Stellungnahme

Stellungnahme der VDJ zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des AsylbLG und des SGG“

Vorbemerkung:

Das AsylbLG hat spätestens nach der Entscheidung des BVerfG vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10 und 2/11) keine Daseinsberechtigung mehr. Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum gilt für alle Menschen mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland. Eine Ungleichbehandlung von Personengruppen käme nur dann in Betracht, wenn konkrete Unterschiede im tatsächlichen Bedarf bzgl. des Lebensunterhalts und der Kosten der Unterkunft feststellbar wären. Bis heute liegen jedoch keine Feststellungen vor, die eine oder mehrere Personengruppen erkennen ließen, die niedrigere Bedarfe haben, als die durch das RBEG ermittelten Bedarfe.

Das AsylbLG wurde mit dem Ziel geschaffen, die Zuwanderung zu beschränken. Insbesondere sollte das Signal an Flüchtlinge gesendet werden, es sei unattraktiv, in Deutschland um Asyl nachzusuchen. Hintergrund waren die rassistischen Ausschreitungen in Deutschland Anfang der 90er Jahre. Dieser verfehlte Ansatz muss revidiert werden, so dass allein die ersatzlose Abschaffung des AsylbLG wieder rechtstaatliche Verhältnisse auf dem Gebiet des sozialen Leistungsrechts für Personengruppen i.S.d. § 1 AsylbLG schaffen kann. Der Gesetzgeber muss sich davon leiten lassen, dass Menschen ihre Heimat nicht einfach verlassen, weil Deutschland mit einem Sozialsystem lockt, sondern dass u.a. Kriege, Hungersnöte, politische Verfolgungen, Folter und ähnliche Ereignisse sie zur Flucht veranlassen.

Das AsylbLG soll im Wesentlichen potenzielle Asylbewerber von einer Einreise nach Deutschland abschrecken (vgl.: Gesetzesbegründung: BT-Drs. 12/4451 und 12/5008; Plenardiskussion: Dt. Bundestag, Plenarprotokoll 12/121 vom 13.11.1992). Da dieser Gesetzeszweck hauptsächlich der Abwehr von Flüchtlingen dient, wurde das Gesetz ursprünglich konsequent neben der Gesetzgebungskompetenz für die öffentliche Fürsorge nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG auch auf die ausländerrechtliche – also gefahrenabwehrrechtliche – Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 4 GG gestützt (vgl.: BT-Drs. 12/4451, Allgemeine Begründung, 2; Hohm in: GK-AsylbLG II, Rn. 22). Das AsylbLG ist in weiten Teilen (insbesondere § 1a AsylbLG) kein Sozialrecht, sondern Ausländerrecht. Leider ist das deutsche Ausländerrecht nach wie vor dem Gedanken der Gefahrenabwehr verpflichtet. Dies ist seit Inkrafttreten der Ausländerpolizeiverordnung des Deutschen Reiches vom 22.08.1938 so. Dort heißt es in § 1: „Der Aufenthalt im Reichsgebiet wird Ausländern erlaubt, die nach ihrer Persönlichkeit und dem Zweck ihres Aufenthalts im Reichsgebiet die Gewähr dafür bieten, dass sie der ihnen gewährten Gastfreundschaft würdig sind.“. Dieser Geist findet sich insbesondere in § 1a AsylbLG aber auch in den übrigen Regelungen wieder. Nun hat das BVerfG jedoch bekanntlich festgestellt: „Migrationspolitische Erwägungen, die Leistungen an Asylbewerber und Flüchtlinge niedrig zu halten, um Anreize für Wanderungsbewegungen durch ein im internationalen Vergleich eventuell hohes Leistungsniveau zu vermeiden, können von vornherein kein Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum rechtfertigen […] Die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.“ (BVerfG vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10 und 2/11 – Rn 121.). Die Notwendigkeit der Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 4 GG widerspricht somit dem Urteil des BVerfG. Da die Anteile des Ausländerrechts im AsylbLG von den Anteilen des Sozialrechts kaum sauber zu trennen sind, spricht auch dieser Aspekt für eine vollständige Abschaffung des AsylbLG.

Mit der nachstehenden Erklärung nimmt die VDJ zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zur geplanten Änderung des AsylbLG Stellung:

Zu Punkt C.

Die Feststellung, es gäbe keine Alternativen, ist unzutreffend. Das AsylbLG könnte ersatzlos gestrichen werden und die jetzigen Betroffenen könnten in die bestehenden Leistungssysteme (insb. SGB II/XII) eingegliedert werden.

Zu Punkt D.

Bzgl. der Auswirkungen auf die Haushalte des Bundes und der Länder ist anzumerken, dass durch die Abschaffung des Sachleistungsprinzips und die bestehenden Gutscheinsysteme erhebliche Einsparungen zu erreichen wären. Das Sachleistungsprinzip zwingt die Kommunen, kostenintensive Gemeinschaftsunterkünfte zu betreiben bzw. durch Private betreiben zu lassen. Die Verwaltungs- und Logistikkosten zur Umsetzung des Sachleistungsprinzips sind erheblich (vgl.: BT-Drs. 17/3660, S. 27; Statistisches Bundesamt „Sozialleistungen – Leistungen an Asylbewerber“ Fachserie 13 Reihe 7, 2008; BGAF-Stellungnahme vom 15.12.2010, S. 10, Fn 6: geschätztes Einsparvolumen allein in Bayern pro Jahr 7,7 Mio. EUR). Gleiches gilt für das Gutscheinsystem, das ebenfalls einen erheblichen Verwaltungs- und Logistikaufwand für die Kommunen bedeutet.

Zu gleichstellungspolitischen Auswirkungen (Begründung, A.VI.)

Es trifft nicht zu, dass es hier keine Auswirkungen gibt. Insbesondere die fehlende Einführung der im Leistungssystem des SGB II und XII gewährten Mehrbedarfe führt zu einer erheblichen Benachteiligung von Frauen. So haben diese insbesondere keinen durchsetzbaren Anspruch auf Mehrbedarfe wegen Alleinerziehung und Schwangerschaft.

Zu Art. 1, 1. § 1 AsylbLG

Die Eingliederung von Inhabern einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG in das „normale“ Sozialleistungssystem ist zu begrüßen. Hier ist jedoch zu fordern, dass der Kreis der Betroffenen weitergehend eingeschränkt wird. Zumindest alle Inhaber von Aufenthaltserlaubnissen (§ 23 Abs. 1; § 24; § 25 Abs. 4 Satz 1, Abs. 4a, 4b AufenthG) sollten aus dem Kreis der Betroffenen herausgenommen werden.

Die offizielle politische Begründung für den Bestand des AsylbLG ist die Abschreckung von Ausländern mit dem Ziel, die Zuwanderung zu begrenzen. Inhaber von Aufenthaltserlaubnissen müssen jedoch nicht mehr abgeschreckt werden. Es ist schlicht keine verfassungskonforme Begründung ersichtlich, Personen, die sich legal in Deutschland aufhalten vom AsylbLG zu erfassen. Das BVerfG hat klargestellt, dass das Sozialrecht nicht durch migrationspolitische Erwägungen beeinträchtigt werden darf. Eine Sonderbehandlung bzgl. der Bedarfe für ein menschenwürdiges Existenzminimum kann nur dann gerechtfertigt sein, wenn der betroffene Personenkreis auch tatsächlich bezifferbare, vom sonstigen Regelbedarf abweichende, Bedarfe hat. Es fehlt eine tragfähige Begründung, worin die Bedarfsabweichungen für die Personenkreise nach § 1 AsylbLG bestehen sollen.

Die Gesetzesbegründung stellt hier auf die Dauer des Aufenthalts ab:

In seiner Entscheidung vom 18. Juli 2012 hat das BVerfG festgestellt, dass das Sonder-leistungsrecht des AsylbLG zukünftig nur noch Personengruppen erfassen darf, die sich nach einer ex-ante-Prognose regelmäßig kurzfristig in Deutschland aufhalten. Bei der Prognose sei sowohl der jeweilige rechtliche Aufenthaltsstatus der Personengruppe zu berücksichtigen, als auch deren Einbindung in die tatsächlichen Verhältnisse (BVerfGE , Rn. 99, 101).

Nach diesen Kriterien erscheint es jedoch nicht vertretbar, sämtliche Asylbewerber pauschal dem AsylbLG zu unterwerfen. Damit trifft der Gesetzgeber schließlich die Aussage, dass sich Asylbewerber regelmäßig kurzfristig in Deutschland aufhalten. Abgesehen davon, dass diese Aussage nicht mit den tatsächlichen Verhältnissen korrespondiert, erscheint es problematisch, dass Grundrecht auf Asyl gem. Art. 16a GG formal zu gewähren, tatsächlich jedoch davon auszugehen, dass dieses Grundrecht ohnehin „regelmäßig“ nicht gewährt wird.

Die Herausnahme der Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG wird u.a. so begründet, dass dieser Aufenthalt nicht nur vorübergehend abgelegt ist:

Derzeit leben 78 Prozent dieser Personen seit mehr als sechs Jahren in Deutschland

Übertragen auf Inhaber von Duldungen muss festgestellt werden, dass auch diese Gruppe mehrheitlich seit Jahren in Deutschland lebt. Es bedürfte daher einer besonderen Rechtfertigung, warum für diese Gruppe von einem kurzfristigen Aufenthalt ausgegangen wird.

Zu Art. 1, § 1a AsylbLG

Diese Norm soll unverändert beibehalten werden. Das ist nach der Entscheidung des BVerfG nicht vertretbar. Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum wäre durch den Fortbestand der Norm offensichtlich und evident verletzt.

§ 1a AsylbLG soll weiterhin regeln, dass die Höhe des Regelsatzes aus § 3 AsylbLG auf das im „Einzelfall nach den Umständen unabweisbar“ Notwendige abgesenkt werden darf,

wenn sich jemand in das Bundesgebiet begeben hat, allein um hier Sozialleistungen zu beziehen oder

wenn jemand rechtsmissbräuchlich dafür sorgt, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen ihn oder sie nicht vollzogen werden können.

Ein häufiger Fall ist, dass ein Geduldeter nur deshalb nicht abgeschoben werden kann, weil er bei der Passbeschaffung und/oder Identitätsklärung nicht mitwirkt. Hier wirkt sich der oben beschriebene polizeirechtliche Abwehrgedanke besonders stark aus, so dass es sich eben nicht mehr um Sozialrecht sondern um Ausländerrecht handelt.

Da das BVerfG festgestellt hat, dass das menschenwürdige Existenzminimum derzeit durch den für das SGB II/XII festgestellten Regelbedarf definiert wird und dieses Existenzminimum als Menschenrecht, und damit auch für Flüchtlinge, gilt, besteht kein Raum mehr für eine dauerhafte Unterschreitung dieses Minimalwertes. Somit bleibt aber auch kein Raum mehr für eine Leistungsabsenkung nach § 1a AsylbLG.

Vor allem gehören auch die Leistungen zur sozialen Teilhabe nach § 3 Abs. 1 AsylbLG zum unabweisbaren Bedarf und dürfen daher nicht gekürzt werden (vgl.: LSG NRW vom 24.04.2013 – L 20 AY 153/12 B ER, Rn 44 (juris); schon vor der AsylbLG-Entscheidung des BVerfG im Ergebnis ähnlich SG Potsdam – S 20 AY 9/10 ER (nicht veröffentlicht). Wenn dem aber so ist, bleibt offen, welcher Anwendungsbereich für § 1a AsylbLG noch verbleiben soll. Dem menschenwürdigen Existenzminimum einen im „Einzelfall nach den Umständen unabweisbar“ notwendigen Bedarf entgegenzustellen, ist schlicht unredlich.

Faktisch wird durch § 1a AsylbLG ein autonomer und extralegaler Regelbedarf geschaffen. Dies ergibt sich insbesondere aus der zeitlichen Unbegrenztheit der Absenkung der Leistungen. Es gäbe demnach den vom BVerfG als menschenwürdiges Existenzminimum anerkannten Regelbedarf und daneben einen Regelbedarf, der im „Einzelfall nach den Umständen unabweisbar“ ist. Eine solche Spaltung des Regelbedarfs ist jedoch nicht zulässig, zumal es nach § 1a AsylbLG der Exekutive obliegen soll, diesen Sonderregelbedarf festzusetzen. Die Festsetzung des Regelbedarfs fällt jedoch ausschließlich in die Zuständigkeit des Gesetzgebers. Schließlich müsste der „unabweisbare Regelbedarf“ nach den Grundsätzen der Regelbedarfsermittlung bestimmt werden (vgl.: LSG Bln-Bbg., Beschluss vom 06.02.2013 – L 15 AY 2/13 B ER mit Verweis auf BVerfG vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10; 2/11, Rn 99 (juris). In der Praxis führt die Eröffnung eines Beurteilungsspielraums für die Sozialämter bezüglich der Höhe der Bedarfe dazu, dass große Unterschiede von Bundesland zu Bundesland und von Landkreis zu Landkreis entstehen. In meiner Praxis kam es sogar vor, dass die gekürzten Leistungen nach § 1a AsylbLG für einen Berliner Mandanten höher lagen als die in Brandenburg nach § 3 AsylbLG a.F. ausgezahlten Leistungen (übliche Leistungen nach § 3 AsylbLG a.F. in Brandenburg: 199,40 EUR; Leistungen nach § 1a AsylbLG für Berliner Mandant: 203,40 EUR).

Bekanntlich wird § 1a AsylbLG jedoch überwiegend als Sanktionsnorm ausgelegt, um so zu begründen, dass die Norm unproblematisch sei, da Sanktionen auch im „normalen Sozialleistungsrecht“ bestehen (bspw.: LSG Bln.-Bbg, Beschluss vom 23.07.2013 – L 23 AY 10/13 B ER (juris); LSG LSA, Beschluss vom 02.09.2013 – L 8 AY 5/13 B ER (juris); LSG Thüringen, Beschluss vom 17.01.2013 – L 8 AY 1801/12 B ER (juris) (für Absenkung auf 23,08 EUR statt 137,00 EUR nach § 3 Abs. 1 AsylbLG); LSG Nds.-Bremen, Beschluss vom 20.03.2013 – L 8 AY 59/12 B ER (nicht veröffentlicht); LSG Hamburg, Beschluss vom 29.08.2013 – L 4 AY 5/13 B ER, L 4 AY 6/13 B PKH (juris) (für Absenkung auf 40,90 EUR statt 137,00 EUR nach § 3 Abs. 1 AsylbLG). Wenn § 1a AsylbLG als Sanktionsnorm verstanden werden soll, so hält die Norm auch in diesem Fall einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht stand. Es wird bereits diskutiert, ob beispielsweise die Sanktionsnormen im SGB II verfassungskonform sein können (vgl. allein Schmidt-De Caluwe, Der Rückgriff auf den Regelbedarf – Systemgerechte Schranken für Gesetzgeber und Rechtsprechung?, in: 4. Deutscher Sozialgerichtstag, Sozialrecht – Tradition und Zukunft, S. 39 ff.; Drohsel, Sanktionen nach dem SGB II und das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum, NZS, Heft 3/2014, 96 ff.). Schließlich stellt jeder Eingriff in das Grundrecht der Menschenwürde eine Rechtsverletzung dar. Wenn die Leistungshöhe unter den Wert des menschenwürdigen Existenzminimums abgesenkt wird, liegt darin unzweifelhaft ein Eingriff in das besagte Grundrecht vor. Zulässig können Sanktionen insofern nur sein, wenn sie als Inhaltsbestimmungen bezüglich der Menschenwürde verstanden werden können. Die Absenkung von Leistungen aus den in § 1a AsylbLG genannten Gründen bestimmt jedoch offensichtlich nicht den Inhalt des Grundrechts auf Einhaltung der Menschenwürde. Es handelt sich um einen Eingriff und damit um eine Verletzung.

Schließlich gelten bei echten Sanktionsnormen strenge Anforderungen an die Bestimmtheit. Für das „normale Sozialrecht“ ist anerkannt, dass verfassungskonforme Sanktionen nur für einen begrenzten Zeitraum (in der Regel drei Monate) in einer klar bestimmten Höhe gerechtfertigt sein können (bspw: §§ 31 ff. SGB II). Hier handelt es sich aber um eine zeitlich unbegrenzte Leistungsabsenkung und die Höhe wird in das Belieben der Exekutive gestellt. Im „normalen Sozialrecht“ ist zudem anerkannt, dass der Leistungsträger den Leistungsempfänger zu einer konkreten und zumutbaren Mitwirkung auffordern muss. Diese Aufforderung muss zudem mit einer verständlichen, vollständigen und richtigen Rechtsfolgenbelehrung verbunden sein (BSG, Urteil vom 15.12.2010 – B 14 AS 92/09 R, Rn 24 (juris)). Die Anwendung des § 1a Nr. 2 AsylbLG ist jedoch nicht an diese oder auch nur ähnliche Voraussetzungen geknüpft. In der Praxis genügt in der Regel eine formlose Mitteilung der Ausländerbehörde, dass der Betroffene nicht mitwirke.

Es kann nicht oft genug betont werden, dass das BVerfG feststellte: "Die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren" (BVerfG vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10 und 2/11, Rn 121 (juris)). Das Ziel des § 1a AsylbLG ist es jedoch, die Betroffenen zur Ausreise zu „motivieren“ bzw. Verstöße gegen aufenthaltsrechtliche Mitwirkungspflichten zu sanktionieren. Damit liegen ausschließlich migrationspolitische Motive vor, die eine Leistungsabsenkung gerade nicht rechtfertigen können (vgl.: Oppermann, in: jurisPK-SGB XII, § 1a AsylbLG, Stand: 07.11.2012; Evrim Öndül, Entscheidungsanmerkung vom 23.08.2012, jurisPR-SozR 17/2012 Anm. 1 – jeweils zitiert in: LSG Bayern vom 24.01.2013 – L 8 AY 4/12 B ER, Rn 30 (juris)).

Bereits in der Besprechung des vorliegenden Entwurf am 02.07.2014 wurde durch das BMAS auf bestehende Rechtsprechung verwiesen, die § 1a AsylbLG weiterhin für verfassungsgemäß erachten. Dabei muss jedoch die Qualität dieser Rechtsprechung beachtet werden. Die Gerichte – die bis zur BVerfG-Entscheidung teilweise mit unüblich scharfen Worten Anträge und Klagen gegen § 3 AsylbLG a.F. zurückgewiesen hatten – können sich offenbar nicht mit dem Urteilsspruch des BVerfG abfinden. Der 23. Senat des LSG Berlin-Brandenburg erhebt sich bspw. offen gegen das BVerfG, indem er feststellt, dass die „Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins“ nicht durch die vom BVerfG gezogene untere Grenze gewährt wird, sondern der Gesetzgeber einen Spielraum habe, diese Grenze auch zu unterschreiten. „Der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers lässt nach Auffassung des Senats Raum für die Gewährung nur reduzierter Leistungen etwa bei Pflichtverletzungen, wie der Nichtmitwirkung bei der Ausreise.“ (LSG Bln.-Bbg, Beschluss vom 23.07.2013 – L 23 AY 10/13 B ER, Rn 23 (juris)). Damit versucht der Senat, über das Konstrukt der „normalen“ Sanktionen die Anwendbarkeit des § 1a AsylbLG zu sichern. Dem Einwand, dass es sich hier aber um eine zeitlich unbegrenzte und der Höhe nach unbestimmte Sanktion handeln würde, begegnet der Senat mit der Erwägung, einer zeitlichen Begrenzung bedürfe es nicht, da der Ausländer, bei dem aus von ihm zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, durch ein ihm mögliches und zumutbares Verhalten selbst dafür sorgen kann, dass uneingeschränkte Grundleistungen nach § 3 AsylbLG bewilligt werden“ (LSG Bln.-Bbg, Beschluss vom 23.07.2013 – L 23 AY 10/13 B ER, Rn 25 (juris) mit Verweis auf LSG Nds.-Bremen, Beschluss vom 20. März 2013 – L 8 AY 59/12 B ER (juris)). Die geforderte Mitwirkung ist hier jedoch im Ergebnis in der Regel die Ausreise, so dass der Senat im Klartext erklärt, „der Ausländer“ könne durch Ausreise die Leistungskürzung beenden. Dies entspräche in etwa dem Argument im ALG-II-Recht „Die Leistungsbezieher mögen arbeiten gehen, dann endet auch ihre Bedürftigkeit!“ Auf ein solches Niveau sollte sich jedoch keine der drei Staatsgewalten herablassen.

Gern wird von besagter Rechtsprechung auch auf § 26 SGB XII zurückgegriffen, um § 1a AsylbLG zu rechtfertigen. Auch dort soll bei rechtsmissbräuchlichem Verhalten die Leistungshöhe auf das zum Lebensunterhalt Unerlässliche eingeschränkt werden können. Die Norm dient jedoch dazu, die Selbsthilfe des Leistungsempfängers zu aktivieren und grob unwirtschaftliches Verhalten zu sanktionieren. Damit liegt ein klarer sozialrechtlicher Bezug vor, der bei § 1a AsylbLG fehlt. Hier soll schließlich durch das Sozialrecht die Ausreisepflicht durchgesetzt werden. Bereits dieses Ziel ist sach- und systemfremd. Für § 26 SGB XII ist zudem anerkannt, dass das Ziel durch die Leistungskürzung auch erreichbar sein muss. Die Praxis zeigt, dass die Anwendung des § 1a AsylbLG nahezu nie zu einer tatsächlichen Ausreise der Betroffenen führt. Schließlich begegnet auch § 26 SGB XII verfassungsrechtlichen Bedenken und wird damit restriktiv angewandt sowie zeitlich auf maximal drei Monate begrenzt (Conradis, in: LPK-SGB XII, § 26, Rn 10).

Das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt hat darüber hinaus erkannt, dass § 1a AsylbLG gar nicht migrationspolitisch motiviert sei und deshalb der viel zitierte Entscheidungssatz des BVerfG einer Anwendung nicht entgegenstünde (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 02.09.2013 – L 8 AY 5/13 B ER, Leitsatz (juris)). Dies folge daraus, dass § 1a AsylbLG den Charakter einer Einzelfallregelung mit hohen Anforderungen an die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Anspruchseinschränkung habe (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 02.09.2013 – L 8 AY 5/13 B ER, Leitsatz (juris), mit Verweis auf LSG Thüringen, Beschluss vom 17. Januar 2013 – L 8 AY 1801/12 B ER (juris); LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 20. März 2013 – L 8 AY 59/12 B ER (juris)). Da besagter Tatbestand jedoch allein an aufenthaltsrechtliche (also migrationspolitische) Umstände anknüpft, kann die migrationspolitische Motivation der Norm nicht ernsthaft verneint werden. Schließlich hat selbst der Gesetzgeber es (ursprünglich) für notwendig befunden, auch und gerade für diese Norm auf die Gesetzgebungskompetenz des Art. 74 Abs. 1 Nr. 4 GG zurückzugreifen.

Schließlich soll hier die akzessorische Anspruchseinschränkung bei Familienangehörigen im Rahmen des § 1a AsylbLG aufgehoben werden. Die gewählte Formulierung des Gesetzestextes ist jedoch missverständlich und lässt Raum für die Interpretation, dass auch weiterhin eben diese akzessorische Anspruchseinschränkung für Familienangehörige möglich sei. Hier ist durch den Gesetzgeber auch zur Kenntnis zu nehmen, dass die Praxis zeigt, dass Behörden und Gerichte bereit sind, Gesetze im Zweifel stets bis zur Grenze der vertretbaren Auslegung und teilweise darüber hinaus zu Lasten der Betroffenen auszulegen. Es wäre daher eine eindeutigere Formulierung wünschenswert.

Zu § 2 AsylbLG

Die Änderung in § 2 Abs. 1 AsylbLG ist nicht weitgehend genug. Die Beschränkung des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum kann bestenfalls für kurze Dauer stattfinden. Dies ergibt sich aus dem Sanktionsrecht des „normalen“ Leistungsrechts (maximal für drei Monate) und auch aus der Rechtsprechung der Sozialgerichte zur Zumutbarkeit eines Regelsatzes von 80% für einen vorübergehenden Zeitraum (bspw. Bay LSG, Beschluss vom 22.08.2011 – L 11 AS 462/11 B ER: Absenkung im Eilverfahren bei unklaren Erfolgsaussichten auf 80% möglich = im Umkehrschluss, wenn der Leistungsanspruch an sich nicht in Frage steht, dann kommt auch keine Absenkung unter den Regelsatz in Frage). Nach diesen Grundsätzen wäre eine Wartezeit im Sinne des § 2 Abs. 1 AsylbLG höchstens auf 3 Monate zu beschränken. Diese Wartezeit würde auch mit der üblichen Unterbringungszeit in Erstaufnahmeeinrichtungen korrespondieren (§ 47 Abs. 1 S. 1 AsylVfG).

Der Referentenentwurf besagt mittelbar, dass für die ersten zwölf Monate des Aufenthalts der Bedarf ungleich dem Bedarf nach SGB XII sei. Worin diese Unterscheidung begründet sein soll, bleibt letztlich offen. Angeführt wird lediglich, dass in den ersten zwölf Monaten keine Perspektive für einen Daueraufenthalt gegeben sei. Abgesehen davon, dass diese Feststellung zweifelhaft ist, wäre jedoch darzulegen, worin konkret die Unterscheidung bei den Bedarfen zu sehen sein soll. Es wäre bspw. zu erklären, warum davon ausgegangen wird, dass eine Schwangere ohne Aufenthaltsperspektive keinen Schwangerschaftsbedarf hat, während eine Schwangere mit Perspektive einen solchen Bedarf hat. Auch Ausführungen zur Auswirkung einer Aufenthaltsperspektive auf den Mehrbedarf bei Alleinerziehenden wäre sicher spannend.

Zu § 3 AsylbLG

Das Sachleistungsprinzip in Abs. 1 Satz 1 ist zu weitgehend:

Das Festhalten am Sachleistungsprinzip wird u.a. damit begründet, dass Flüchtlinge in der Anfangszeit keinen Hausstand hätten und noch nicht wüssten, wo und wie man kostensparend einkaufen kann. Diese wohlmeinende Erwägung versagt jedoch nach Ablauf einer Anfangszeit (bestenfalls 3 bis 6 Monate). Eine Rechtfertigung für Betroffene, die seit Jahren dem Sachleistungsprinzip unterliegen, fehlt

Die Gewährung des Ernährungsbedarfs als Sachleistung kann nur das letzte Mittel einer Sanktionierung sein. Die Deckung des Ernährungsbedarfs durch Sachleistungen darf nicht als Regelfall normiert werden. Dabei können insbesondere die Ernährungsgewohnheiten der Betroffenen nicht ausreichend berücksichtigt werden. In der Praxis ist die Qualität der angebotenen Ernährung oft inakzeptabel, oft auch in der Quantität nicht ausreichend und bzgl. der Zutaten für viele Betroffene schlicht ungenießbar. Damit sind die Betroffenen jedoch gezwungen, ihren Ernährungsbedarf vom gewährten Barbetrag zu decken. Damit führt das Sachleistungsprinzip zu einer faktischen Leistungskürzung. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Betroffenen – in gewissen Schranken – Freizügigkeit genießen. Wenn jedoch die Ernährung nur in der Gemeinschaftsunterkunft durch Sachleistungen gewährt wird, so wird ein Sich-Entfernen von der Gemeinschaftsunterkunft unzumutbar eingeschränkt.

Die Gewährung des Kleidungsbedarfs durch Sachleistungen ist ebenfalls nicht hinnehmbar. Das Recht auf freie Auswahl der Kleidung wird damit unzumutbar eingeschränkt. In der Praxis sind oft auch keine ausreichenden Kleidungsbestände vorhanden. Zudem liegt der Wert der zur Verfügung gestellten Kleidung oft weit unter dem Wert des Bedarfssatzes nach Abteilung 3 des RBEG, so dass auch hier faktische Leistungskürzungen normiert werden. Wenn überhaupt ein vorrangiges Sachleistungsprinzip zulässig sein soll, dann nur, wenn es sich, bezogen auf die Regelsätze, um adäquate Sachleistungen handelt! Dazu müsste jedoch eine Qualitätssicherung normiert werden. In der Praxis erfolgt die Gewährung der Sachleistungen schließlich auch oft durch Private, welche durch das Sozialamt entsprechende Pauschalbeträge erhalten. Hier ist das Profitstreben dieser Privaten nicht zu unterschätzen, so dass auch daraus eine oft drastische faktische Leistungskürzung erfolgt: minderwertige Nahrung, kein warmes Wasser, verplombte Steckdosen, dauerhaft abgestellte Heizungen usw. usw.. Für die hier dargestellten Erwägungen spricht auch Rn. 135 der Entscheidung des BVerfG. Danach soll das Sachleistungsprinzip lediglich für die Übergangsregelung unangetastet bleiben, weil vermutet wird, dass die Bedarfe durch die jeweiligen Sachleistungen (adäquat) gedeckt sind. Diese Vermutung hält einem Praxistest jedoch nicht stand. Die Sachleistungen sind zu oft von derart minderer Qualität oder werden tatsächlich nicht erbracht, so dass gerade keine Bedarfsdeckung angenommen werden kann.

Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Pauschalierung der Regelbedarfe den Leistungsempfängern die Freiheit geben soll, die bewilligten Mittel frei und unabhängig einzusetzen oder anzusparen. Dieses Prinzip wird auch durch das Sachleistungsprinzip bei Gesundheitspflege und Gebrauchs- und Verbrauchsgütern des Haushalts missachtet.

§ 3 Abs. 1 Satz 2 AsylbLG ist so nicht hinnehmbar und ggf. wie folgt zu fassen: „Kann Kleidung nicht geleistet werden, so ist der Bedarf für Bekleidung und Schuhe in Form von Bargeld zu bewilligen.“. Es darf insbesondere nicht ins Ermessen der Behörde gestellt werden, ob der Kleidungsbedarf überhaupt zu decken ist, wenn keine entsprechenden Sachleistungen vorhanden sind. Die jetzige Regelung lässt Raum für die Auslegung, dass bei fehlender Gewährung des Kleidungsbedarfs durch Sachleistungen von der Gewährung dieses Bedarfs gänzlich abgesehen werden kann. In der Praxis werden so die Bedarfe von Betroffenen mit nicht gängigen Konfektionsgrößen schlicht nicht gedeckt und die Betroffenen sind bspw. im Winter darauf angewiesen, ihre gesamte Sommergarderobe übereinander anzulegen, wenn sie die Gemeinschaftsunterkunft verlassen wollen. Die Praxis sieht schließlich oft so aus, dass zweimal im Jahr die Kleiderkammer geöffnet wird und die Betroffenen entsprechende Bekleidung erhalten, soweit der Vorrat dies hergibt. Geht jemand leer aus, wird er oder sie auf das nächste Mal verwiesen.

§ 3 Abs. 1 Satz 3 AsylbLG ist wie folgt zu fassen: „Gebrauchsgüter des Haushalts bei Gewährung von Sachleistungen zur Verfügung zu stellen.“ Auch hier darf es nicht in das Ermessen der Behörde bzw. des Betreibers der Gemeinschaftsunterkunft gestellt werden, ob überhaupt Gebrauchsgüter des Haushalts zur Verfügung gestellt werden. Dieser Bedarf ist Teil des Existenzminimums und kann somit nicht zur Disposition stehen.

Bei der Festsetzung der Werte in § 3 Abs. 1 S. 4 und Abs. 2 S. 2 AsylbLG geht der Entwurf grds. von den Regelbedarfen des RBEG aus. Dennoch verbleibt im Ergebnis ein niedrigerer Bedarf für Betroffene gem. § 1 AsylbLG im Vergleich zu Betroffenen von SGB II und XII. Dies wird damit gerechtfertigt, dass bei AsylbLG-Leistungsbeziehern typischerweise einige Bedarfe aus den Regelsätzen nicht anfielen. Somit werden zwar Bedarfe zu Lasten der Betroffenen herausgerechnet, ohne dass jedoch ermittelt wird, ob und wie ggf. typischerweise auch zusätzliche Bedarfe bestehen. So werden typischerweise Telekommunikationsbedarfe hier deutlich höher sein als bei Leistungsempfängern nach SGB II / XII. Für Betroffene gem. § 1 AsylbLG entstehen bspw. typischerweise regelmäßige Rechtsanwaltskosten. Zudem entstehen typischerweise Verwaltungsgebühren, die für Bezieher von Leistungen nach SGB II / XII nicht entstehen – viele Behörden und Gerichte wenden insbesondere §§ 52 und 53 AufenthV bei „bloßem Bezug von Leistungen nach AsylbLG“ nicht an. Einige Bundesländer – bspw. Berlin – erheben nach wie vor Gebühren für Verlassenserlaubnisse nach § 12 Abs. 5 AufenthG usw.. Die hier erfolgte „Bedarfsermittlung“ ist somit weder schlüssig noch realitäts- oder bedarfsgerecht.

Die pauschale Herausnahme des Bedarfs aus Abteilung 5 (Hausrat) für alle Betroffenen ist zumindest für diejenigen, die eigene Wohnungen bewohnen nicht nachvollziehbar. In dieser Konstellation wird dieser Bedarf denknotwendig nicht gesondert erbracht. Insofern erscheint auch die Konstruktion über § 3 Abs. 2 S. 3 AsylbLG nicht glücklich, da es einmal mehr der Exekutive überlassen bleibt, ob und wie dieser Bedarf „gesondert“ erbracht wird.

Auch die teilweise Bereinigung des Bedarfs für Abteilung 6 (Gesundheitspflege) überzeugt nicht. Die Vorgehensweise ist hier extrem kleinlich und würde konsequent angewendet auch bei Leistungsbeziehern nach SGB II / XII teilweise zu Leistungskürzungen führen müssen (bspw. bei Berücksichtigung der nicht mehr existenten Praxisgebühr). Hier wird verkannt, dass gerade keine konkrete Bedarfsberechnung für den Einzelfall erfolgt, sondern Pauschalen gebildet werden, denen stets innewohnt, dass bestimmte Gruppen bestimmte Bedarfe so nicht haben. Dieses grundsätzliche Prinzip der Pauschalierung muss hier zu einer 1:1 Anwendung der Regelsätze führen. Dies gilt auch und vor allem für die vorgenommenen Bereinigungen in der Abteilung 12 (andere Waren und Dienstleistungen). Angesichts der typischerweise anfallenden Verwaltungsgebühren – siehe oben – erscheint der Bedarfsposten für Personalausweise vernachlässigbar.

Die Absenkung der entsprechenden Bedarfssätze bei erwachsenen Leistungsberechtigten, die als Partner einen gemeinsamen Haushalt führen, ist hier nicht gerechtfertigt.

Grundsätzlich hat das Bundesverfassungsgericht (Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09) prozentuale Abschläge vom Regelsatz für bestimmte Bedarfsgruppen für nicht zulässig erklärt. Die Zulässigkeit der hier entsprechenden Regelung aus § 20 Abs. 4 SGB II soll sich aber daraus rechtfertigen, dass 20 Jahre alte Untersuchungen des Deutschen Vereins ergeben hätten, dass von einer 10 prozentigen Einsparungen pro Person in einem Haushalt auszugehen sei, wenn zwei Personen als Paar zusammenleben. An dieser Konstruktion hatte bereits das LSG Hessen erhebliche Zweifel (LSG Hessen vom 29.10.2008 – L 6 AS 336/07, Rn 110). Auch der Deutsche Verein selbst hält die 20 Jahre alten Untersuchungen nicht mehr für tragfähig (Lenze in: LPK-SGB II, § 20, Rn. 38, mit Verweis auf Ausschussdrucksache 17 [11] 309, 54). Ungeachtet der Verfassungswidrigkeit des § 20 Abs. 4 SGB II zeigt sich jedoch deutlich, dass diese, oder entsprechende, Normen nur dann anwendbar sein können, wenn eine Haushaltsgemeinschaft vorliegt. Anderenfalls ist der Abschlag vom Regelsatz schließlich unter keinem denkbaren Gesichtspunkt gerechtfertigt. Insofern wird auch auf die Regelung in § 8 Abs. 1 Nr. 2 RBEG Bezug genommen. Hier leben die Betroffenen jedoch in der Regel in Gemeinschaftsunterkünften, in denen die Führung eines Paar-Haushaltes schlicht nicht möglich ist. Es besteht keine Vergleichbarkeit zu deutschen Ehepaaren, die in ihrem eigenen Haushalt wirtschaften.

§ 3 Abs. 2 S. 1 AsylbLG bleibt bzgl. der Möglichkeit von Gutscheinsystemen unverändert – dies ist nicht hinnehmbar, da die nach wie vor ständige Rechtsprechung bekanntlich entgegen dem Wortlaut des Gesetzes von einem Vorrang der Gutscheingewährung vor Geldleistungen ausgeht.

Hier ist vor allem zu berücksichtigen, dass die Betroffenen – in gewissen Schranken – Freizügigkeit genießen. Wenn jedoch lediglich Gutscheine für Geschäfte am Unterbringungsort gewährt werden, so wird ein Sich-Entfernen von der Gemeinschaftsunterkunft unzumutbar eingeschränkt.

Die ständige Behördenpraxis und die überwiegende Rechtsprechung gehen bei der Auswahl der Leistungsform von einem Rangverhältnis aus. Vorrangig seien dabei die Wertgutscheine und die Auszahlung von Bargeld sei nachrangig. Dies ergebe sich aus der Reihenfolge der Nennung der Leistungsformen in § 3 Abs. 2 S. 1 AsylbLG, der unterschiedlichen Nähe dieser Formen zum Sachleistungsprinzip, der Verknüpfung der Leistungsformen in der Aufzählung durch das Bindewort „oder“, die Entstehungsgeschichte, der Gesetzessystematik und der ratio legis des Prinzips der vorrangigen Sachleistung (vgl. GK-AsylbLG III, § 3 Rn 79). Die Reihenfolge der Aufzählung und die Verknüpfung durch das Wort „oder“ überzeugt nicht. Da Wertgutscheine und Bargeld denknotwendig nur alternativ bewilligt werden können, bleibt bei Anwendung der deutschen Sprache nichts anderes übrig, als diese beiden Alternativen durch das Wort „oder“ zu verknüpfen. Auch ein Verweis auf die Entstehungsgeschichte des Gesetzes kann nicht überzeugen. Ursprünglich war ein klares Vorrangverhältnis von Wertgutscheinen gegenüber Bargeld geregelt. Im Gesetz fand sich schließlich die Regelung, dass Bargeld nur dann zu gewähren sei, „wenn besondere Umstände der Aushändigung von Wertgutscheinen oder anderen vergleichbaren unbaren Abrechnungen entgegenstehen“. Mit der Gesetzesänderung von 1997 entfiel diese Passage. Aus der entsprechenden Gesetzesbegründung (BT-Drs. 13/2746) kann nichts hergeleitet werden, was auf eine Fortgeltung des Vorrangverhältnisses schließen ließe. Das Verwaltungsgericht Karlsruhe stützte jedoch ein Festhalten an dem Vorrangverhältnis damit, dass es auf einen entsprechenden Erlass des Innenministeriums des Landes Schleswig-Holstein zur Gesetzesänderung von 1997 verweist. Da das Land Schleswig-Holstein die 1997 vorgenommenen Änderungen zum AsylbLG vorgeschlagen habe, sei aus dem nachträglichen Erlass der eigentliche Wille des Gesetzgebers erkennbar (VG Karlsruhe, Urteil vom 13.07.2001 – 8 K 3499/99). Aus hiesiger Sicht kann ein nachträglicher Erlass eines Landesministeriums zur Umsetzung eines Bundesgesetzes jedoch keine Auslegungshilfe für das Bundesgesetz sein. Insofern sprechen der tatsächliche Wortlaut des Gesetzes und die beschriebene Gesetzesänderung von 1997 deutlich für eine Abschaffung eines Rangverhältnisses zwischen Wertgutscheinen und Bargeldleistungen. Auch die Gesetzessystematik und die ratio legis des Sachleistungsprinzips sprechen nicht gegen eine Gleichstellung von Wertgutscheinen und Geldleistungen. Vielmehr ist die Systematik des Gesetzes in sich schlüssig, wenn das Sachleistungsprinzip der Gewährung von Wertgutscheinen oder Geldleistungen grundsätzlich vorgeht. Erst wenn die Erforderlichkeit des Absehens von Sachleistungen nach § 3 Abs. 2 S. 1 AsylbLG festgestellt wurde, wird überhaupt erst ein Ermessen bezüglich der Wertgutscheine oder Geldleistungen eröffnet. Damit ist dem Vorrang des Sachleistungsprinzips ausreichend Genüge getan. Schließlich ist auch zu berücksichtigen, dass die Gewährung von Wertgutscheinen Sanktions- und Diskriminierungscharakter in sich birgt. Im „normalen Leistungsrecht“ kommt die Gewährung von Wertgutscheinen nur im Zusammenhang mit drastischen Sanktionen in Betracht (vgl. § 31a Abs. 3 S. 1 SGB II). In der Bevölkerung ist daher die Erkenntnis verankert, dass ein Angewiesensein auf Wertgutscheine stets mit rechtlichen Verfehlungen der Betroffenen verbunden ist. Insbesondere für Flüchtlinge, die oft in Gemeinschaftsunterkünften im ländlichen Raum untergebracht sind, stellt es eine zusätzliche diskriminierende Belastung dar, nur mit Wertgutscheinen bezahlen zu können. Nicht zuletzt stehen auch die nicht unerheblichen Kosten für das Betreiben von Gutscheinsystemen gegen die Annahme eines Vorrangs von Wertgutscheinen. Es gilt schließlich auch der kommunalrechtliche Grundsatz des wirtschaftlichen Verhaltens der Kommunen.

Eine ernsthafte Auseinandersetzung der Rechtsprechung mit den obigen Erwägungen fand bisher kaum statt (bisher „nur“ positive PKH-Entscheidungen: SG Stade, Beschluss vom 01.02.2013 – S 33 AY 52/12; SG Oldenburg, Beschluss vom 01.08.2013 – S 25 AY 95/12; positive Kostenentscheidung nach Erledigung: SG Hildesheim, Beschluss vom 29.04.2013 – S 42 AY 178/12 ER). In der Konsequenz üben die Behörden grds. nie Ermessen bei der Auswahl zwischen Wertgutscheinen und Geldleistungen aus. Das Gesetz sieht eine solche Ermessensausübung zwar vor – die Rechtsprechung statuiert aber ein zwingendes Vorrangverhältnis. Daher muss der Gesetzgeber zumindest eindeutig klarstellen, dass es kein Vorrangverhältnis von Wertgutscheinen vor Bargeld gibt, wenn er schon an der Möglichkeit von Wertgutscheinen festhalten will.

§ 3 Abs. 1 Satz 6 ist zu offen gefasst. Hier wäre eine Festlegung eindeutig bezifferter Bedarfsbeträge sachgerecht und die Normierung der unverzüglichen Gewährung dieser Leistungen. Die Praxis zeigt schließlich, dass Leistungen in Abschiebungshaft oft gar nicht gewährt werden, wenn keine zwingende Norm gegeben ist. Dies führt insbesondere dazu, dass Betroffene kostenintensive Telefonkarten in der Hafteinrichtung nicht erwerben können und so die formal bestehende Möglichkeit des Telefonierens faktisch verunmöglicht wird.

Es fehlt schließlich eine Regelung zu Mehrbedarfen i.S.d. § 21 SGB II. Es ist bspw. nicht nachvollziehbar, warum eine werdende Mutter im Leistungsbezug des SGB II einen Mehrbedarf hat, während dies für eine werdende Mutter im Asylverfahren nicht gelten soll.

§ 3 Abs. 6 beachtet nicht, dass Asylbewerber einen Anspruch auf die Einrichtung eines Girokontos haben. Es ist jedoch nicht ersichtlich, warum die Leistungen nicht auf das Girokonto überwiesen werden sollen.

Zu § 4 AsylbLG

Hier ist im Abs. 1 Satz 1 das Wort „akuter“ zu streichen. Es ist nicht verständlich, warum eine Behandlung bei einer nicht akuten Krankheit versagt werden soll.

Nach § 2 Abs. 1 AsylbLG soll diese Beschränkung der ärztlichen Versorgung auf mindestens zwölf Monate ausgedehnt sein – beim Vorwurf der rechtsmissbräuchlichen Aufenthaltsverlängerung kann es sich um viele Jahre handeln. Das Recht auf eine angemessene ärztliche Versorgung – bei jeder Erkrankung – ist jedoch ein selbstverständliches Recht für jedermann, das nicht beschränkt werden darf.

Schließlich wird es einmal mehr den Behörden überlassen, welche Krankheiten als „akut“ angesehen werden, so dass höchst unterschiedliche Standards von Behörde zu Behörde gelten.

Zu § 5 AsylbLG

Diese Norm ist zu streichen.

Gemeinschaftsunterkünfte werden zumeist durch private Betreiber unterhalten. Diese Betreiber werden in der Regel durch den zuständigen Landkreis finanziert. Pro untergebrachter Person wird ein festgesetzter Tagessatz gezahlt, der in der Regel nicht ausreichend transparent gemacht wird. Der Landkreis wiederum erhält für jeden Leistungsbezieher eine Pauschale vom Bundesland. In Brandenburg liegt diese Pauschale bspw. derzeit bei 9.011 EUR pro Person pro Jahr gem. ErstV. Der Landkreis „erwirtschaftet“ so stets einen Überschuss mit dem bspw. kostenintensive Gutscheinsysteme finanziert werden oder die Mittel schlicht in den allgemeinen Haushalt einfließen. Der Betreiber einer Gemeinschaftsunterkunft erhält ebenfalls in der Regel höhere Zahlungen, als er für den Betrieb der Unterkunft benötigt. Dennoch sollen die Leistungsbezieher im Wege der Arbeitsgelegenheit ohne Arbeitsverhältnis und ohne Erwerbslohn für den Betrieb der Gemeinschaftsunterkunft arbeiten. Diese Regelung ist arbeitsmarktpolitisch nicht vertretbar.

Zumindest Abs. 1 kann in dieser Form keinen Bestand haben. Ggf. wäre auf § 16d SGB II zu verweisen oder die dortige Formulierung zu übernehmen. Es muss vermieden werden, dass den Betreibern von Gemeinschaftsunterkünften kostenlose Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt werden, um die Aufgaben des Betreibers zu erfüllen, für die dieser Zahlungen vom Landkreis erhält.

Zu § 6 AsylbLG

Wenn diese Norm Bestand haben soll, wäre sie bspw. § 24 SGB II anzugleichen.

Zu § 6a AsylbLG

Hier sind Stellungnahmen der Verbände der Ärzte, Krankenkassen und Krankenhäuser angekündigt, so dass darauf verwiesen werden kann.

Zu § 6b AsylbLG

Die Verweisung auf § 18 SGB XII ist zu begrüßen. Um Defizite in der Praxis zu verhindern, wäre jedoch eine Regelung wünschenswert, wonach Ausländerbehörden und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Träger der Sozialhilfe unverzüglich über das Vorliegen der Voraussetzungen für Leistungen zu informieren haben.

Um eine eindeutige Regelung zu schaffen, wäre klarzustellen, dass eine Antragstellung zur Begründung eines Leistungsanspruchs nicht gefordert wird. Im Übrigen könnte dann auf § 40 SGB I verwiesen werden.

Zu § 7 AsylbLG

Die Neufassung ist ein erfreulicher Schritt in die richtige Richtung. Der allgemeine Vermögensfreibetrag von lediglich 200 EUR ist jedoch noch deutlich ausbaufähig.

Zu § 7a AsylbLG

Diese Norm ist zu streichen.

Bei einem verfassungskonformen System der Anrechnung von Einkommen und Vermögen bleibt kein Raum für eine Sicherstellung von Vermögen. Ist ein Betroffener im Besitz von anrechenbarem Vermögen, so hat er dieses Vermögen für die Sicherung seines Lebensunterhalts einzusetzen. Einer Sicherstellung bedarf es schlicht nicht. Dies umso mehr, als keine Regelung über eine Abrechnung der Verwendung des sichergestellten Vermögens vorliegt. In der Praxis ist die Verwendung und der Verbleib der sichergestellten Gelder oft mehr als undurchsichtig.

Zu § 9 AsylbLG

Da es sich – wie oben dargestellt – beim AsylbLG überwiegend um Ausländerrecht und nicht um Sozialrecht handelt, ist es nur konsequent, für das Verfahren grds. das VwVfG anzuwenden. Da sich der vorliegende Entwurf jedoch ausschließlich auf die Gesetzgebungskompetenz der sozialen Fürsorge beruft, wäre es sachgerecht, hier auch vollständig auf die Anwendbarkeit der SGB I und X zu verweisen, soweit das AsylbLG selbst keine spezielleren Regelungen getroffen hat. Die Anwendung von SGB I und X wäre auch generell sachgerechter.

Freilich ist angesichts von § 1 Abs. 1 SGB I verständlich, dass sich der Gesetzgeber schwer tut, das AsylbLG dem allgemeinen Sozialrecht zu unterwerfen. Nach dieser Norm soll schließlich „soziale Gerechtigkeit“, „soziale Sicherheit“, „ein menschenwürdiges Dasein“, „gleiche Voraussetzungen für die freie Entfaltung der Persönlichkeit, insbesondere auch für junge Menschen“, Schutz der Familie, Ermöglichung der freien Wahl einer Erwerbstätigkeit und „Hilfe zur Selbsthilfe“ erreicht werden. All diese Ziele decken sich nicht mit dem AsylbLG.

Die Anwendbarkeit von § 16 Abs. 2 SGB I wäre sachgerecht. Diese Norm würde insbesondere den neu eingefügten § 6b AsylbLG flankieren und sicherstellen, dass jede Behörde – insbesondere auch Ausländerbehörden – Sozialleistungsanträge an den Träger der Sozialhilfe weiterzuleiten hat.

Die sozialrechtlichen Aufklärungs- und Beratungspflichten aus §§ 13, 14 SGB I gehen deutlich weiter als die verwaltungsrechtliche Beratungs- und Auskunftspflicht nach § 25 VwVfG. Angesichts der Sprachprobleme und des typischerweise fehlenden Verständnisses für das deutsche Rechtssystem ist nicht ersichtlich, warum gerade die Betroffenen des AsylbLG weniger umfassend aufgeklärt und beraten werden sollen, als deutsche Sozialleistungsempfänger.

Rechtsanwalt Volker Gerloff

Immanuelkirchstr. 3-4, 10405 Berlin,

http://www.aufenthaltundsoziales.de/

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