Stellungnahme der VDJ zu 50 Jahren "Berufsverbote"
Stellungnahme der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ) vom 27.01.2022
50 Jahre Berufsverbote – Erinnerung, Mahnung, Aufgabe
Am 28. Januar 1972 beschlossen die damaligen Ministerpräsidenten (es waren tatsächlich nur Männer) zusammen mit dem Bundeskanzler Willy Brandt, dass in das Beamtenverhältnis nur solche Personen berufen würden, die die Gewähr dafür böten, jederzeit für „die freiheitliche demokratische Grundordnung“ im Sinne des Grundgesetzes (FDGO) einzutreten. Um das sicherzustellen, wurde für alle Bewerber:innen eine Regelanfrage beim Bundesverfassungsschutz vereinbart. Personen, die von den Behörden als „Kommunist:innen“ betrachtet wurden, sollten vom Beamtenverhältnis ausgeschlossen bleiben. Dieser Tiefpunkt in der bundesrepublikanischen Geschichte ist nun 50 Jahre her. Aber bis zum heutigen Tage sind die Folgen, die der Beschluss für die Betroffenen hatte, nicht beseitigt. Auch der Schaden für die bundesrepublikanische Demokratie durch das Klima der Angst und der Verfolgung ist bis zum heutigen Tage nicht vollständig ermessen.
Der „Radikalenerlass“ – wie er später fälschlich genannt wurde – stand in der antikommunistischen Tradition der Bundesrepublik Deutschland, die bereits am 19. September 1950 mit dem sog. Adenauererlass eine Welle der Berufsverbote hervorrief. Nicht zu vergessen sind auch die zahlreichen Strafverfahren gegen Kommunist:innen, insbesondere nach dem Verbot der KPD am 17. August 1956. In diesen Verfahren wurden nicht nur circa 10.000 Kommunist:innen, sondern auch Linke, Gewerkschafter:innen und unorganisierte Jugendliche wegen ihres Kontaktes zu Kommunist:innen verurteilt.
Nach 1972 wiederholte sich die undemokratische Verfolgungsjagd, von der der gesamte öffentliche Dienst in Bund, Ländern und Gemeinden, bei der Bahn und der Post, an Universitäten, bei der Bundesbank und der Bundesanstalt für Arbeit betroffen war. 3,5 Mio. Bewerber:innen sowie Angehörige des öffentlichen Dienstes wurden bis 1991 vom Verfassungsschutz durchleuchtet, 35 000 Dossiers wurden bekannt und führten zu 2.200 Disziplinarverfahren und 1.250 endgültigen Ablehnungen sowie 265 Entlassungen. Das bedeuteten nicht nur für die Betroffenen die Zerstörung ihrer beruflichen Zukunft, sondern verbreitete eine Atmosphäre der Angst, des Duckmäusertums und der Verlogenheit, die das gesamte politische Klima in der Bundesrepublik Deutschland vergifteten.
Natürlich gab es auch Widerstand. Es bildeten sich rasch überparteiliche Solidaritätskomitees aus Wissenschaftler:innen, Pastor:innen, Jurist:innen, Vertreter:innen von Gewerkschaften, Jugend- und Studentenorganisationen, des Bundes demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWI) und der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ), die wiederum vom Verfassungsschutz bespitzelt wurden. Die bundesweite Initiative „Weg mit den Berufsverboten“ wirkte als zentrale Koordination aller Protestaktivitäten.
Kritisiert wurde die Berufsverbotepraxis wiederholt von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO/IAO). 1987 stellte sie in einem Vertragsverletzungsverfahren fest, dass die Berufsverbote gegen das Übereinkommen Nr. 111 über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf verstoßen. Viermal mahnte sie in der Folge eine Änderung an. Die UNO-Menschenrechtskommission fragte regelmäßig nach und 1995 verurteilte schließlich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im Fall einer Lehrerin die Bundesrepublik wegen ihrer Berufsverbotspraxis, den das Gericht als Verstoß gegen Artikel 10 und 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention wertete. Wenn auch 80 % aller Berufsverbotsfälle letztendlich – oft erst nach vielen Jahren – positiv für die Betroffenen ausgingen, so blieb die Entscheidung des EGMR die einzige, die für die siegreiche Klägerin auch eine Entschädigung mit sich brachte.
Das Saarland hob 1985 den „Radikalenerlass“ förmlich auf und Bremen im Jahre 2012. Neben wissenschaftlichen Aufarbeitungen in einzelnen Ländern distanzierten sich die Landesparlamente von Berlin, Bremen, Hamburg und Niedersachsen von der Praxis des „Radikalenerlasses“, ohne jedoch die Betroffenen materiell zu entschädigen. Die Praxis der Überprüfung durch den Verfassungsschutz geht teilweise bis zum heutigen Tage weiter. In Bayern und Thüringen wird Anwärter:innen für den öffentlichen Dienst auch heute noch ein Formular präsentiert, auf dem sie sich von Organisationen distanzieren sollen, die vom Verfassungsschutz als „extremistisch“ eingestuft werden. Mecklenburg-Vorpommern hat seit 2021 die Regelanfrage für Richterbewerber:innen wieder eingeführt.
Willy Brandt, der als Bundeskanzler der sozialliberalen Koalition diese Behördenpraxis ausgelöst hatte, hat sie zwar später als Irrtum und Fehler bezeichnet, ebenso sein Nachfolger Helmut Schmidt und andere. Aber eine grundsätzliche oder gar programmatische Neuausrichtung ist nie erfolgt. Heute gilt die EU-Rahmenrichtlinie gegen Diskriminierung, die eine Diskriminierung aus Gründen der Weltanschauung verbietet. Doch gibt das keine Sicherheit, wie die Praxis in Bayern, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen beweist.
Eine Wiederbelebung der Berufsverbote darf es nicht geben. Eine Überwachung wie zu Zeiten des „Radikalenerlasses“ schadet nur der Demokratie. Die Verteidigung eines demokratischen Gemeinwesens kann nur mit den Mitteln eines transparenten und weltanschaulich neutralen Rechtsstaates erfolgen.
Die VDJ fordert:
Die umfassende politische und gesellschaftliche Rehabilitierung der Berufsverbotsopfer durch ein Berufsverbote-Rehabilitierungsgesetz, welches die Unrechtmäßigkeit der Berufsverbote feststellt und die Entschädigung der Betroffenen regelt.
Presserückfragen an Rechtsanwalt Dr. Andreas Engelmann, Bundessekretär der VDJ, telefonisch unter 069 71163438 oder per E-Mail an bundessekretaer@vdj.de