Stellungnahme

Stellungnahme zum „Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des nationalen Rechts an die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems“

Gerne nimmt die Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen e.V. (VDJ) die Gelegenheit zur Stellungnahme wahr. Zugleich kritisiert die VDJ mit Nachdruck die viel zu kurz bemessene Frist zur Stellungnahme. Mit Besorgnis stellt die VDJ fest, dasszu kurz anberaumte Fristen im Rahmen der Verbändeanhörung mittlerweile zur Regel geworden sind. Dies unterminiert eine sachorientierte politische Diskussion von komplexen Gesetzgebungsprozessen. Gerade bei der Umsetzung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS), einer politisch hochumstrittenen Reform, die zu umfassenden Änderungen im Asylsystem führt, ist eine Anhörungsfrist von faktisch einer Woche (!) nicht sachgerecht. Die VDJ schließt sich der Kritik von Verbänden wie Tacheles e.V. bezüglich der generell zu kurzen Fristen in der Verbändebeteiligung an und fordert, dass die Fristen zu Stellungnahmen für Gesetzesentwürfe mindestens vier Wochen betragen.

Vorbemerkungen

Die Reform des GEAS war ein jahrelanger Prozess mit erheblichen Konflikten zwischen den EU-Mitgliedstaaten. Die zentralen Konstruktionsfehler des europäischen Asylsystems, darunter die fehlende solidarische Verteilung von Asylsuchenden, ungleiche Aufnahmebedingungen von Asylsuchenden, systematische Rechtsbrüche durch die EU-Mitgliedstaaten und eine defizitäre Durchsetzung der Rechtspositionen von Asylsuchenden, werden durch die Reform nicht korrigiert. Vielmehr – darin sind sich zahlreiche Wissenschaftler:innen und Praktiker:innen einig – werden diese Probleme zum Teil gravierend vertieft. Die VDJ positioniert sich gegen die Inhaftierung von Menschen auf der Flucht, von Sozialleistungskürzungen als Sanktionsinstrument gegen Sekundärmigration, gegen die Einschränkung der Bewegungsfreiheit und gegen die Verantwortungsverlagerung an vermeintlich „sichere Drittstaaten“, die de facto mit einer Aufwertung autokratischer Regime wie der Türkei oder Tunesien einhergeht. Die Reform des GEAS liefert auch keine Antworten auf die brennenden zukünftigen migrationspolitischen Herausforderungen, die durch vermehrte Fluchtbewegungen aufgrund von Krieg, ökonomischer Unsicherheit und der Klimakatastrophe verursacht werden.

Offensichtlich ist, dass der vermeintliche Konsens zwischen den EU-Mitgliedstaaten bereits kurz nach Beschlussfassung des GEAS aufgekündigt wurde. Regierungen in Europa wählen weiterhin nationale Alleingänge und stellen Vereinbarungen des GEAS wieder infrage. Alleine in den letzten Wochen hat die niederländische Regierung einen rechtlich unhaltbaren Notstand gegenüber der EU-Kommission notifiziert und die polnische Regierung plant eine partielle Aussetzung des Asylrechts. Auch in Deutschland dominieren Forderungen nach einseitigen Grenzschließungen und einer Abschaffung des individuellen Rechts auf Asyl die Diskussion. Die politischen Ziele hinter der Reform, u.a. eine nachhaltige Einigung in Europa über die Migrationsfrage zu erreichen, die Binnenfreizügigkeit zu erhalten und die Zustimmungswerte für extrem rechte Akteure zu minimieren, sind allesamt gescheitert. Stattdessen sollten 1. Gesetzgebungen menschenrechtsorientiert und rechtsstaatlich sein und 2. politische und ökonomische Maßnahmen ergriffen werden, um die Ursachen von Flucht wirksam zu bekämpfen. Dies würde nicht zuletzt bedeuteten die extraktivistischen und unsozialen Grundlagen der europäischen Politik zu ändern. Eine Fundamentalrevision der europäischen Handelspolitik, eine ökologisch nachhaltige Produktionsweise und ein Stopp von Waffenlieferungen in Kriegsgebiete sind geboten.

Trotz diesergrundsätzlichen Einwände steht eine Umsetzung der Reform aufgrund des unmittelbaren Anwendungsvorrangs des Europarechts an. In diesem Rahmen fordertdie VDJ vom Gesetzgeber, menschenrechtliche Vorgaben zu beachten und schließtsich dem Statement von 26 Bundesorganisationen vom 16. Juli 2024 an, die achtentsprechende Prioritäten benannt haben (u.a. Amnesty International, PRO ASYL,Paritätischer Wohlfahrtsverband etc.). 

Zur Kritik des Gesetzesentwurfs im Einzelnen

Aufgrund der kurz anberaumten Frist ist es aus Sicht der VDJ nicht möglich, zu allen Änderungen fundiert Stellung zu nehmen. Die Schnelligkeit von Gesetzgebung kann dazuführen, dass Änderungen im Detail mit womöglich großer Auswirkung übersehen werden.

Die VDJ nimmt daher nurzu ausgewählten Aspekten des Gesetzesentwurfs Stellung.

Grundsätzliche redaktionelle Änderungen des Asyl- und Aufenthaltsgesetzes: Durch den Entwurf werden zahlreiche Normen aus dem AsylG und AufenthG mit Verweis auf die höherrangigen Verordnungen schlicht gestrichen. Dies mag bezüglich der Rechtsquellenhierarchie zwischen nationalem Recht und Europarecht üblich sein. Aber für ein komplexes Rechtsgebiet wie das Asyl- und Migrationsrecht verkompliziert der Entwurf die Lesbarkeit durch Verweise auf andere Rechtsquellen enorm. Gerade aus Adressat:innensicht ist dies eine untragbare Veränderung, aber auch Praktiker:innen werden bei der Rechtsanwendung Probleme haben. Die VDJ schlägt deshalb vor, den Wortlaut der EU-Rechtsakte in das nationale Recht zu übertragen.

Grundrechtsmonitoring: Eine der wenigen aus menschenrechtlicher Sicht positiven Verhandlungsergebnisse beim neuen GEAS war die Einführung eines Monitoring-Mechanismus, um die neuen Instrumente im Hinblick auf die Einhaltung von Grund- und Menschenrechten zu kontrollieren. Im Entwurf der Bundesregierung fehlt dieser Mechanismus vollständig. Es bleibt daher unklar, wie die Bundesregierung sich eine Implementation vorstellt. Angesichts der gravierenden grund- und menschenrechtlichen Eingriffe, die das GEAS vorsieht, erachtet die VDJ diese Leerstelle im Entwurf als nicht hinnehmbar.

Beschränkung des Zugangs zu abgeschlossenen Bereichen, zu Hafteinrichtungen und zu Grenzübergangsstellen: In § 12c AsylG-E soll die Beschränkung des Zugangs zu abgeschlossenen Bereichen, zu Hafteinrichtungen und zu Grenzübergangsstellen für Personen aufgenommen werden, die Rechtsauskunft und Beratungsleistungen erbringen. Eine solche Norm gibt es im bisherigen AsylG nicht. In der zugrundeliegenden Verordnung EU Nr. 2024/1348 steht, dass die Mitgliedstaaten solche Beschränkungen in nationalem Recht aufnehmen „dürfen“, es handelt sich also um keine „Muss“-Vorschrift. Der Gesetzgeber sollte von einer Aufnahme dieser Norm absehen. Insbesondere die unbestimmten Rechtsbegriffe „öffentliche Sicherheitund Ordnung“ stellen in der Praxis stets Türöffner für willkürliche Anwendungen durch Behörden dar, die eine effektive Rechtsberatung von Schutzsuchendenerschwert.

Sichere Herkunftsstaaten und Drittstaaten: In § 27 AsylG-E und §29b AsylG-E soll festgeschrieben werden, dass die Liste sicherer Herkunftsstaaten und sicherer Drittstaaten zukünftig per Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates durch die Bundesregierung bestimmt werden soll. Die VDJ sieht hierin eine gravierende Umgehung demokratischer Verfahrensweisen. Bisher wird die Aufnahme eines Staates in die Liste sicherer Herkunftsstaatendurch die Zustimmung von Bundestag und Bundesrat vorgenommen. In der Vergangenheit ist – aufgrund zutreffender menschenrechtlicher Einwände – die Aufnahme in diese Liste im Falle der Maghreb-Staaten an der Verweigerung durch die Bundesländer gescheitert. Mit diesem Entwurf versucht die Bundesregierung offenkundig diese Widerstände zu umgehen und menschenrechtlich schwierige Entscheidungen per exekutiver Rechtsverordnung zu dekretieren. Die VDJ lehnt das Konzept „sichere Drittstaaten und Herkunftsstaaten“ grundsätzlich ab, fordert im Rahmen dieses Gesetzgebungsverfahrens jedoch die ersatzlose Streichung der angedachten Entscheidungsverlagerung über die Einstufung auf die Bundesregierung.

Haft: Durch die Reform werden neue Haftgründe im AsylG aufgenommen, insb. für das Screening-Verfahren, das an den deutschen Außengrenzen im Flughafentransitbereich implementiert werden soll. Die VDJ weist darauf hin,dass Haft im Rechtsstaat immer ultima ratio sein muss. Dieser Aspekt ist im Entwurf nicht hinreichend berücksichtigt. Stattdessen werden Haftgründe durch unbestimmte Rechtsbegriffe („öffentliche Sicherheit und Ordnung“) oder durcheinen unbestimmten Adressat:innenkreis geschaffen („um die Identität undStaatsangehörigkeit festzustellen“ – dies trifft am Ende auf alle Asylsuchendenzu). In der Praxis könnte dies zu einer uferlosen Anwendung von Inhaftnahmenführen.

Inhaftnahme von Minderjährigen: § 70a Abs. 3 AsylG-E stellt zunächst deutlich klar, dass Minderjährige, die als „Ausländer mit besonderen Bedürfnissen“ behandelt werden, grundsätzlich nicht in Haft genommen werden, nur um im Folgenden Ausnahmen hiervon aufzulisten. Begleitete Minderjährige, die also mit ihren Familien eingereist sind, können demnach „als letztes Mittel“ und wenn die „Inhaftnahme ihrem Wohl dient“ entweder mit Elternteilen/Betreuungspersonen oder auch unbegleitet für den „kürzestmöglichen Zeitraum“ festgehalten werden. Die Formulierung im Gesetzestext schützt Minderjährige nicht hinreichend vor Inhaftnahmen, wendet den Begriff des „Kindeswohls“ ins Absurde und öffnet für die Grenzbehörden neue Möglichkeiten, begleitete Kinder in Lagereinrichtungen festzuhalten. Die VDJ sieht in der Inhaftnahme von Kindern grundsätzlich eine Verletzung des Kindeswohls und der UN-Kinderrechtskonvention. Daher sollte der Gesetzgeber davon absehen Gründe in das Gesetz aufzunehmen, die eine solche Inhaftierung ermöglichen.  

Überprüfung im Bundesgebiet: In § 15a AufenhG-E soll die Möglichkeitverankert werden, Ausländer:innen, die einem Screening zu unterziehen sind, sich aber bereits auf dem Bundesgebiet aufhalten, zur Durchführung der Überprüfung die Person an den entsprechenden Ort zu verbringen. Dieser Ort wird in der Regel die Einrichtungen des BAMF und der Bundespolizei in Grenznähe sein. Hinter der sehr technischen Formulierung steckt eine starke Ausweitung von polizeilichen Kontrollen auf dem Bundesgebiet; oft werden dies ein Form eines „Racial Profiling“ stattfinden, weil die Behörden am Ende auch die Hautfarbe als ein Kriterium heranziehen werden, um potenzielle Adressat:innen des Screenings zu identifizieren. Aktuelle Forschungsarbeiten, zB von der Polizeiakademie Niedersachsen, bestätigen diese Befürchtungen. Das European Network Against Racism hatte in einer Stellungnahme vom 17.11.2023 genau vor dieser Vorschrift als Einfallstor entsprechender menschenrechtswidriger Kontrollen gewarnt. Sie ist daher nach Ansicht der VDJ zu streichen.

Anhörungen durch Sicherheitsbehörden: Durch § 73 Abs. 5AufenthG-E  wird eine faktische sicherheitsbehördliche und sehr umstrittene Praxis nachträglich legitimiert. Verfassungsschutz, Bundespolizei und Bundeskriminalamt sollen ermächtigtwerden, persönliche Anhörungen von Antragssteller:innen in Aufnahmeverfahren durchzuführen, um etwaige Sicherheitsbedenken bezüglich ihrer Einreise zu prüfen. Die VDJ sieht hierin ein geheimdienstliches Parallelverfahren, durch das eine erhöhte Ablehnungspraxis von Asylsuchenden im Vorfeld des eigentlichen Asylverfahrens begünstigt werden kann. Das ARD-Magazin Panorama hat im Sommer diesen Jahres öffentlich gemacht, wie willkürlich die Überprüfung in der Praxisabläuft – und dass gefährdete afghanische Frauen auf einmal ihre Einreisezusage verloren haben. Ein solches undurchsichtiges und rechtlich kaum zu kontrollierendes Verfahren sollte nicht gesetzlich legitimiert werden.

Bundesvorstand der VDJ am 21.10.2024

Bei Presserückfragen wenden Sie sich an: Dr. Andreas Engelmann, Bundessekretär der VDJ, Tel.: 06971163438, E-Mail: bundessekretaer@vdj.de
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