Stellungnahme der VDJ zum Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen
Die VDJ lehnt die Neuregelungen zur Ehemündigkeit und die damit verbundenen Änderungen des BGB ab. Die bestehenden gesetzlichen Regelungen schützen die Belange von Minderjährigen in ausreichendem Maße.
Mit dem vom Bundestag verabschiedeten Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen sollen Ehen Minderjähriger zukünftig ausgeschlossen werden und die Ehemündigkeit erst mit der Volljährigkeit eintreten, wodurch dann die bisher im deutschen Gesetz enthaltene Möglichkeit entfällt, dass bereits im Alter von 16 Jahren mit familiengerichtlicher Genehmigung eine Ehe mit einem Volljährigen geschlossen werden kann. Begründet wird die beschlossene Neuregelung mit dem angeblich nur so zu schützenden Kindeswohl. Im Ausland geschlossene Ehen von Minderjährigen sollen künftig aufgehoben werden können, sofern die Betroffenen das 18. Lebensjahr noch nicht erreicht haben. Sind sie im Alter unter 16 Jahren, soll die Ehe automatisch per Gesetz unwirksam sein. Als Begründung gibt der Entwurf an, dass eine zu frühe Eheschließung das Wohl der minderjährigen Kinder und ihre Entwicklungschancen beeinträchtigen würde. Hintergrund ist, dass in jüngster Vergangenheit die Diskussion um minderjährige verheiratete Flüchtlinge in Deutschland heftig geführt wurde und Handlungsbedarf angemahnt worden ist.
Für diese weitreichende Gesetzesänderung besteht aber kein hinreichender Grund. So hat das OLG Bamberg in einer Entscheidung vom 12.05.2016, Az.: 2 UF 58/16, nach bisheriger Rechtslage festgestellt, dass eine nach syrischem Recht geschlossene Ehe einer zum Eheschließungszeitpunkt 14-Jährigen mit einem Volljährigen als wirksam anzuerkennen ist, wenn die Ehegatten der sunnitischen Glaubensrichtung angehören und die Ehe bereits vollzogen ist. Eine Unterschreitung des Ehemündigkeitsalters nach § 1303 BGB bei einer Eheschließung im Ausland führt nach Ansicht des Gerichtes selbst bei Unterstellung eines Verstoßes gegen den ordre public (Art. 6 EGBGB) nicht zur Nichtigkeit der Ehe, und zwar selbst dann nicht, wenn nach dem für die Eheschließung gem. Art. 11, 13 EGBGB anzuwenden ausländischen Recht die Ehe wegen der Unterschreitung des dort geregelten Mündigkeitsalters zwar nicht unwirksam, aber anfechtbar oder aufhebbar ist.
Zur Begründung führt das OLG Bamberg u. a. aus, dass sich die Voraussetzungen der Eheschließung gem. § 13 Abs.1 EGBGB nach syrischem Recht bestimmen, sofern die Eheschließenden syrische Staatsangehörige waren (BGH v. 11.10.2006, XII ZR 79/04, 169, 240-255) und die hierfür notwendigen Voraussetzungen eingehalten wurden, also u. a. ein schriftlicher Vertrag geschlossen und die Geschlechtsreife der zukünftigen Eheleute festgestellt wurde. Zwar sei nach deutschem Eheschließungsrecht die Eingehung der Ehe frühestens mit Vollendung des 16. Lebensjahres eines Ehegatten mit Befreiung vom allgemeinen Ehemündigkeitsalters von 18 Jahren durch das Familiengericht bei Volljährigkeit des anderen Ehegatten zulässig (§ 1303 Abs. 2 BGB ). Daraus ergebe sich aber kein Automatismus dahingehend, bei Unterschreitung der Ehemündigkeit nach § 1303 BGB einer ausländischen Ehe die Anerkennung zu versagen. Es ist allerdings bis heute streitig, ob bei Unterschreitung des Ehemündigkeitsalters nach § 1303 BGB derzeitiger Fassung im Ausland ein Verstoß gegen den ordre public vorliegt. Das OLG Bamberg neigt in seiner Entscheidung zu der Auffassung, dass bei Einhaltung der für die Eheschließung maßgeblichen Voraussetzungen in Syrien kein Verstoß gegen den ordre public vorliegt. Sofern eine nach syrischem Recht geschlossene Ehe lediglich fehlerhaft und anfechtbar, aber nicht unwirksam ist, bestehe keine Notwendigkeit, die in Syrien geschlossene Ehe aus Kindeswohlgesichtspunkten als nichtig oder aufhebbar anzusehen.
Demgegenüber geht die Begründung des Gesetzes zunächst davon aus, dass eine nach Art. 13 Abs. 1 EGBGB nach dem Recht des Herkunftsstaates geschlossene Ehe für jeden Verlobten grundsätzlich dem Recht des Staates, dem er bei der Eheschließung angehörte, unterliegt. Problematisiert wird aber dann, inwieweit es dem deutschen Staat möglich sein soll, in eine wirksame geschlossene Ehe einzugreifen, indem er ihr für den deutschen Rechtskreis die Wirksamkeit versagt. Unstreitig ist jedoch bei Zwangsehen von einem Verstoß gegen den ordre public auszugehen, da diese mit der durch Art. 6 GG geschützten Ehefreiheit unvereinbar sind. Liegt keine Zwangsehe vor und hat ein Verlobter im Zeitpunkt der Eheschließung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet, wird ebenfalls ein Verstoß gegen den ordre public angenommen, so dass eine solche Ehe unwirksam wäre.
Mit Vollendung des 16. Lebensjahres bedarf es in besonderem Maße einer Würdigung aller Umstände des Einzelfalls. Als Maßstab wird in dem Gesetz dagegen ausschließlich auf das Kindeswohl abgestellt, unter dem diese frühe Eheschließung geprüft wird. Die angestrebte Aufhebung der Ehe soll nur dann nicht erfolgen, wenn mit der Aufhebung eine besondere Härte verbunden wäre. Diese wird bei einer schweren und lebensbedrohlichen Erkrankung oder krankheitsbedingter Suizidabsicht des/ der Minderjährigen angenommen. Als außergewöhnliche Härte soll auch die Aufhebung einer Ehe von minderjährigen EU-Bürgern bei deren Einreisen nach Deutschland in Betracht kommen können, weil es deren Freizügigkeitsrecht berührt. Mit dem Aufhebungsverfahren verbunden ist auch die Möglichkeit, einen Vormund dem minderjährigen Betroffenen beizuordnen, der für ihn die Verfahrensschritte übernimmt und die notwendigen Anträge stellt.
Ausländische Ehen sind also nach dem neuen Art. 13 EGBGB künftig automatisch unwirksam, wenn der Verlobte im Zeitpunkt der Eheschließung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, und sie sind aufzuheben, wenn der Verlobte im Zeitpunkt der Eheschließung das 16. Lebensjahr, aber noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet hatte.
Dass eine bereits im Ausland wirksam geschlossene Ehe auch Rechte und Pflichten für die Ehepartner begründet und daher eine Auflösung per Gesetz oder eine Aufhebung der Ehe ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des vermeintlich gestörten Kindeswohls die damit verbundenen Rechtsfragen nicht zufriedenstellend lösen kann, weil die vorgesehenen Rechtsfolgen zu unflexibel sind, ist offensichtlich.
Die VDJ teilt insoweit die Bedenken des Deutschen Familiengerichtstages vom 23.02.2017, wonach in den Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG selbstverständlich auch ausländische Ehen einbezogen sind und dieses auch dann zu gelten hat, wenn die Ehe nach dem anwendbaren Recht aus deutscher Sicht nicht wirksam geschlossen worden ist. Würde das deutsche Recht bei der Prüfung der Vereinbarkeit mit deutschen Wertvorstellungen Minderjährigenehen generell als unzulässig ansehen, so würde der gebotene Schutz ohne Rücksicht auf den konkreten Fall versagt. Eine lange in Deutschland gelebte Ehe würde als rechtlich nicht existent betrachtet werden. Dies hätte den Verlust von Renten-, Erb- und Unterhaltsansprüchen zur Folge, würde also der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zuwiderlaufen. Die generelle Behandlung als Nichtehe ließe keinen Raum für die einzelfallbezogene Prüfung des Wohls des betroffenen Kindes im Einzelfall.
Die UN-Kinderrechtskonvention stellt für die Eheschließung auf ein Mindestmaß an Reife und Autonomie ab, der im Einzelfall Respekt zu zollen ist – so Art. 12 UN-KRK –, ohne ein konkretes Mindestalter festzusetzen. Das individuelle Wohl Minderjähriger ist vorrangig zu berücksichtigen, so Art. 3 UN-KRK. Die generelle Einstufung der im Ausland geschlossenen Ehe als Nichtehe könnte auch dazu führen, dass eine in England mit einem 16-jährigen Partner wirksam geschlossene Ehe als nicht-existent betrachtet werden würde, kämen die Ehepartner nach Deutschland. Dies wäre eine eklatante Verletzung des europäischen Grundsatzes der Freizügigkeit, wie er in der Rechtsprechung des EuGH zum Ausdruck kommt. Vor allem aber ist an das Schicksal der minderjährigen Frauen zu denken: Das Ansehen dieser Frauen wird dauerhaft beschädigt, wenn, wie im oben zitierten Fall des OLG Bamberg, die Ehe bereits vollzogen ist und sie dann hier für nichtig erklärt wird.
Zusammenfassend ist Folgendes kritisch festzustellen:
1.Die von dem Gesetzgeber angestrebte Prüfung der Möglichkeit der Aufhebung der Ehe nach Maßstäben des Kindeswohls und allgemeiner Ehegrundsätze muss auch die mit der Ehe verbundenen finanziellen Vor- und Nachteile der erfolgten Eheschließung berücksichtigen. In diesem Punkt ist die Aufhebung das ungeeignete Mittel.
2. Auch für die minderjährigen Betroffenen, die noch nicht das 16. Lebensjahr erreicht haben und deren Ehe unwirksam sein soll, muss jedenfalls eine umfangreiche Prüfung nach den obigen Grundsätzen erfolgen.
3. Konsequenterweise müssen die Betroffenen für die Wahrnehmung ihrer Rechte auch eigene Anträge in diesem Verfahren stellen können, mit denen sie ihre Interessen wahren.
4. Kritisch betrachtet, stellt sich damit die Zielrichtung des jetzt verabschiedeten Gesetzes so dar, dass angesichts der aktuellen Flüchtlingsproblematik mit der Neuregelung ohne hinreichende Notwendigkeit weit an dem Ziel des Schutzes der Minderjährigen vorbeigeschossen wird. Mit der vorgesehenen Unwirksamkeit der Ehen minderjähriger Ehepartner unter 16 Jahren, werden diese Betroffenen ohne ausreichende Prüfung der rechtlichen und tatsächlichen Folgen der Unwirksamkeit der Ehe von ihrem Ehepartner getrennt.