VDJ Info 6/2021 vom 10.05.2021
Gemeinsame Erklärung von RAV, Grundrechtekomitee und VDJ zum Entwurf eines Versammlungsgesetzes in NRW: Aushöhlung des Versammlungsrechts stoppen – Versammlungsfreiheit stärken, nicht beschränken!
In einer gemeinsamen Presserklärung vom 5. Mai 2021 lehnen der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV), das Komitee für Grundrechte und die Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ) den von CDU und FDP vorgelegten Entwurf für ein Versammlungsgesetz für Nordrhein-Westfalen als undemokratisch ab. Der Entwurf verfehlt den Kern eines Versammlungsgesetzes, den Schutz der Versammlungsfreiheit, und setzt an seine Stelle eine durchregulierte und vollüberwachte Veranstaltung, die mit den vom Verfassungsgericht ausgearbeiteten freiheitlichen Zügen einer Versammlung nichts mehr zu tun hat. Die Presseerklärung der drei Organisationen findet sich hier.
Erklärung der VDJ zum Demo-Verbot am 1. Mai in Hamburg: GG und Versammlungsfreiheit gelten auch in Hamburg!
Am 1. Mai zeigte sich die Hamburger Verwaltung erneut von ihrer versammlungsfeindlichen Seite und untersagte alle linken Demonstrationen. Die Hamburger Gerichte stellten sich hinter diese ultrarepressive Linie und bestätigten die Demo-Verbote. Die wenigen stattfindenden Kundgebungen wurden brutal aufgelöst. Die VDJ verurteilt den Hamburger Weg der Versammlungsverhinderung und Versammlungsbekämpfung als undemokratisch und verfassungsfeindlich. Unsere Presseerklärung findet sich hier. Über gewaltsame Polizeieinsätze und andere Schikanen gegen linke Demonstrationen am 1. Mai berichtet unter anderem die taz, die auch die Erklärung der VDJ aufgreift.
BAMF-Skandal endet als Hornberger Schießen, Schaden für Beteiligte und Flüchtlingsschutz bleibt
Ende April ging der Prozess gegen die ehemalige Leiterin der Bremer Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge mit Einstellung des Verfahrens gegen eine Geldzahlung zuende. Anders als man denken könnte, heißt das nicht, dass sich auch nur ein kleiner Teil der ausländer- und asylrechtlichen Vorwürfe gegen die ehemalige Leiterin der Behörde bestätigt hätte - die Geldzahlung bezieht sich auf andere Delikte. Es zeigt aber, wie in panischer Stimmung eine haltlose Jagd auf vermeintlichen institutionell verankerten Asylbetrug betrieben wurde und wie absurde Vorwürfe zur Beendigung der Karriere einer vorbildlichen Beamtin führen konnten. Dass diese Vorwürfe in Deutschland auf fruchtbaren Boden fielen, ist kein Zufall, sondern das Resultat einer jahrelangen Kampagne. Mittlerweile ermittelt die Staatsanwaltschaft Bremen gegen die Staatsanwälte, die die Anklage 2018 zu verantworten hatten. Ein Bericht zu den Vorgängen findet sich unter anderem hier.
BVerfG: Klimaschutz der Großen Koalition genügt nicht den verfassungsmäßigen Anforderungen
Mit Beschluss vom 29.04.2021 hat der erste Senat erstmals ein Gesetz wegen unzureichenden Klimaschutzes für verfassungswidrig erklärt. Das Gesetz reiche nicht aus und bedrohe die Freiheitsrechte zukünftiger Generationen. Das Gericht hat die Gesetzgeberin verpflichtet, die Fortschreibung der Minderungsziele der Treibhausgasemissionen für Zeiträume nach 2030 bis zum 31. Dezember 2022 näher zu regeln. Die Pressemitteilung des Gerichts findet sich hier.
Das Urteil wurde als großer Erfolg gefeiert. Es enthält jedoch auch verschiedene argumentative Fallstricke. Der von der Regierung verfolgte Klimaschutzpfad bis 2030 ist von dem Urteil nicht berührt. Eine schnelle Verbesserung wird das Urteil entgegen einer verbreiteten Erwartung wohl eher nicht bewirken. Gleichzeitig wirft das Urteil die demokratische Grundsatzfrage nach dem Verhältnis von Parlament und Verfassungsgericht auf: Sollen gesellschaftliche Richtungsfragen politisch von Parlamenten oder rechtlich von Gerichten entschieden werden? Diese Frage stellt sich unabhängig davon, ob man das konkrete Ergebnis begrüßt oder nicht. Zweischneidig erscheint auch die neue Argumentationsfigur der intertemporalen Grundrechtseinschränkung, die im Kern besagt, dass heutige Freiheitsbeschränkungen mit möglicherweise verhinderten zukünftigen Freiheitseinschränkungen aufgewogen werden können. Damit entsteht ein weiterer Rechtfertigungsgrund für (potentiell schwerwiegende) Grundrechtseingriffe, den das Grundgesetz so nicht vorsieht. In Kombination mit der "weiten Einschätzungsprärogative" der Gesetzgeberin und der Exekutive ergibt sich hier ein breiter Instrumentenkasten für Grundrechtseinschränkungen bis hin zu einem forcierten Sozialabbau. Dass sich dieses neue "Argument" nämlich nicht nur auf die Klimakrise beziehen lässt, beweist ein Beitrag im Verfassungsblog, der umgehend fordert, das neue Konzept auch auf die Staatsverschuldung und Sozialversicherungen anzuwenden und damit neoliberalen Austeritätsargumenten Vorschub leistet, die aus dem demografischen Wandel etwa Forderungen nach höherer Kapitaldeckung ableiten wollen. Bisher ist nicht abzusehen, inwiefern die neue Figur der Grundrechtseinschränkung in der Verfassungsrechtsprechung verfängt. In Anbetracht weitgehend positiver Besprechungen scheint hier jedoch auch eine nicht unerhebliche Gefahrenquelle für politische Selbstbestimmung und demokratische Grundrechte zu liegen.
Keine Steuernachzahlung: VVN-BdA war auch in der Vergangenheit gemeinnützig
Mit vollem Erfolg ist das Verfahren zur Prüfung der Gemeinnützigkeit der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten zu Ende gegangen. Das Finanzamt Berlin hat dem Einspruch der Vereinigung gegen die Aberkennung der Gemeinnützigkeit stattgegeben und die Steuerbescheide für 2016/2017 aufgehoben. Damit ist die VVN auch für die Vergangenheit rehabilitiert und die Gefahr für die Finanzierung der antifaschistischen Organisation abgewendet. Die VVN fordert allerdings weiterhin die generelle Streichung des § 51 Abs. 2 Satz 3 der Abgabenordnung, nach dem vermutet wird, dass Organisationen, die in einem Verfassungsschutzbericht stehen, nicht gemeinnützig sind. Diese Vermutung, die gegen die VVN eingesetzt wurde, gibt es den Geheimdiensten jenseits demokratischer oder rechtstaatlicher Kontrolle an die Hand, die Finanzierung zivilgesellschaftlichen Engagements durch Beobachtungen zu gefährden.
Lesenswert: Hans Litten führte vor 90 Jahre die Nebenklage gegen Hitler
Am 8. Mai 1931 stand Hitler wegen des Überfalls der SA auf ein proletarisches Tanzlokal als Zeuge vor Gericht. Litten war den Opfern des SA-Überfalls im Berliner Versammlungslokal Edenpalast als Armenanwalt und Nebenklägervertreter beigeordnet. "Im Gerichtssaal hat er versucht, die Strategien des braunen Terrors zu entlarven, ihre Protagonisten vorzuführen." An den "proletarischen" Rechtsanwalt Hans Litten, sein Märtyrium in der NS-Diktatur und an die braunen Kontinuitäten im Recht der frühen Bundesrepublik, das Litten konsequent verdrängte, einnert Heribert Prantl hier.
Veranstaltungshinweis: Sind Atomwaffen illegal? am 26.05.2021 um 16 Uhr online
Einladung der IALANA zum Webinar am 26.05.2021 von 16-17:30 Uhr: Neun Staaten besitzen ca. 13400 Atomwaffen. Die Atomwaffenstaaten modernisieren, testen, lagern und transportieren ihre Atomwaffen. Sie schrecken ab, sichern, üben, planen und kalkulieren mit ihnen. Und manchmal drohen sie unterschiedlich deutlich mit deren Einsatz. In dem Webinar soll der Rechtsrahmen, der insbesondere durch das Gutachten des Internationalen Gerichtshofs von 1996, durch die Allgemeinen Bemerkung des UN-Menschenrechtskomitees zum Recht auf Leben, den Atomwaffenverbotsvertrag sowie den Atomwaffensperrvertrag gestaltet wird, erläutert und die Frage „Sind Atomwaffen illegal?“ diskutiert werden. Der Link zur Registrierung lautet: us02web.zoom.us/meeting/register/tZUpdu6qrjMuH9ct7AJ9c-pfICqR24M-IhO8