eine Lynchjustiz wird gebilligt und über die Wiedereinführung der Todesstrafe wird ernsthaft nachgedacht. Anwälte erhalten keinen Zugang zu den Gefängnissen und ihren Mandanten.[1]

Als das türkische Verfassungsgericht Ende Februar 2016 die angeordnete Untersuchungshaft gegen zwei Journalisten aufhob, die die staatliche Unterstützung militanter Islamisten in Syrien öffentlich gemacht hatten, drohte der türkische Präsident Erdogan bereits den Richtern: „Ich sage es offen und klar, ich akzeptiere das nicht und füge mich der Entscheidung nicht, ich respektiere sie auch nicht“[2]. Dieser Drohung hat er jetzt Taten folgen lassen.

Die Entlassungen von fast einem Viertel der gesamten Richterschaft – die offenbar bereits vor dem Putschversuch des 15. Juli 2016 vorbereitet wurden – hebt die Unabhängigkeit der Justiz auf. Die Gewaltenteilung ist mit der Verhängung des Ausnahmezustandes nun auch rechtlich nicht mehr gewährleistet. Die Türkei als demokratischer Rechtsstaat existiert seit dem 16. Juli 2016 nicht einmal mehr als potemkinsches Dorf.

Am 21. Juli 2016 verkündete die türkische Regierung, nicht mehr an die EMRK gebunden zu sein[3]. Dass die Türkei - die sich faktisch schon unter formaler Anerkennung der EMRK systematisch über die Garantien der Menschenrechtskonvention hinwegsetzte -  diese nunmehr suspendiert, lässt das Schlimmste befürchten.

Es zeigt aber vor allem, dass die türkische Regierung den türkischen Staat auch nicht als eine die Menschenwürde achtende Grundordnung versteht. Die jüngsten Ereignisse verdeutlichen vielmehr den seit Jahren von der AKP offensiv betriebenen Umbau der Türkei nach einem Programm, welches auf religiöse Intoleranz und die gewaltsame Durchsetzung ihrer  Interessen gründet.

Wir als Juristen*innen und Bürgerrechtsorganisationen versuchen, unter den gegebenen Umständen die Zusammenarbeit mit unseren demokratischen und fortschrittlichen Schwesterorganisationen in der Türkei fortzusetzen; und wir werden uns weiterhin uneingeschränkt für die Unabhängigkeit der Justiz und der Anwaltschaft in der Türkei einsetzen.

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Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen I Bundesfachausschuss Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in Ver.di I Humanistische Union I IALANA I Internationale Liga für Menschenrechte I Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V. I Neue Richtervereinigung e.V. I Organisationsbüro der Strafverteidigervereinigungen I Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e.V. I Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen

Darüber hinaus fordern RAV, VDJ, Internationale Liga für Menschenrechte, IALANA, Komitee für Grundrechte und Demokratie und Organisationsbüro der Strafverteidigervereinigungen:

  • anzuerkennen, dass es sich bei der Türkei nicht um einen sicheren Drittstaat für Flüchtlinge handelt,
  • darauf hinzuwirken, den „Flüchtlingsdeal“ der EU mit der Türkei vor diesem Hintergrund aufzukündigen,
  • von Verfolgung bedrohten Gruppen in der Türkei in Deutschland Schutz zu gewähren,
  • die Konsultationsgespräche mit Vertretern des türkischen Geheimdienstes und den polizeilichen Datenaustausch mit der Türkei auszusetzen und
  • die Unabhängigkeit von Justiz, Anwaltschaft und Rechtspflege in der Türkei offen einzufordern.

Fußnoten:

[1]              http://www.amnesty.de/2016/7/18/tuerkei-nach-dem-putsch-menschenrechte-ernsthaft-gefahr?destination=startseite

[2]          http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/europa/tuerkei-lange-haftstrafen-fuer-regierungskritike-journalisten-14219395.html

[3]              SZ, Nach Putschversuch Türkei will Europäische Menschenrechtskonvention teilweise aussetzen:                 http://www.sueddeutsche.de/politik/nach-putschversuch-festnahmen-in-der-tuerkei-zehntausende-entlassungen-inhaftierte-       ohne-rechte-1.3085149

  • Die gemeinsame Presseerklärung als pdf
  • Weitergehende Forderungen von IALANA, Internationaler Liga für Menschenrechte, Komitee für Grundrechte und Demokratie, Organisationsbüro Strafverteidigervereinigungen, Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein, Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen als pdf

Zugehörige Dateien

Bei Presserückfragen wenden Sie sich an: Dr. Andreas Engelmann, Bundessekretär der VDJ, Tel.: 06971163438, E-Mail: bundessekretaer@vdj.de
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