VDJ Info 5/2021 vom 19.04.2021
Rechtlich, sozial und wohnungspolitisch falsch - RAV kritisiert Aufhebung des Mietendeckels durch das BVerfG
In einer Pressemitteilung vom 15. April 2021 kritisiert der Republikanische Anwält*innenverein (RAV) die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom selben Tag zum MietenWoG Berlin (›Berliner Mietendeckel‹) und wirft dem Gericht einen "blinden Formalismus" vor. Das Gericht setze sich mit den zahlreichen rechtlichen Argumenten zur Möglichkeit einer sozialen Gesetzgebung der Länder in Wohnungssachen nicht auseinander und bediene lediglich die Interessenverbände der Vermieter. Die Pressemitteilung findet sich hier. Die juristisch und politisch fragwürdige Entscheidung, in der sich das BVerfG gegen die demokratische Selbstbestimmung des Landes Berlin in Sachen sozialen Wohnens stellt und einseitig Kapitalinteressen verteidigt, erging im Zweiten Senat ohne Gegenstimmen.
Dazu: Gather und Rödl kritisieren den Beschluss des Zweiten Senats des BVerfG vom 15.04.2021
Selma Gather und Florian Rödl gehen in ihrer Kritik der Frage nach, warum das Bundesverfassungsgericht ausgerechnet die "ungünstigste, verfassungspolitisch sowie praktisch folgenreichste Entscheidung" getroffen hat. Dass dem Berliner Senat keine Gesetzgebungskompetenz zukommt, könne nämlich nicht aus dem Verfassungstext abgeleitet werden. Vielmehr müsse das Gericht auf eine "Aktivität" des Bundesgesetzgebers auf dem Gebiet des sozialen Wohnens zurückgreifen, durch die sich die formelle Kompetenz im Gesetzgebungsgefüge verschoben habe. Zusätzlich müsse diese Aktivität anhand von einzelnen Zitaten von Abgeordneten als "abschließend" beschrieben werden, um so dem Landesgesetzgeber die Kompetenz zur Regulierung des Mietwuchers abzusprechen. Die Besprechung, die das Ausmaß juristischer Taschenspielertricks erst deutlich macht, findet sich hier. Eine weitere scharfe Kritik des Beschlusses, der einen "tiefen Schatten auf die Judikatur des zweiten Senats" werfe, von Tim Wihl findet sich hier.
VDJ unterstützt Erklärung: Angriff auf die Versammlungsfreiheit in NRW abwehren!
Die VDJ unterstützt den Aufruf des "Bündnisses Versammlungsgesetz NRW stoppen!" vom 12.04.2021 und stellt sich gegen eine weitere Schwächung der Versammlungsfreiheit in NRW und andernorts. Die Erklärung kritisiert insbesondere die Umwandlung der freien Ausübung von Versammlungen in ein mit der Versammlungsbehörde abgestimmtes und koordiniertes Event. Der grundlegenden Bedeutung der Versammlungsfreiheit in einer demokratischen Gesellschaft werde der Entwurf nicht gerecht. Bedenklich seien zudem die voraussetzungslosen Überwachungskompetenzen durch Videoüberwachung per Drohne oder Helikopter. Zudem kritisiert die Erklärung den autoritären Charakter des ganzen Vorhabens, der das tatsächliche Schutzbedürfnis - geschützt ist die Versammlung - umkehrt: "Anstatt polizeiliche Eingriffe strikter Kontrolle zu unterstellen, um damit (rassistische) Polizeigewalt, Einschüchterung und Überwachung zu unterbinden, verkehrt er die zentrale Bedeutung der Versammlungsfreiheit für eine demokratische Gesellschaft ins Gegenteil und muss daher unbedingt gestoppt werden!" Ein Link zum Bündnis und zur Erklärung findet sich auch hier.
Studie von Medico International zum "Komplex Moria", einem System von Abschottung und Entrechtung
In einer grundlegenden Studie für Medico International arbeitet der Rechtswissenschaftler und Politologe Max Pichl heraus, warum es sich bei Lagern wie in Moria nicht um eine "humanitäre Katastrophe", sondern um einen politisch erzeugten Komplex handelt, der einer Logik der Abschreckung folge. Kern dieses Systems sei eine institutionalisierte Unverantwortlicheit, zu der gerade das unklare Kompetenzgeflecht zwischen Mitgliedsstaat, EU und vor Ort eingesetzten NGOs beitrage. Auslagern, Zurückdrängen und Abschrecken, so beschreibt Pichl die zynischen Imperative des Komplexes Moria. Dabei arbeitet Pichl die Beiträge der einzelnen Beteiligten an dem unwürdigen Spiel genau heraus. Die aufschlussreiche Studie, die sich nicht scheut, Ross und Reiter zu benennen, findet sich hier.
Mindestens 132 illegale Rückschiebungen durch Frontex seit März 2020
Passend zur vorstehenden Studie von Maximilian Pichl berichtet der Spiegel über massenweise illegale Rückschiebungen unter Beteiligung von Frontex. Binnen eines Jahres seien nach der nichtöffentlichen internen Frontextstatistik mindestens 132 Boote "abgefangen" worden. Dabei würden die Motoren zerstört und die Boote zurück in türkische Gewässer geschoben. Die rechtswidrige Praxis werde sowohl von den Mitgliedsstaaten wie von der Europäischen Union weitgehend geduldet.
Humanistische Union und VDJ fordern: Keine Ausgangsbeschränkungen!
Die Humanistische Union (HU) fordert die politisch Verantwortlichen in einer Presseerklärung vom 13.04.2021 auf, keine nächtlichen Ausgangsbeschränkungen zu erlassen. Der kommentierte Entwurf im Bundestag sieht zwingende Maßnahmen ab einem Schwellenwert von 100 vor. Dazu gehört unter anderem die nächtliche Ausgangsbeschränkung. Diese Maßnahme werde nach Einschätzung der HU einer Prüfung der Verhältnismäßigkeit nicht stand halten, wie ein Urteil des OVG Lüneburg (AZ.: 13 ME 166/21) zeige. Mikey Kleinert vom Bundesvorstand der HU erklärt dazu: „Die vorgesehenen nächtlichen Ausgangsbeschränkungen verbieten auch den einsamen Parkspaziergang oder die nächtliche Joggingrunde." Und der Vorsitzende der HU, Werner Koep-Kerstin ergänzt: „Es gibt mildere Mittel, die beim neuen Gesetzesentwurf gar keine Rolle spielen. Es wird weiter die Verantwortung auf das Individuum abgewälzt, obwohl andere Maßnahmen einen sehr viel größeren Erfolg bei einem kleineren Grundrechtseingriff versprechen." Die vollständige Erklärung der HU findet sich hier. Der Bundesvorstand der VDJ hat sich der Erklärung angeschlossen und unterstützt die Forderung der HU ausdrücklich.