VDJ Info 10/2014 vom 15.07.2014
1. VDJ Stellungnahme zum Gesetzentwurf zur Änderung des AsylbLG
Das AsylbLG hat spätestens nach der Entscheidung des BVerfG vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10 und 2/11) keine Daseinsberechtigung mehr. Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum gilt für alle Menschen mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland. Eine Ungleichbehandlung von Personengruppen käme nach Auffassung der VDJ nur dann in Betracht, wenn konkrete Unterschiede im tatsächlichen Bedarf bzgl. des Lebensunterhalts und der Kosten der Unterkunft feststellbar wären. Bis heute liegen jedoch keine Feststellungen vor, die eine oder mehrere Personengruppen erkennen ließen, die niedrigere Bedarfe haben, als die durch das RBEG ermittelten Bedarfe.
Die VDJ lehnt die neuen Regelungen zur Änderung des AsylbLG insgesamt ab, weil sie weiterhin davon getragen sind, potentiell Asylsuchende von einer Einreise nach Deutschland abschrecken und nicht den menschenrechtlichen Anforderungen an Schutz für Flüchtlinge gerecht werden.
Dies wird insbesondere durch die unveränderte Vorgabe in § 1a AsylbLG unterstrichen, der unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt, dass die Höhe des Regelsatzes aus § 3 AsylbLG auf das im „Einzelfall nach den Umständen unabweisbar“ Notwendige abgesenkt werden darf. Damit wird ein autonomer und extralegaler Regelbedarf geschaffen. Dies ergibt sich insbesondere aus der zeitlichen Unbegrenztheit der Absenkung der Leistungen. Es gäbe demnach den vom BVerfG als menschenwürdiges Existenzminimum anerkannten Regelbedarf und daneben einen Regelbedarf, der im „Einzelfall nach den Umständen unabweisbar“ ist.
Weitere Stellungnahmen von
Pro Asyl:
http://www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/asylblg/PROASYL_AsylbLG_BMAS_2014.pdf
Flüchtlingsrat Berlin e.V.:
http://www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/asylblg/Stellungnahme_FR_Berlin_AsylbLG_2014_BMAS.pdf
2. Vorankündigung: Herbsttagung des AK Arbeitsrecht am 18.10.2014 in Frankfurt/ M.
Die Herbsttagung des Arbeitskreises Arbeitsrecht findet am 18. Oktober 2014,von 10.30 Uhr bis 16.00 Uhr in der IG Metall Vorstandsverwaltung (Main-Forum), Wilhelm-Leuschner-Straße 79, Frankfurt am Main, Konferenzraum 2 / Konferenzbereich 3. Stock zu folgenden Themen statt:
1. Das EU-US-Freihandelsabkommen (TTIP): "Mostly harmless" oder Gefahr für das deutsche Arbeitsrecht?" (Referent: Prof. Dr. Markus Krajewski, Fachbereich Rechtswissenschaft, Universität Erlangen-Nürnberg)
2. Immer in Bewegung: Befristete Arbeitsverhältnisse - unionsrechtliche Prägungen(Referentin: Kristina Schmidt, Richterin am Bundesarbeitsgericht)
http://www.vdj.de/mitteilungen/nachrichten/nachricht/herbsttagung/08adf3f6458ce1aea0ab1056c7a0b297
3. Nachlese: Litten-Preis-Verleihung an Selcuk KOZAĞAÇLI am 17.05.2014
Bei der Litten-Preisverleihung an Rechtsanwalt Selcuk KOZAĞAÇLI, der just am Tag der Preisverleihung erneut wieder anlässlich der Vertretung von Angehörigen der Bergwerksopfer in Soma in Polizeigewahrsam genommen wurde, erklärte Dieter Hummel, Vorsitzender der VDJ:
„Wer in einem Land, in dem jeder Protest sich sofort Polizeiketten gegenübersieht, sich für die Rechte der Protestierenden, der Unterdrückten, der Marginalisierten, der Opfer der wirtschaftlichen Interessen einsetzt, weiß, welchen Gefahren er sich aussetzt – Gefahren wie Verfolgung, Verhaftung, Inhaftierung, Berufsverboten, die wir uns in Deutschland kaum vorzustellen vermögen. Wer, wie unsere Kolleginnen und Kollegen des ÇHD, sich in Kenntnis dieser Gefahren für Unterdrückte und Verfolgte einsetzt, verdient unsere Achtung und unseren Respekt.
Die Gefahr der Verhaftung und Inhaftierung hat sich für die Angeklagten des ÇHD-Verfahrens, aber auch für die Angeklagten der anderen Verfahren (...) realisiert.
Diesen Angeklagten gehört unsere Solidarität. (...)
Die Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen und auch ich persönlich fühlen uns in diesem Sinne geehrt. Ich bedanke mich bei Selcuk KOZAĞAÇLI, dem Vorsitzenden des ÇHD, und allen Kolleginnen und Kollegen des ÇHD für die Entgegennahme des Hans-Litten-Preises.“
4. Vortrag von Lieven de Cauter anlässlich der Litten-Preisverleihung: „The Extremes of Contemporary Politics“
Lieven de Cauter, Philosophieprofessor in Leuven, Rotterdam und Brüssel, hat sich anlässlich der Verleihung des Hans-Litten-Preises der VDJ an den Menschenrechtsanwalt Selcuk KOZAĞAÇLI in seinem Vortrag mit der philosophischen Essenz neokonservativer Politik auseinandergesetzt. Hierin fragt er nach dem Kerngehalt des “War on Terror”, der nicht nur in den USA, sondern auch in Europa, nicht zuletzt der Türkei, bis heute in vollem Gange ist. Worin liegt das philosophische oder weltanschauliche Verständnis der Akteur_innen, die in Guantánamo rechtsfreie (Konzentrations-) Lager unterhalten, Hochsicherheitsgefängnisse für politische Aktivist_innen in Silivri (Türkei) einrichten oder in Belgien (und dem Rest Europas) ohne große öffentliche Debatte nach dem 11. September rechtsstaatlich mehr als zweifelhafte Geheimdienst- und Strafverfolgungsmittel einführten, um “Krieg gegen den Terrorismus” zu führen? De Cauter setzt hier philosophisch bei Carl Schmitt und Leo Strauss an: Carl Schmitts Diktum über den Ausnahmezustand als Inbegriff des (Innen-) Politischen: “souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet” (und damit über Leben und Tod), entspreche Leo Strauss´ Verständnis des Naturzustandes, der aus Perspektive der Neocons die Außenpolitik definiert.
http://www.rechtprogressiv.de/the-extremes-of-contemporary-politics/#more-721
5. EuGH maßregelt Bundesregierung zum Assoziationsrecht: Sprachanforderungen beim Nachzug von türkischen Ehegatten sind unzulässig
Der EuGH bestätigt in seinem Urteil vom 10.07.2014 in der Rechtssache Dogan / Bundesrepublik Deutschland (C-138/13), das die Beschränkung des Ehegattennachzugs durch Einführung eines Sprachtests im Ausland ein Verstoß gegen das EWG-Türkei-Assoziationsrecht war.
„Ein solches Spracherfordernis erschwert nämlich eine Familienzusammenführung, indem es die Voraussetzungen für eine erstmalige Aufnahme des Ehegatten eines türkischen Staatsangehörigen im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats im Vergleich zu den Vorschriften verschärft, die galten, als die Stillhalteklausel in Kraft trat. Eine solche Regelung stellt eine neue Beschränkung der Ausübung der Niederlassungsfreiheit durch die türkischen Staatsangehörigen im Sinne dieser Klausel dar.
Der Gerichtshof hebt hervor, dass die Familienzusammenführung ein unerlässliches Mittel zur Ermöglichung des Familienlebens türkischer Erwerbstätiger ist, die dem Arbeitsmarkt der Mitgliedstaaten angehören, und sowohl zur Verbesserung der Qualität ihres Aufenthalts als auch zur Förderung ihrer Integration in diesen Staaten beiträgt.“
http://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2014-07/cp140096de.pdf
Bei der Penetranz des BMI, insbesondere assistiert durch das Bundesverwaltungsgericht , ist aber nicht ausschließen, dass es aus der vom Gericht servierten Vorlage der Einzelfallregelung „schöpft“:
„Auch wenn man davon ausgeht, dass die von der deutschen Regierung angeführten Gründe – die Bekämpfung von Zwangsverheiratungen und die Förderung der Integration – zwingende Gründe des Allgemeininteresses darstellen können, geht eine nationale Bestimmung wie die im Ausgangsverfahren fragliche über das hinaus, was zur Erreichung des verfolgten Ziels erforderlich ist, da der fehlende Nachweis des Erwerbs hinreichender Sprachkenntnisse automatisch zur Ablehnung des Antrags auf Familienzusammenführung führt, ohne dass besondere Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden.“ (Rdnr. 38)
6. HU gegen Anschaffung und Einsatz von Kampfdrohnen
In einer Erklärung vom 03.07.2014 zu „20 Jahre Auslandseinsätze der Bundeswehr: Völlige Entgrenzung des Verteidigungsbegriffs und drohender Kontrollverlust der Kriegsführung durch bewaffnete Drohnen“ greift die Humanistischen Union die zunehmende Aufweichung des sogenannten Parlamentsvorbehaltes, der realistisch nur als "Genehmigungs-Automatik zu beschreiben sei, an und fordert strikte Ablehnung der Anschaffung und des Einsatzes von Kampfdrohnen.
7. Nicht alles nur Theater: Staatsschauspiel Dresden unterwegs mit „Ein Exempel - Mutmaßungen über die sächsische Demokratie“
Am 14.06.2014 wurde das Theaterstück „Ein Exempel – Mutmaßungen über die sächsische Demokratie“ von Lutz Hübner und Sarah Nemetz uraufgeführt.
Als A, der eines Abends den Kassendienst im linksalternativen Veranstaltungszentrum übernimmt und das Konzert der Weltmusikband bereits läuft, beginnt eine Gruppe Neonazis vor dem Eingang zu stören. A stellt sich, in der vollen Überzeugung, das Richtige zu tun, den Störenfrieden entgegen. Die Situation eskaliert. Beleidigungen fliegen hin und her, Handgreiflichkeiten folgen, und plötzlich findet sich A, der bisher noch nie aktenkundig geworden war, auf dem Polizeirevier wieder, wo er sich dem Vorwurf der vorsätzlichen Gewaltausübung stellen muss. Als er kurz darauf eine Vorladung erhält, ist der Wettstreit um die Deutungshoheit eröffnet. Warum entsteht der Eindruck, dass für die Justiz und Politik in Sachsen der Feind eher links steht? Welches Politikverständnis liegt diesen Vorgängen zugrunde? Mit welchen Interessenskonflikten muss man im beruflichen Alltag des Justizwesens umgehen? Und wie wirkt sich die Erfahrung, als Angeklagter im Mittelpunkt eines Prozesses zu stehen, auf das Privatleben aus.
http://www.staatsschauspiel-dresden.de/spielplan/ein_exempel/
Das Theaterstück ist voller Analogien zu den Blockaden gegen den Naziaufmarsch vom 19.02.2011. Im EXEMPEL-Forum 1 haben am 27. Juni Jürgen Schär (Oberstaatsanwalt), Silvio Lang (Bündnis Dresden nazifrei) und Martina Schulz (Demonstrantin und juristisch belangte Betroffene) miteinander diskutiert, um u. a. über juristische Strategien gegen politisch motivierte Straftaten miteinander ins Gespräch zu kommen. Frank Richter, Leiter der Sächsischen Landeszentrale für Politische Bildung, hat moderiert.
http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=44588