VDJ Info 08/2020 vom 02.06.2020
GRR 2020 von Igor Levit vorgestellt: ""Fragen nach Solidarität, Miteinander, Füreinander – sie sind aktueller denn je!"
Der menschenrechtlich gegen Rassismus und Antisemitismus engagierte Pianist Igor Levit präsentierte heute in Berlin den Grundrechte-Report 2020. Für Levit steht die Gesellschaft vor bislang unbekannten Herausforderungen: "Die Verteidigung und der Ausbau der Grund- und Bürgerrechte und die darauf aufbauende Gestaltung einer solidarischen Gemeinschaft müssen deshalb oberste Priorität von uns allen sein. Die Fragen nach Solidarität, Miteinander, Füreinander – sie sind aktueller denn je."
Neben einem Themenmix - u.a. die Einführung der erweiterten DNA-Analyse im Strafprozessrecht, die Gefährdung von Umwelt und Gesundheit durch die Nitratbelastung des Grundwassers, den Einsatz von Elektroschockwaffen im Polizeistreifendienst oder die Ausweitung der Abschiebehaft, stellen Wohnen und Gesundheit herausgehobene Themen der diesjährigen Ausgabe dar.
Hierbei hob Ingrid Hoffmann, Mieterin bei der Deutsche Wohnen und Vertreterin der Berliner Kampagne „Deutsche Wohnen und Co. Enteignen!“, insbesondere auf die Vergesellschaftung von Immobilienunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen und darauf ab, dass "Wohnraum am besten aufgehoben (ist), als demokratisch verwaltetes Gemeingut, nicht als spekulatives Anlageobjekt."
Ulla Hedemann, die auf einer Berliner Kinderintensivstation arbeitet, berichtete, welche verheerenden Auswirkungen der Pflegenotstand und das aktuelle Abrechnungssystem für die Beschäftigten und für das Grundrecht auf Gesundheit hat.
HU: Kritik am BVerfG-Urteil zum BNG-Gesetz
Nachdem das BVerfG in seinem Urteil vom 19.05.2020 - 1 BvR 2835/17 - zwar entschieden hat, dass die Überwachung der Telekommunikation von Ausländern im Ausland durch den Bundesnachrichtendienst an die Grundrechte des Grundgesetzes gebunden ist und nach der derzeitigen Ausgestaltung der Ermächtigungsgrundlagen gegen das grundrechtliche Telekommunikationsgeheimnis (Art. 10 Abs. 1 GG) und die Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) verstößt, kritisiert die Humanistische Union in einer Erklärung vom 20.05.20, dass der BND weiterhin flächendeckend und ohne Anlass ausländische Telekommunikation überwachen darf.
So kann "die jetzt vom BVerfG geforderte, auf hinreichend bestimmte Zwecke begrenzte und einer verbesserten Kontrolle unterworfene Auslandsüberwachung nicht gelingen, ohne ihren grundsätzlichen Charakter als anlasslose Speicherung zu verändern. Alles andere erscheint als eine Quadratur des Kreises."
IALANA zur nuklearen Teilhabe und geplanten Anschaffung neuer Trägerflugzeuge für den Atomwaffeneinsatz
IALANA widerspricht in einer Erklärung vom 06.05.2020 entschieden dem von der Bundesregierung erörterten Plan, für den Einsatz der in Büchel stationierten US-amerikanischen Atomwaffen neue Trägerflugzeuge anzuschaffen und fordert, dass Deutschland umgehend die nukleare Teilhabe beendet. Ein erster Schritt hierzu wäre es, den Übungsbetrieb des Jagdgeschwaders 33 in Büchel mit sofortiger Wirkung einzustellen. Die Bundesregierung ist in ihren Entscheidungen nicht frei, sondern gemäß Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz an Recht und Gesetz gebunden. Sie hat Entscheidungen zu unterlassen, die gegen bindendes Völkerrecht und das deutsche Recht verstoßen. Dementsprechend hat der Bundestag am 26. März 2010 fraktionsübergreifend mit breiter Mehrheit den Beschluss gefasst, die Bundesregierung aufzufordern, „sich bei der Ausarbeitung eines neuen strategischen Konzepts der NATO im Bündnis sowie gegenüber den amerikanischen Verbündeten mit Nachdruck für den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland einzusetzen.“ Ein Beschluss zur Modernisierung der Trägersysteme in Büchel und zum Ankauf von US-amerikanischen F 18 Jagdbombern wäre mit diesem Beschluss und den Geboten des Grundgesetzes und des internationalen Rechts unvereinbar.
In dem Beitrag "Nukleare Teilhabe? F 18 oder Abzug der US-Atombomben" befasst sich Prof. Dr. Norman Paech ergänzend mit den rechtlichen Implikationen der nuklearen Teilhabe.
Regierungskommission empfiehlt Neuformulierung der Gemeinnützigkeitskriterien
Im dritten Engagement-Bericht empfiehlt die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission u. a. die "Überprüfung und Neuformulierung der Kriterien für die Anerkennung von Gemeinnützigkeit. Die Definition gemeinnütziger Zwecke in der Abgabenordnung muss erweitert werden, um neuen Typen des Engagements, wie etwa Engagement-Plattformen, Rechnung zu tragen." (S. 32 der Kurzfassung).
Bis jetzt gibt es noch keinen veröffentlichten Kabinettsentwurf zur Neuregelung des Gemeinnütziigkeitsrechts.
VVN: Bundesregierung hebelt demokratische Minimalstandards aus!
Nach Auffassung der VVN ist der Bundesregierung die Diffamierung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) wichtiger als ihre Informationspflicht gegenüber dem Bundestag. Dies müsse aus ihren Antworten auf eine umfangreiche Kleine Anfrage der Fraktion Die LINKE geschlossen werden (Drucksache 19/17233), mit der diese die Position der Bundesregierung zum Entzug der Gemeinnützigkeit des Verbandes erkunden wollte.
So könnten Auskünfte - nach Aussagen von Innen-Staatssekretär Günter Krings - „negative Folgen für die künftige Arbeitsfähigkeit und Aufgabenerfüllung der Verfassungsschutzbehörden“ haben. Es könne so die Sicherheit der Bundesrepublik insgesamt beeinträchtigt werden. Selbst eine Beantwortung unter VS-Einstufung, die in der Geheimschutzstelle des Bundestages einsehbar wäre, müsse deshalb ausscheiden.
„Damit erteilt die Bundesregierung dem sogenannten Verfassungsschutz einen Freifahrtschein für die weitere Diffamierung antifaschistischer Organisationen wie der VVN-BdA. Diese Diffamierungen können für zivilgesellschaftlich vielfältig engagierte Organisationen das finanzielle Aus bedeuten. Angesichts wachsender antisemitischer, rassistischer und sozialdarwinistischer Verschwörungsideologien ist das ein fatales Signal“ erklärte die Bundesvorsitzende Cornelia Kerth.
OVG Hamburg: Eilantrag gegen Verbot einer Versammlung auf dem Rathausmarkt nur teilweise erfolgreich
Nachdem das VG Hamburg mit Beschluss vom 22.05.2020 - 17 E 2120/20 - entschieden hat, dass die auf dem Rathausmarkt geplante Versammlung „Leave No One Behind“ mit einer maximalen Teilnehmer*innenzahl von 900 und weiteren im Einzelnen genannten Auflagen stattfinden darf, hat das OVG Hamburg auf die Beschwerde der Freien und Hansestadt Hamburg mit Beschluss vom gleichen Tag - 5 Bs 85/20 - die Entscheidung des VG Hamburg geändert und entschieden, dass die Versammlung lediglich mit einer Teilnehmer*innenzahl von 300 und unter weiteren Auflagen stattfinden darf.
Lesenswertes - Monique Chemillier-Gendreau: "Vers les jours heureux..."
Beziehungsreich hat Monique Chemillier-Gendreau, Ehrenpräsidentin der EJDM, ihrem Debattenbeitrag "Vers les jours heureux" ("Den glücklichen Tagen entgegen") ein Zitat aus der Patmos-Hymne von Hölderlin vorangestellt: "Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch".
Die von Covid-19 ausgelösten schweren Verwerfungen sind die Chance, die die Welt ergreifen muss, mit ihrer Zerstörung zu brechen und die Gelegenheit zu nutzen, die Grundlagen für eine gerechte und lebensfähige globale Gesellschaft zu schaffen.
Monique Chemillier-Gendreau geht von der Annahme aus, dass die Antwort auf die Herausforderungen, denen sich die Menschheit als Ganzes gegenübersieht, nicht eine Addition nationaler Politiken sein kann, noch weniger, wenn diese Politiken versuchen, isoliert durchgeführt zu werden; und sie präsentiert einen Ansatz und Vorschläge für eine globale Gesellschaft, die entschlossen ist, einen Zusammenbruch zu vermeiden, mit dem Entwurf internationaler Institutionen und des Völkerrechts, der einem neuen weltweiten Pakt entspricht.
Ein spannender Text nicht nur für Frankophile, sondern auch mit Übersetzungshilfe hilfreich zu erschließen.
Zur Duldung für „Personen mit ungeklärter Identität“ – Erläuterungen für die Beratungspraxis zu den Anwendungshinweisen des BMI zu § 60b AufenthG
Auch wenn die Anwendungshinweise des BMI für sich gesehen nicht rechtlich verbindlich sind, werden sie in der Praxis absehbar eine große Rolle spielen. Kirsten Eichler von der GGUA hat aus diesem Grund Erläuterungen für die Beratungspraxis verfasst. Weitere Hinweise zu Literatur und Rechtsprechung zu Fragen der Mitwirkungspflichten, Hinweispflichten und der Kausalität von selbstverschuldeten Abschiebungshindernissen sind der Rechtsprechungsübersicht von Lea Rosenberg vom Landesverband Hessen zu entnehmen.
Termine - Veranstaltungen
• Zum Vormerken: Samstag, 10.10.2020: Herbsttagung des AK Arbeitsrecht in Frankfurt/ M.: "100 Jahre Betriebsverfassung". Weitere Informationen folgen.
• Sonntag, 11.10.2020: Mitgliederversammlung der VDJ in Frankfurt/ M.
• Donnerstag, 15.10./ Freitag, 16.10.2020: Internationale Konferenz in Brüssel: "Re-Thinking Labour Law in the Digitalization Era" veranstaltet von The European Lawyers for Workers Network (ELW), The European Trade Union Confederation (ETUC) mit Unterstützung der European Association of Lawyers for Democracy and Human Rights (ELDH). Hier: Programm und Anmeldeformalitäten
Termine der Fortbildungsverstaltungen im Familienrecht
• Samstag, den 12.09.2020: „Darstellung und Struktur des familiengerichtlichen Verfahrens anhand von Beispielen aus dem Kindschaftsrecht und des Unterhaltsrechts – mit den jeweiligen Rechtsmittelmöglichkeiten“ mit Rechtsanwalt Dr. Peter Finger.
• Samstag, den 21.11.2020: „Aktuelle Probleme des Kindschaftsrechts“ mit Richterin am OLG Frankfurt Yvonne Gottschalk.
• Samstag, den 05.12.2020: „Vermögens- und Versorgungsausgleich – Wie werden private und öffentliche-rechtliche Modelle der Altersvorsorge ausgeglichen?" mit Vors. Richter am OLG Frankfurt a. D. Werner Schwamb.
Die Tagungen des Arbeitskreises Familienrecht/ Sozialpolitik finden im Veranstaltungszentrum Ka Eins im Ökohaus in der Kasseler Straße 1 a, in 60486 Frankfurt jeweils von 10h00 bis 16h00 statt. Anmeldung bei Manfred Hanesch, Fachanwalt für Familienrecht.