VDJ Info 08/2015 vom 11.06.2015
1. Vorratsdatenspeicherung: "Ein Misthaufen bleibt auch dann einer, wenn man drei Packungen Lametta hineinschüttet"
Experten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages haben unmittelbar vor der am 12.06.2015 beginnenden Beratung im Bundestag in zwei Gutachten moniert, dass der Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung die verfassungs- und europarechtlichen Vorgaben in mehreren Punkten nicht erfüllt. Dabei geht es unter anderem um die Information der Betroffenen und um den Schutz von Anwälten und anderen Berufsgeheimnisträgern.
Sie greifen dabei besonders an, dass die Eingriffsvoraussetzungen für Datenverwendung, -löschung oder -weitergabe die Vorgaben des Verfassungsgerichts nicht erfüllen würden, weil sie zu unklar formuliert seien und kritisieren außerdem, dass die Vorgabe des BVerfG, dass Betroffene grundsätzlich vor der Datenerhebung von dieser unterrichtet werden müssten, "nicht richtig" umgesetzt werde.
Drastisch-treffend denn auch der Kommentar von Heribert Prantl: Indirekte Zitate und Formulierengen aus dem Urteil des BVerfGs zur Vorratsdatenspeicherung, "machen aus einem schlechten Gesetz kein gutes. Um es deftig zu sagen: Ein Misthaufen bleibt auch dann einer, wenn man drei Packungen Lametta hineinschüttet."
"Ein unklares Gesetz freilich, in dem es um tiefe Grundrechtseingriffe geht, ist ein verfassungswidriges Gesetz. Sollten die Unklarheiten im Gesetzgebungsgang bereinigt werden, wird sich in großer Klarheit zeigen, dass man die Speicherei drehen und wenden kann, wie man will: Sie ist immer zu viel, weil sie die Berufsgeheimnisse und Zeugnisverweigerungsrechte aufhebt und die Überwachungsgesamtbilanz unzuträglich verschärft."
http://www.sueddeutsche.de/politik/vorratsdatenspeicherung-falscher-flitter-1.2514027
2. Aufruf "Vorratsdatenspeicherung stoppen! Sie haben es in der Hand."
In dem von der VDJ initiierten Aufruf "Vorratsdatenspeicherung stoppen! Sie haben es in der Hand.", der inzwischen von weit mehr als einem Dutzend Bürgerrechts- und Datenschutzvereinigungen sowie der dju in ver.di und einer großen Vielzahl von Einzelpersonen unterzeichnet worden ist, appellieren die Unterstützer*innen insbesondere an die Mitglieder und Bundestagsabgeordneten der SPD auf dem Parteikonvent am 20.06.2015 und im Bundestag dem Überwachungswahnsinn ein Ende zu setzen und gegen die Vorratsdatenspeicherung zu stimmen.
Der Aufruf kritisiert die von der Bundesregierung geplante Regelung als “weiteren Schritt in die vollständige digitale Überwachung”, für deren Notwendigkeit es keine überzeugenden Gründe gebe.
Hier kann der Aufruf unterstützt werden: vorratsdatenspeicherung-stoppen.de/unterstuetzen/
Gemeinsam mit der Deutschen Journalisten Union, die ihrerseits im Verbund mit anderen Medienverbänden und -unternehmen ihre strikte Ablehnung formuliert und die Gefahren für journalistischen Berufs- und Informantenschutz angreift,
https://dju-berlinbb.verdi.de/aktuell/nachrichten/++co++68ce2eae-1027-11e5-b10d-525400a933ef
lädt die VDJ am 17.06.2015 zu einem Pressegespräch in Berlin ein, an dem der Bundesvorsitzende der VDJ Dieter Hummel und der dju-Vorsitzende Ulrich Janßen sowie weitere den Aufruf unterstützenden Organisationen teilnehmen.
3. Konferenz "European Citizens without Defence - Access to Justice", 8. Mai 2015 in Madrid
Ein Teil der auf der Konferenz "Europäische Bürger ohne Rechtsschutz - Zugang zur Justiz" am 08. Mai 2015 gehaltenen Vorträge liegen inzwischen vor.
4. Synopse: "Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung" vom 25. Februar 2015"
Von der Gemeinnützigen Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender e.V. sind die zu erwartenden Änderungen im Aufenthaltsgesetz eingearbeitet, farblich gekennzeichnet und in eine lesbare Form gebracht worden. Grundlage ist der Entwurf zum "Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung" vom 25. Februar 2015. Den nach jetzigem Stand zu erwartenden vollständigen Gesetzestext zum Download hier.
5. An die Mitglieder der VDJ: Nach Sendung - Nachsendung
Gerade ist der Grundrechte-Report 2015 bei Ihnen/ Euch, den Kolleginnen und Kollegen der VDJ, eingetroffen, erreicht uns - bisher in überschaubarer Zahl - die Nachricht, die erwähnte Rechnung für den GRR habe nun entgegen den Angaben im Rundschreiben vom 08.06.2015 nicht beigelegen. Stimmt. So ein Versehen ist aber heilbar. Wir werden Ihnen/ Euch für die erbetene freiwillige Spende zur Deckung der Kosten der VDJ die gewünschte Rechnung alsbald gesondert zuschicken.
6. Feuilleton: Abschiedsvortrag von Jan Philipp Reemtsma über "Gewalt als attraktive Lebensform".
Ohne großes Feierritual verabachiedete sich am 05.06.2015 der bisherige Institutsleiter Jan Philipp Reemtsma vom Hamburger Institut für Sozialforschung mit einem Vortrag über "Gewalt als attraktive Lebensform".
Hier nicht in Lese- sondern Hörfassung:
Ungewöhnlich der Aufschlag mit einer Szene aus den "Buddenbrocks" von Thomas Mann:
"Es war drei Uhr nachmittags. Plötzlich wurde Rufen und Schreien vernehmbar. Ein Lärm, der sich näherte und anwuchs. Mama, was ist das?, sagte Clara, die durchs Fenster blickte. All die Leute... Was haben sie?"
Es war das Revolutionsjahr 1848 und der Ort war Lübeck.
Reemtsma setzte sich erneut mit der Frage auseinander: Wie muss Wissenschaft mit dem Thema Gewalt umgehen? Die Antwort auf die Frage, warum sie geschieht, reiche allein nicht aus für eine Erklärung.
Sehr unterschiedliche Deutungen erfuhren seine Ausführungen und Schlussfolgerungen:
www.deutschlandradiokultur.de/institut-fuer-sozialforschung-reemtsma-verabschiedet-sich.1013.de.html