Stellungnahme

Ein moderneres Arbeitsrecht für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts

März 2007 Die VDJ hat zum Fragenkatalog der EU-Kommission Stellung genommen.


1. Welche Punkte sollten Ihrer Ansicht nach auf der Agenda einer sinnvollen Arbeitsrechtsreform ganz oben stehen?

Vorbemerkung

Die Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen der Bundesrepublik Deutschland als berufsübergreifende Organisation von Juristinnen und Juristen, die seit ihrer Gründung vor 35 Jahren den sozialen und demokratischen Rechten der abhängig Beschäftigten verpflichtet ist, gibt im Folgenden zu Eckpunkten des Grünbuchs ihre Stellungnahme ab:

Unter Bezugnahme auf die „Lissabon Strategie“ will das Grünbuch der Frage nachgehen, wie nachhaltiges Wachstum und gleichzeitig mehr und bessere Arbeitsplätze geschaffen werden können. Dazu finden sich im Grünbuch allerdings keine konkreten Aussagen. Es wird lediglich in wissenschaftlich fragwürdiger Annahme unterstellt, dass mehr Flexibilität zu mehr Einstellung von Arbeitskräften und dann offenbar zu mehr Wachstum führen soll – ein bereits hinlänglich bekannter neoliberaler Ansatz.

Tatsächlich geht das Grünbuch der Frage nach, wie durch mehr Flexibilisierung im Arbeitsvertragsrecht und in Tarifvertragsrecht Anreize für Unternehmen geschaffen werden können, mehr ArbeitnehmerInnen einzustellen. Dagegen findet sich zum Titel des Grünbuchs in seinem Inhalt wenig. Es sei denn „moderneres Arbeitsrecht“ wird von vornherein als dereguliertes Arbeitsrecht definiert. Um den insbesondere bei Gewerkschaften oft negativ besetzten Begriff „Flexibilität“ möglichst zu vermeiden, wird der Begriff „Flexicurity“ benutzt, welcher suggerieren soll, dass es möglich ist, mehr Flexibilität auch mit mehr Sicherheit für die ArbeitnehmerInnen gleichsam harmonisch zu verbinden. Hierzu formuliert das Grünbuch konkret „…auf welche Weise neue, flexiblere Arbeitsformen mit einem Minimum an sozialen Rechten für alle Arbeitnehmer kombiniert werden können.“ und wie Europa wettbewerbsfähiger gemacht werden kann. Eine so verstandene Modernisierung stellt dann in der Tat eine Herausforderung des 21. Jahrhunderts dar, für alle die, die für den Schutz der Arbeitnehmerrechte eintreten, insbesondere für die Gewerkschaften.

Von seinem beschäftigungspolitisch falschen Ansatz her listet das Grünbuch insgesamt 14 Fragen auf, die im Rahmen einer viermonatigen Konsultation erörtert werden sollen. Diese Fragen sind allerdings weitgehend ungeeignet, dem Titel des Grünbuchs und für das tatsächlich wichtige Thema Aufklärung zu schaffen, wie und welches Arbeitsrecht benötigt wird, um die ArbeitnehmerInnen vor den gegenwärtigen und absehbaren Entwicklungen besser zu schützen.

Die VDJ nimmt hierbei zunächst folgende grundsätzliche Positionen ein:

- Recht auf Arbeit

Bei der Diskussion um das Grünbuch ist es unabweisbar, daran zu erinnern, dass bereits die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10.12.1948, gegeben durch die Vollversammlung der Vereinten Nationen in Art. 23 ein Recht auf Arbeit statuiert. Dies gilt sodann in besonderer Weise auch für die Europäische Union durch die Europäische Sozialcharta vom 18.10.1961. Auch in ihrer am 03.05.1996 modifizierten Fassung sieht die Europäische Sozialcharta in Art. 1 ein Recht auf Arbeit vor. Da das Recht auf Arbeit in der großen Mehrzahl der Nationen, die sich in der EU zusammengeschlossen haben, nicht wirklich umgesetzt wird, wie die hohe Sockelarbeitslosigkeit belegt, bedarf es einerseits der Absicherung des Rechts auf Arbeit im Rahmen der zukünftigen Europäischen Verfassung, zugleich bedarf es der rechtlichen Konkretisierung, insbesondere durch EU-Richtlinien, damit ein Recht auf Arbeit auch juristisch operationalisierbar wird. Ein solcher sozialer und arbeitsmarktpolitischer Ansatz der echten Gewährung eines so fundamentalen sozialen Grundrechts verspricht auch eine Verfassungsdebatte, die es ermöglicht, in den Nationalstaaten für die europäische Idee und eine demokratische Verfassung Mehrheiten der Bevölkerung zu finden – statt nebulöser politischer Verheißungen im Rahmen der Europäischen Union könnte so die Umsetzung des Rechts auf Arbeit zur Attraktivität der Europäischen Union beitragen bzw. sie in weiten Teilen erst herstellen.

Unbestreitbar führt die Massenarbeitslosigkeit nicht nur bei den unmittelbar Betroffenen zur erheblichen sozialen Verwerfungen, sie wirkt sich auch insgesamt auf die Arbeits- und Lebensbedingungen der abhängig Beschäftigten aus: Abbau von tradierten Schutzrechten, Lenkung des Lohn- und Gehaltsniveaus, Ausweitung von Arbeitszeiten, insbesondere auch zu gesundheitlich prekären (Nacht-)Zeiten, Schwächung von Beteiligungs- und Mitbestimmungsrechten etc. Ohne ein Recht auf Arbeit droht die bereits entstandene Schieflage sich noch zu verschärfen.

- Recht auf Bildung

Das Recht auf Arbeit muss flankiert werden durch ein Recht auf Bildung. Ein hochindustrialisiertes und auf technologische Innovation und wissenschaftlichen Fortschritt angewiesenes Wirtschaftssystem, welches die EU im Allgemeinen kennzeichnet, kann sich nur weiterentwickeln, wenn ein komplexes und sozialstaatliches abgesichertes System der Bildung rechtlich verankert wird, das alle Formen lebenslangen Lernens umfasst. Gerade in der BRD ist beginnend mit den allgemeinbildenden Schulen, deren Niveau nach allen Erkenntnissen der PISA-Studien jenseits internationaler Standards liegt ein Beleg für die strukturelle Rückständigkeit des Bildungswesens insgesamt gegenüber den Anforderungen der Wirtschaft und Gesellschaft. Dies gilt in gleicher Weise für die weiterführenden Bildungseinrichtungen. Durch in Deutschland gegenwärtig flächenmäßig in der Durchsetzung befindlichen Studiengebühren wird die Zahl der so dringend benötigten Hochschulabsolventen tendenziell sinken, insbesondere aus den Kreisen, die aufgrund ihrer sozialen Herkunft ohnehin in den privaten Finanzierungsmöglichkeiten eines Hochschulstudiums eingeschränkt sind. Die berufliche Bildung in Deutschland, die nach dem dualen Modell es den Unternehmen überlässt, Ausbildungsplätze anzubieten, erreicht eine viel zu große Zahl von Jugendlichen nicht, die damit schon in jungen Jahren schlicht aus dem Arbeitsmarkt und damit weitgehend aus einer Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ausgegrenzt werden.

Europaweit müssten insoweit Standards für die wesentlichen Bereiche der Bildung formuliert werden. Dabei sind bezogen auf die berufliche Bildung entsprechende verpflichtende Angebote von den Unternehmen entsprechend ihrer jeweiligen Größe abzufordern einschließlich einer angemessenen Beteiligung an der Finanzierung solcher Berufsbildungsmaßnahmen. Insgesamt ist die Frage der Investitionen in die Bildungssysteme der EU als Maßstab für gesellschaftliches Wohlergehen und positive Zukunftsentwicklungen zu charakterisieren. Die Diskussion und nachfolgende Verankerung eines Rechts auf Bildung hat dabei den gleichen Rang zu beanspruchen und sollte in gleicher Weise sanktionierbar werden, wie die Vorgaben der EU zur nationalen Haushaltsstabilität (Maastricht-Kriterien).

Flankiert werden müsste dies durch die Verpflichtung der Unternehmen, ihre Beschäftigten regelmäßig entsprechend ihren Aufgaben aber auch gemäß den Anforderungen der zukünftigen (insbesondere technischen) Entwicklung der Produktions- und Arbeitsbedingungen fortzubilden und zu schulen. Die berufsbegleitende aber auch berufsübergreifende Fortbildung stellt auch im Falle drohender Arbeitsplatzverluste für betroffene Arbeitnehmer eine wichtige Voraussetzung dar, um neue berufliche Chancen zu gewinnen und in diesem Sinne „leicht vermittelbar“ zu sein.

- Recht auf Transferleistungen

Eine solche rechtlich fundierte und europaweit durchgesetzte Qualifizierungsoffensive wäre einzubetten in ein System sozialer Transferleistungen, die nach einem Beschäftigungsverlust das Abgleiten in Arbeitslosigkeit verhindern helfen. Dazu zählen neben materiell auskömmlichen Lohnersatzleistungen, die den bisherigen sozialen Grundstandard weiterhin gewährleisten, jedenfalls auch Anspruch auf aktive Unterstützung zur Vermittlung in Arbeit, Förderung von Berufswechseln durch Zurverfügungstellung entsprechender auch längerfristiger Ausbildungsmöglichkeiten sowie Organisation von Outplacementoptionen ohne vorherigen Verlust des Arbeitsplatzes.

- Recht auf soziale Sicherheit

Hier steht an erster Stelle die Gewährleistung eines materiell tragfähigen Kündigungsschutzes, der stabile Arbeitsverhältnisse ermöglicht und den Menschen die Möglichkeit gibt, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren. Damit einhergehen muss ein Abbau von befristeten Arbeits- und sonstigen Beschäftigungsverhältnissen ohne Sachgrund (zu Einzelheiten siehe in der Stellungnahme weiter unten). Entsprechend Art. 12 der Europäischen Sozialcharta sind die Systeme der Sozialen Sicherheit „fortschreitend auf einen höheren Stand zu bringen“, um der zunehmenden Prekarisierung wirksam Einhalt zu gebieten.

Dazu gehört es, für besonders schutzbedürftige Bevölkerungsgruppen Rechte auf Schutz und Unterstützung zu formulieren, insbesondere für schwerbehinderte Menschen, Kinder und Jugendliche, weibliche Beschäftigte, insbesondere im Zusammenhang mit der Mutterschaft, Migranten etc.

- Recht auf Gesundheit und Arbeitsschutz

Einhergehend mit den neoliberalen Tendenzen werden insbesondere die Arbeitszeiten – auch zu ungünstigen Zeiten – immer weiter ausgedehnt mit oft gesundheitlich nachteiligen Folgen für die betroffenen Beschäftigten. Weiteren Ausdehnungen der Arbeitszeitflexibilität ist zu begegnen, massenhaft vorkommende Verstöße zu verhindern durch die Formulierung rechtlich wirksamer Sanktionen.

Die Aufsicht über die Einhaltung der Arbeits- und Gesundheitsschutzbestimmungen muss Sache der staatlichen Körperschaften bleiben. Ihre derzeit betriebene „Privatisierung“ bedeutet den Verlust entsprechenden realen Schutzes. Wirksame Sanktionen sind zu formulieren.

- Recht auf Mitbestimmung

Das Grünbuch enthält sich jeder Aussage zu den Beteiligungsrechten der ArbeitnehmerInnen in kollektiver Hinsicht. Der wirksame Schutz von Beschäftigten ist jedoch ohne Interessensvertretungen auf betrieblicher, Unternehmens- und Konzernebene nicht denkbar. Im bestehenden Arbeitsverhältnis ist aufgrund der strukturellen Unterlegenheit der Beschäftigten die Geltendmachung individuellen Rechtsschutzes vor so starke Barrieren gestellt, dass es deren kollektivrechtlicher Flankierung bedarf. Die Rechte der betrieblichen und Unternehmensinteressensvertretungen ist auszubauen, insbesondere auch im Hinblick auf die Durchführung größerer Strukturveränderungen (Betriebsänderungen). Mitbestimmung muss die reale Chance einräumen, auf wirtschaftliche Entscheidungen auch tatsächlich im Sinne von Erhalt und Ausbau von Beschäftigung Einfluss nehmen zu können.

Gewerkschaften sind institutionelle Rechte einzuräumen, nicht nur für ihre Mitglieder rechtliche Schutzbestimmungen auch rechtlich durchsetzen zu können. Neben der Absicherung des Streikrechts zählt hierzu auch die Schaffung von Verbandsklagerechten.

2. Kann eine Anpassung des Arbeitsrechts und der Tarifverträge zur Erhöhung der Flexibilität und der Beschäftigungssicherheit sowie zur Verringerung der Segmentierung des Arbeitsmarktes beitragen? Wenn ja, wie?

Eine sinnvolle Arbeitsrechtsreform sollte insbesondere für folgende Probleme Lösungen bereitstellen:

- Flexible Anpassung des Arbeitsvertrages an die Bedürfnisse der ArbeitnehmerInnen: Anspruch auf Wechsel von Vollzeit auf Teilzeit und umgekehrt; Anspruch auf Entfristungen von Arbeitsverträgen (ggf. nach bestimmten Zeitabläufen und in Abhängigkeit zum betrieblichen Bedarf), Option zur Durchsetzung von Versetzungen auch im Hinblick auf eine berufliche Fort- und Höherentwicklung.

- Gewährleistung gleicher Bezahlung bei Leiharbeit und /oder grenzüberschreitendem Einsatz von Arbeitskräften, im Rahmen von anderen Vertragsmodellen (z.B. Werkverträgen). In diesem Zusammenhang kann eine finanzielle Mindestabsicherung vorrangig durch die Anwendung von Tarifverträgen (gegebenenfalls durch Allgemeinverbindlichkeitserklärung) oder durch gesetzliche Regelung aller im Inland eingesetzten Arbeitskräfte (verpflichtender Mindestlohn, der den Beschäftigten einen sozialen Grundstandard garantiert) eine wichtige Rolle spielen.

- Portabilität von Ansprüchen und Anwartschaften bei Betriebs-, Unternehmensaufspaltung, Gesellschafterwechsel, insbesondere auch in länderübergreifenden Fällen, sowie damit gegebenenfalls verbundenen Betriebsübergängen. Die geltenden Bestimmungen enthalten insoweit nur einen unzureichenden Schutz und bieten vielfältige Umgehungsmöglichkeiten. Die Portabilität von Ansprüchen und Anwartschaften (verfallbare sowie unverfallbare) muss sichergestellt werden. Dazu gehören auch Arbeitszeitguthaben, deren rechtliche Absicherung im Insolvenzfall ebenfalls zu regeln wäre. Die langfristige gesamtschuldnerische Haftung der Veräußerer von Betrieben und Betriebsteilen, sowie bei Funktionsübertragungen ist sicher zu stellen. Zugriffsmöglichkeiten auf das Vermögen (insbesondere das Anlagevermögen) müssen auch nach dem Wechsel des Arbeitsverhältnisses auf einen anderen Arbeitgeber erhalten bleiben. Der Schutz bei der grenzüberschreitenden Übertragung von Betrieben, Betriebsteilen und Funktionen ist zu verbessern. Portabilität setzt notwendigerweise auch die Insolvenzsicherung der entsprechenden Ansprüche und Anwartschaften voraus. Entsprechende gesetzliche Grundlagen sind durch EU-Richtlinien einzufordern.

- Flexible Anpassung der Interessenvertretungsstrukturen an die Entscheidungsstrukturen im Unternehmen / in Unternehmensgruppen, insbesondere durch die Möglichkeit tarifvertraglicher Regelungen auf diesem Gebiet. Erleichterung der Schaffung länderübergreifender wirksamer Interessenvertretungsstrukturen, deren Rechte zu normieren sind, Verpflichtung der Unternehmen, betriebliche Interessensvertretungen zu fördern und zu respektieren – Vermeidung von interessenvertretungslosen Betriebs- und Unternehmensstrukturen.

- Schaffung eines kontinuierlichen Anspruchs auf Weiterbildung im Rahmen des laufenden Arbeitsverhältnisses, unter Fortzahlung der Bezüge und unter Freistellung von der Arbeitsleistung sowie Kostenübernahme durch den Arbeitgeber.

- Kontrolle der Einhaltung von Schutzbestimmungen für ArbeitnehmerInnen, z.B. des Arbeitszeitschutzes durch personell ausreichend ausgestattete Behörden. Auch die Schaffung eines eigenständigen Verbandsklagerechts für Gewerkschaften kann in diesem Zusammenhang einen wichtigen Beitrag leisten.

- Verpflichtung, ältere Arbeitnehmer zu fördern und z.B. durch arbeitsorganisatorische und gesundheitsfördernde Maßnahmen ihre Arbeitsfähigkeit zu erhalten.

- Keine zusätzliche Flexibilisierung zulasten der ArbeitnehmerInnen. Insbesondere im Bereich des Kündigungsschutzes oder des Tarifvertragsrechts sind weitere Flexibilisierungsmaßnahmen strikt abzulehnen. Die bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, dass hiermit keine zusätzlichen Arbeitsplätze geschaffen werden und letztlich nur eine Einkommensumverteilung zulasten der ArbeitnehmerInnen gefördert wird.

3. Wirken die geltenden Regelungen, seien es Gesetze oder Tarifverträge hemmend oder fördernd für Unternehmen und Beschäftigte, die die Chancen zur Erhöhung der Produktivität nutzen und sich an die Einführung neuer Technologien und an die mit dem internationalen Wettbewerb verbundenen Veränderungen anpassen wollen? Wie können die für die KMU relevanten Regelungen bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der angestrebten Ziele verbessert werden?

Schon die erste Frage dieses Komplexes ist falsch gestellt bzw. erklärt sich aus dem das Grünbuch durchziehenden neoliberalen Ansatz. Arbeitsrecht eignet sich nicht zur Wirtschaftsförderung. Wie das Bundesverfassungsgericht jüngst wieder bestätigt hat, befinden sich Beschäftigte im Rahmen ihres Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisses typischerweise in einer Situation struktureller Unterlegenheit; vgl. BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats), Beschluss vom 23.11.2006 – 1 BvR 1909/06. Das BVerfG führt hier aus:

„Soweit jedoch die Privatautonomie ihre regulierende Kraft nicht zu entfalten vermag, weil ein Vertragspartner kraft seines Übergewichts Vertragsbestimmungen einseitig setzen kann, müssen staatliche Regelungen ausgleichend eingreifen, um den Grundrechtsschutz zu sichern. ... Dass der einzelne Arbeitnehmer sich beim Abschluss von Arbeitsverträgen typischerweise in einer Situation struktureller Unterlegenheit befindet, ist in der Rechtsprechung des BVerfG anerkannt. ... Ebenfalls anerkannt ist, dass im Bereich des Arbeitslebens nicht nur der Arbeitgeber, sondern auch der Arbeitnehmer unter dem Schutz des Art. 12 I GG steht. Vor diesem Hintergrund schützt Art. 12 I GG auch das Interesse des Arbeitnehmers an zumutbaren Arbeitsbedingungen. ... Die von Verfassungs wegen zu berücksichtigende strukturelle Unterlegenheit des Arbeitnehmers besteht nicht nur bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses, sondern auch im bestehenden Arbeitsverhältnis. Sie endet ... auch nicht durch das Erreichen des allgemeinen Kündigungsschutzes ... dieser ändert nichts an dem ungleichen wirtschaftlichen Kräfteverhältnis der Arbeitsvertragsparteien. Der einzelne Arbeitnehmer ist typischerweise ungleich stärker auf sein Arbeitsverhältnis angewiesen als der Arbeitgeber auf den einzelnen Arbeitnehmer."; vgl. BVerfG vom 23.11.2006 in: NJW 2007, S. 286 f.

Insoweit dienen Arbeitsgesetze und zuförderst Tarifverträge dazu, dieser strukturellen Unterlegenheit soweit wie möglich und durchsetzbar entgegenzuwirken. Dem gegenüber die Erhöhung der Produktivität über die Einführung neuer Technologien als Maßstab heranzuziehen, würde der Erkenntnis zuwiderlaufen, dass sich solche Entwicklungen ohnehin ungeachtet des jeweiligen nationalen Status des Arbeitsrechts und in der Regel unter aktiver Mitwirkung der Beschäftigten aufgrund der wirtschaftlichen Dynamik durchsetzen. Die Globalisierung als Parameter heranzuziehen, wie es in der Fragestellung des Grünbuchs anklingt, würde darüberhinaus bedeuten, Arbeitsrecht und Tarifverträge zu nutzen, eine „Spirale nach unten“ einzuleiten, an deren Ende gesellschaftliche und Arbeitsverhältnisse stehen, die jedem Grundrechtsverständnis widersprechen und im diametralen Gegensatz u.a. zur Europäischen Sozialcharta steht.

Vielmehr sind Arbeitsrecht und Tarifverträge entsprechend ihrer auch vom BVerfG anerkannten Rolle auszubauen.

Dabei gilt es, die missbräuchliche Inanspruchnahme von KMU-Privilegien zu verhindern.

Die geltenden gesetzlichen Regelungen liefern den Unternehmen auf vielfältige Weise Anreize Wettbewerbsvorteile auf nationalem und internationalem Niveau dadurch zu erlangen, dass geltende Schutzbestimmungen für die Arbeitnehmer umgangen werden. Eine dieser Methoden besteht z.B. darin, dass Umsatzmultimilliardäre, wie die Dieter Schwarz Gruppe (LIDL), oder Aldi gesetzliche Privilegien für mittelständische Unternehmen für sich in Anspruch nehmen, indem sie ihre Aktivitäten auf eine Unzahl von „KMU“ im In- und Ausland aufteilen . Eine Verbesserung der für die KMU geltenden Regelungen muss in erster Linie darin bestehen, solche Missbräuche zu verhindern und sicher zu stellen, dass KMU nur die tatsächlich notwendigen Privilegien erhalten.

Dazu zählt insbesondere auch, dass im Kündigungsschutz tendenziell alle Betriebe dem Kündigungsschutz unterworfen werden und nicht durch die Schaffung von Quoren (Kündigungsschutz ab 10 Arbeitnehmern und mehr) weite Bereiche des Arbeitslebens aus einem zentralen Bereich des Arbeitsschutzrechts ausgeklammert werden.

4. Wie könnte die Aufnahme befristeter oder unbefristeter Arbeitsverhältnisse arbeitsrechtlich oder tarifvertraglich erleichtert werden, sodass im Rahmen der zugrunde liegenden Arbeitsverträge ein höherer Grad an Flexibilität ermöglicht und gleichzeitig aber auch eine angemessene Beschäftigungssicherheit und ein angemessener sozialer Standard gewährleistet werden?

Die arbeitsrechtlichen Normen haben – wie empirische Untersuchungen nachgewiesen haben – keinen signifikanten Einfluss auf die Einstellungsbereitschaft der Unternehmen. Befristungen führen aber generell zu einer erheblichen sozialen Unsicherheit der betroffenen ArbeitnehmerInnen. Dies gilt insbesondere, wenn verschiedene Formen von Befristungen (mit und ohne Sachgrund) miteinander auch über längere Zeitstrecken kombiniert werden können. Ein etwas höherer Grad an Beschäftigungssicherheit und von sozialem Schutz könnte allenfalls dadurch etwas stärker betont werden, wenn – wie die VDJ fordert – ein genereller Anspruch auf Entfristung befristeter Arbeitsverhältnisse eingeführt wird. Dies könnte es ArbeitnehmerInnen erleichtern, sich auf die Nachteile eines befristeten Vertrages einzulassen.

Soweit befristete Arbeitsverhältnisse in beschränktem Umfang weiter zulässig bleiben, sind bei deren Beendigung die für alle ArbeitnehmerInnen auszuformulierenden Rechte auf Transferleistungen ebenfalls einzuräumen.

5. Wäre es hilfreich, über eine Kombination von flexibleren Kündigungsschutzgesetzen und gut durchdachten Unterstützungsleistungen für Arbeitslose nachzudenken? Sowohl in Form von Lohnersatzleistungen (d.h. passiver Leistungen der Arbeitsmarktpolitik) als auch von aktiven Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik?

Die geltenden Kündigungsschutzbestimmungen sind schon jetzt völlig unzureichend, um auszuschließen, dass Arbeitsverhältnisse durch rechtswidrige Kündigungen beendet werden. Durch Verstärkung des Kündigungsschutzes sollte der Bestandsschutz verstärkt werden. Nur solange dies nicht ausreichend verwirklicht ist, kann die Portabilität des gesamten Besitzstandes – einschließlich der Arbeitszeitansprüche - sicherstellen, dass mit dem Wechsel des Arbeitgebers (auch im Insolvenzfall) der bisherige Besitzstand nicht verloren geht.

Durch den im Grünbuch angedachten Ausgleich der Nachteile bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch öffentliche Unterstützungsleistungen und die Beschränkung hierauf, werden die Unternehmen zu Lasten der Allgemeinheit von ihren sozialen Verpflichtungen befreit. Ungeachtet dieser Problematik ist durch angemessene Lohnersatzleistungen für die Gesamtdauer der Arbeitslosigkeit sicherzustellen, dass mit der Arbeitslosigkeit nicht der Absturz unter die Armutsgrenze einhergeht.

Aktive Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik, einschließlich der Gewährleistung von Ansprüchen auf die oben unter 1. formulierten Transferleistungen, insbesondere auch im Rahmen von staatlichen Programmen zur Schaffung neuer Arbeitsplätze sollten verstärkt werden, um durch Schaffung von Arbeitsplätzen die andauernde Arbeitslosigkeit zu vermindern.

In dieser Fragestellung wird allerdings erneut das Konzept des Grünbuchs offenkundig: Wer Kündigungen erleichtern („flexibilisieren“) will, entlässt die Unternehmen aus der sozialen Verantwortung, auch die Rechte der Beschäftigten zu wahren. Dieser offenbar gewollten „Privatisierung“ der Vorteile dieses Konzepts steht eine „Sozialisierung“ der Nachteile gegenüber in Form erhöhter staatlicher Lohnersatzleistungen. Dabei ist diese Tendenz umso gravierender auch für das gesellschaftliche Gesamtgefüge, als die Steuerlast der abhängig Beschäftigten tendenziell zunimmt zugunsten einer Absenkung der direkten und indirekten Unternehmenssteuern – eine weitere gesellschaftliche Umverteilung wäre die unabweisbare Folge dieses Konzepts.

6. Welche Rolle könnten Gesetze und / oder von den Sozialpartnern ausgehandelte Tarifverträge spielen im Hinblick auf die Förderung des Zugangs zur Ausbildung und die Erleichterung von Übergängen zwischen verschiedenen Vertragsformen mit dem Ziel, eine zunehmend bessere Beschäftigungssituation im Laufe eines durchgehend aktiven Berufslebens zu erlangen?

Die von den Gewerkschaften vorgeschlagene umlagefinanzierte Berufsausbildung erscheint als das geeignetste Mittel zur Schaffung einer bedarfsgerechten Anzahl qualitativ hochwertiger Ausbildungsplätze. Durch einen gesetzlichen Weiterbildungsanspruch, unabhängig von der Art des Beschäftigungsverhältnisses, kann die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen einerseits gestärkt werden und andererseits die Chance der Beschäftigten erhöht werden, neue berufliche Wege zu beschreiten. In einer zunehmend komplexer werdenden gesellschaftlichen Realität bleibt das Recht auf Bildung die entscheidende Option, sich den globalen Herausforderungen zu stellen.

7. Ist bei den in den Mitgliedstaaten geltenden juristischen Definitionen von Beschäftigung und Selbständigkeit größere Klarheit erforderlich, um „bona-fide“-Übergänge zwischen Beschäftigung und Selbständigkeit und umgekehrt zu erleichtern?

8. Braucht man einen Grundstock an Vorschriften, welche die Beschäftigungsbedingungen aller Beschäftigten, unabhängig von der Form ihres Vertrags, regeln? Wie würden sich derartige Mindesterfordernisse Ihrer Ansicht nach auf die Schaffung von Arbeitsplätzen und auf den Schutz der Beschäftigten auswirken?

Beide Fragestellungen zusammen signalisieren, dass auch bei der Europäischen Kommission (bzw. den Verfassern des Grünbuchs) ein Teil der realen Problematik auf den nationalen Arbeitsmärkten der EU „angekommen“ ist. Tatsächlich werden immer mehr Beschäftigte in Vertragsverhältnisse abgedrängt, die nicht mehr dem Schutz des Arbeitsrechts (oder nur in Teilen davon) unterstellt sind: Beschäftigungsverhältnisse als Ein-Mann/Frau-Unternehmen, im Rahmen von Werk- und Dienstleistungsverträgen, Leiharbeitsverhältnisse, Subunternehmerstrukturen, befristete Arbeitsverhältnisse und in der BRD Teilzeitarbeitsverhältnisse im Rahmen der steuerbegünstigten Pauschalverdienerregelung.

An beiden Fragestellungen insbesondere reibt sich der gegenwärtig publizierte Widerstand der Arbeitgeberverbände, die hier befürchten, dass es zur Schaffung eines einheitlichen Arbeitnehmerbegriffs und zur Ausdehnung von Schutzvorschriften auf "Selbständige" kommen könnte. Dies – so die Argumentation der Arbeitgeberverbände – würde den mitgliedstaatlichen Traditionen nicht gerecht und tendenziell Selbständige zu Arbeitnehmern machen. Die Unterwerfung gewisser selbständig Erwerbstätiger unter das, so die Arbeitgeberverbände „strenge Regiment des Arbeitsrechts“ würde massive Wettbewerbsnachteile nach sich ziehen (vgl. FAZ vom 28.02.2007 – Furcht vor Brüsseler Überregulierung im Arbeitsrecht – harsche Kritik der Wirtschaftsverbände am Grünbuch der EU-Kommission).

Richtig ist, dass die derzeitige Definitionslage für abhängig arbeitende „Selbständige“ völlig unzureichend ist. Insbesondere der Rückgriff auf die unter gänzlich anderen gesellschaftlichen Verhältnissen zustande gekommene Definition des Handelsvertreters in § 84 HGB reicht nicht aus. Vielmehr ist der Arbeitnehmerbegriff um die Frage der wirtschaftlichen Abhängigkeit zu erweitern. Der Schutz des Arbeitsrechts ist auszudehnen auf mindestens die Beschäftigungsverhältnisse, die auf Dauer angelegt sind und sich im Wesentlichen nur auf einen Auftraggeber beziehen, wobei und es an typischen Merkmalen unternehmerischen Handelns (eigenständiger Auftritt am Markt, Werbung etc.) fehlt und wo die Beschäftigung üblicherweise auch im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses ausgeübt wird bzw. werden kann.

Ungeachtet dessen geht es darum, insbesondere bei faktisch erzwungener „Selbständigkeit“ überhaupt erst einen sozialen Schutz aufzubauen, der dem bei unbefristeter Beschäftigung entspricht.

Dazu gehört auch die Inanspruchnahme von Unternehmen, die sich Wettbewerbsvorteile dadurch schaffen, dass sie Aufgaben von bisher tariflich gebundenen Beschäftigten auf „Selbständige“ verlagern. Solche "freien Mitarbeiter" müssen gegenüber ihren Auftraggebern ähnliche oder gleiche Rechte haben wie normale Beschäftigte. Der Anreiz für Outsourcing und Off-shoring würde sich dadurch für viele Unternehmen vermindern.

Für eine Verbesserung des Schutzes der „Selbständigen“ ist es auch erforderlich, sie unter den Schutz des Betriebsverfassungsgesetzes zu stellen. Bei der Festlegung der Größe des Betriebsrates und seiner erforderlichen Ressourcen muss dieser Personenkreis angemessen berücksichtigt werden, die im Betriebsverfassungsgesetz bestehenden Beteiligungsrechte sind auch auf diesen Personenkreis auszudehnen.

Ferner sollte als Zwischenlösung erwogen werden, insbesondere in größeren Betrieben und Unternehmen eine Quote für Beschäftigungsverhältnisse außerhalb des Arbeitsrechts sowie für Leiharbeitsverhältnisse vorzugeben. Diese Quote sollte nicht höher als 10% aller Beschäftigungsverhältnisse betragen, wobei zu erörtern wäre, ob ggf. Ausnahmen etwa im Rahmen tarifvertraglicher Absprachen mit den Gewerkschaften nach oben in bestimmten Branchen zulässig und angemessen wären.

9. Sollten Ihrer Ansicht nach die Verantwortlichkeiten der einzelnen Parteien in mehrseitigen Beschäftigungsbeziehungen eindeutiger geregelt werden, um festzulegen, wer für die Einhaltung von Beschäftigtenrechten verantwortlich ist? Wäre die Anordnung einer nachrangigen Haftung eine wirksame und praktikable Möglichkeit, um diese Verantwortlichkeiten bei der Einbeziehung von Subunternehmern sicherzustellen? Wenn nein, sehen Sie andere Möglichkeiten, einen angemessenen Schutz der Beschäftigten in „dreiseitigen Rechtsverhältnissen“ zu gewährleisten?

Die verschiedenen an einem mehrseitigen Vertragsverhältnis beteiligten Unternehmen – so die VDJ – müssen gesamtschuldnerisch für Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis haften. Gerichtsstandsvereinbarungen zulasten der ArbeitnehmerInnen dürfen nicht zugelassen werden. Umgehungen müssen so weit wie möglich ausgeschlossen werden. Ein wichtiger Schritt zu europäischen Mindeststandards könnte die Verabschiedung der Richtlinie zur Leiharbeit sein.

Die Interessenvertretungen der ArbeitnehmerInnen in den beteiligten Unternehmen müssen in die Lage versetzt werden, Informationen auszutauschen und in geeigneter Weise zusammen zu arbeiten.

Bei ggf. „mehrstöckigen“ Subunternehmer-Beziehungen ist eine Grundhaftung des Haupt-/Generalunternehmens vorzusehen und dies durch entsprechende verfahrensrechtliche Durchsetzungsmöglichkeiten zu flankieren.

10. Halten Sie es für notwendig, den Beschäftigungsstatus von Leiharbeitnehmern zu klären?

Die Verabschiedung der Europäischen Richtlinie zur Leiharbeit ist notwendig. Darüber hinaus müssen LeiharbeitnehmerInnen noch stärker als bisher auch unter den Schutz der jeweiligen Interessenvertretungen in den beteiligten Unternehmen gestellt werden.

11. Wie könnten Mindestanforderungen im Zusammenhang mit der Organisation der Arbeitzeit so geändert werden, dass sie sowohl zu mehr Flexibilität für Arbeitgeber und für Arbeitnehmer führen, als auch zu einem höheren Schutzniveau für Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer? Mit welchen Aspekten der Arbeitszeitorganisation sollte die Gemeinschaft sich vorrangig befassen?

Durch die gesetzliche und kollektive Regelung der Dauer und der Lage der Arbeitszeit sollen ArbeitnehmerInnen vor exzessiver Ausbeutung geschützt werden. Gleichzeitig sollen sie dadurch zu einer Lebensplanung gemeinsam mit ihrer Familie in die Lage versetzt werden. Mehr Flexibilität zu Lasten der ArbeitnehmerInnen ist immer gleichbedeutend mit mehr Ausbeutung und Zerstörung von Familienstrukturen. Die in den letzten Jahren eingeführte Verlängerung der gesetzlichen Wochenarbeitszeiten, die Erleichterung der Anordnung von Überstunden durch den Arbeitgeber, die Ausdehnung der Ladenöffnungszeiten etc. haben bereits in die bestehenden Schutzsysteme gravierend zu Lasten der ArbeitnehmerInnen eingegriffen. Die Europäische Gemeinschaft sollte sich damit auseinandersetzen, wie wieder ein ausreichender Schutz unverhältnismäßig weit reichender Flexibilisierung als Mindeststandard erreicht werden kann. Gleichzeitig sollte Flexibilisierung auch aus den Lebensbedürfnissen der Arbeitnehmer heraus ausreichend Niederschlag in den gesetzlichen Bestimmungen finden. Dazu könnte insbesondere gehören: der unkonditionierte Anspruch von Teilzeit auf Vollzeit und umgekehrt zu wechseln, der Anspruch auf eine Arbeitszeitlage, die den persönlichen und familiären Bedürfnissen, insbesondere im Hinblick auf die Betreuung von Kindern und Angehörigen gerecht wird.

Ferner sind wirksame Schutzbestimmungen zu formulieren dort wo Schicht- und Nachtarbeit unumgänglich bleibt. Dazu gehören längere, gesetzlich zwingende vorgegebene Freizeitblöcke, aktive Förderung bei kompensatorischen Gesundheitsschutzmaßnahmen, Verkürzung der Wochen- und ggf. Lebensarbeitszeit.

Zu einer humanen Arbeitszeitpolitik sollte auch die im Sinne der Beschäftigten liegende Option gehören, bei zunehmendem Alter die jeweilige Arbeitszeit zu reduzieren und Systeme für eine Lebensarbeitszeitbalance zu finden. Dies ist angesichts der demographischen Entwicklungen eine echte Herausforderung für das Arbeitsrecht des 21. Jahrhunderts.

12. Wie können die Beschäftigtenrechte von Beschäftigten, die in einem grenzüberschreitenden Bezug arbeiten, insbesondere von Grenzgängern, überall in der Gemeinschaft gewährleistet werden? Besteht Ihrer Ansicht nach Bedarf an einer einheitlicheren Definition des Begriffs "Arbeitnehmer" in den EU-Richtlinien, um sicherzustellen, dass diese Beschäftigten ihre Beschäftigungsrechte unabhängig davon wahrnehmen können, in welchem Mitgliedstaat sie arbeiten? Oder sind Sie der Ansicht, dass der Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten in dieser Frage nicht beschränkt werden sollte?

Die in der Entsenderichtlinie enthaltene Definition des Arbeitnehmers ist ausreichend. Wichtig ist die Schaffung von mehr Transparenz zugunsten der Arbeitnehmer. Die europaweite Sanktionierungsmöglichkeit von Verstößen ist kompatibel zu machen. Die Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten ist deshalb von besonderer Bedeutung. Wichtig ist auch die vorherige schriftliche Anmeldung von entsandten Arbeitnehmern sowie die ständige Bereithaltung der erforderlichen Unterlagen zur Kontrolle der einzuhaltenden Mindestarbeitsbedingungen.

13. Halten Sie eine verstärkte Verwaltungszusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden für erforderlich, um das gemeinschaftliche Arbeitsrecht wirksamer durchsetzen zu können? Können Ihrer Ansicht nach die Sozialpartner bei dieser Zusammenarbeit eine Rolle spielen?

Diese Frage ist nachhaltig zu bejahen. Diese Zusammenarbeit ist insbesondere erforderlich, um die reale Durchsetzung des gemeinschaftlichen Rechts so zu gewährleisten, dass nicht - national unterschiedlich - Vollzugsdefizite entstehen, mit der Möglichkeit, Wettbewerbsverzerrungen und Aushöhlungen des Arbeitnehmerschutzes auf nationaler Ebene „unter der Hand“ zu ermöglichen.

Bei der Entsendung von Arbeitnehmern hat eine solche verstärkte Zusammenarbeit offenbar bereits begonnen. Dies ist so auszubauen und zu ergänzen, dass der Ausbau prekärer Beschäftigungsverhältnisse verhindert wird.

Bisher ist es so, dass die Umsetzung der Richtlinien dem jeweiligen Mitgliedstaat im Rahmen seines nationalen Rechts vorbehalten ist. Auch hier ist Rechtsschutz auszubauen und Kontrolle auch durch europäische Behörden und Gerichte nur folgerichtig.

Dass die Tätigkeit der Behörden national wie europaweit die Sozialpartner und die betrieblichen Interessenvertretungen einbeziehen sollte, dürfte selbstverständlich sein.

14. Bedarf es Ihrer Auffassung nach auf EU-Ebene weiterer Maßnahmen, um die Mitgliedstaaten bei der Bekämpfung der Schwarzarbeit zu unterstützen?

Auch hierfür gilt, dass es nützlich ist, wenn die Kommission die Einhaltung der Umsetzung europäischer Mindeststandards nachhaltig prüfen und durchsetzen würde und auf dem Weg dahin, sowohl den Sozialpartnern als auch den unmittelbar Betroffenen Klagerechte zu europäischen Gerichten eingeräumt würden.

Schlussbemerkung der VDJ

Anhand der Fragen des Grünbuchs hat hiermit die Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen ihre Positionen zur Weiterentwicklung des Arbeitsrechts und seiner Modernisierung dargelegt. Dass dabei zu einzelnen Komplexen noch weitere Detaillierungen erforderlich sind, ergibt sich aus der Natur der Sache. Dies kann im Rahmen der Beantwortung der Fragen auch nicht abschließend geleistet werden. Bei allen Fragestellungen ist es aber notwendig, dass Grundverständnis zu reflektieren, das im Hinblick auf den Schutzcharakter des Arbeits- und Tarifrechts geboten ist. Dies sind die Grundrechte der Arbeitnehmer auf Arbeit und soziale Sicherheit. Hierbei kann angeknüpft werden an bereits bestehende Regelungen, wie sie beispielsweise der Europarat in der Europäischen Sozialcharta formuliert bzw. die Vereinten Nationen auch in die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte haben einfließen lassen. Es wird Zeit – so die VDJ –, dass an diese Grundrechte nachhaltig erinnert und ihrer Durchsetzung angesichts der gesellschaftlichen Verhältnisse in der EU der nötige Vorrang eingeräumt wird. Dies ist die Modernisierung, die das 21. Jahrhundert braucht.

Für die Vereinigung demokratischer Juristinnen und Juristen e.V.

März 2007

Jens Peter Hjort, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht

Thomas Schmidt, Rechtsanwalt, Dipl.-Volkswirt

Dieter Hummel, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht

Bei Presserückfragen wenden Sie sich an: Dr. Andreas Engelmann, Bundessekretär der VDJ, Tel.: 06971163438, E-Mail: bundessekretaer@vdj.de
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