NRW-Verfassungsschutzgesetz: Überwachung wird fortgesetzt
Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat einen Entwurf zur Änderung des Verfassungsschutzgesetzes NRW erarbeitet (LT-Drs. 16/2148), der umfangreiche Neuregelungen beinhaltet. Laut Gesetzesbegründung soll er “ein wesentlicher Schritt in Richtung eines umfassend kontrollierten, modernen, transparenten und gleichzeitig effektiven Verfassungsschutzes” sein. Diese wohlklingenden Worte versuchen zu verschleiern, dass es einen demokratisch kontrollierten Verfassungsschutz nicht geben kann. Auch die vorgesehenen rot-grünen Änderungen schaffen weder mehr Kontrolle noch mehr Transparenz.
Mit dem Auffliegen der durch den NSU verübten Neonazi-Morde stecken die Verfassungsschutzbehörden in einer Legitimationskrise. Über zehn Jahre haben die Inlandsgeheimdienste in Bund und Ländern trotz aller Hinweise nicht dazu beigetragen, die Morde an Migrant_innen aufzuklären und weitere Taten zu verhindern. Politiker_innen kündigten in der Konsequenz Reformen an.
Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat nun einen Entwurf zur Änderung des Verfassungsschutzgesetzes NRW erarbeitet (LT-Drs. 16/2148), der umfangreiche Neuregelungen beinhaltet. Laut Gesetzesbegründung soll er “ein wesentlicher Schritt in Richtung eines umfassend kontrollierten, modernen, transparenten und gleichzeitig effektiven Verfassungsschutzes” sein.
Diese wohlklingenden Worte versuchen zu verschleiern, dass es einen demokratisch kontrollierten Verfassungsschutz nicht geben kann. Auch die vorgesehenen rot-grünen Änderungen schaffen bei Lichte betrachtet weder mehr Kontrolle noch mehr Transparenz. Nachfolgend eine Kritik zentraler geplanter Neuregelungen:
1. Ursachen des Versagens verschleiert
Schon die mit dem Gesetzesentwurf verbundene Zielsetzung, den Verfassungsschutz effektiver zu machen, verschleiert die eigentlichen Ursachen. Nicht die Arbeitsweise der Behörden hat sie die NSU-Taten “übersehen” lassen, vielmehr haben sie die von neonazistischer Gewalt ausgehenden Gefahren nicht gesehen oder nicht sehen wollen. Sie haben, was von den Parteien gleich welcher Regierung in NRW und im Bund auch politisch gewünscht war, ihren Arbeitsschwerpunkt auf andere “extremistische Bestrebungen” (die linke politische Opposition) gelegt. Dort aber, wo politisch falsche Schwerpunkte gesetzt werden, ist die Forderung nach mehr Effektivität wirkungslos.
2. Umfassende Eingriffsbefugnisse normiert
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat die Regelungen des bisherigen Verfassungsschutzgesetzes zur Online-Durchsuchung für verfassungswidrig erklärt. Das Gericht bewertete insbesondere den fehlenden Schutz des Kernbereichs der persönlichen Lebensgestaltung der Betroffenen als mangelhaft. Der Gesetzesentwurf der Landesregierung nimmt diese Rechtsprechung auf und schafft eine den Urteilsgründen entsprechende Ermächtigungsgrundlage. Mit anderen Worten hat der Gesetzgeber die Grenzen ausgetestet, bis zu denen ein Grundrechtseingriff im Rahmen der Online-Durchsuchung gerade noch mit dem Grundgesetz zu vereinbaren ist, um dann genau diese Grenzen gesetzlich zu fixieren. Eine Diskussion darüber, ob dieses Instrument überhaupt mehr Sicherheit bringt und ob es die Beschneidung von Grundrechten politisch zu rechtfertigen vermag, findet sich im Gesetzesentwurf nicht.
Auch die Möglichkeit, Observationen mit technischen Mitteln (z.B. GPS) durchzuführen wird verlängert.
3. Einsatz von V-Leuten wird fortgesetzt
Laut Gesetzesentwurf sollen die gesetzlichen Vorgaben für den Einsatz von V-Leuten eingegrenzt und präzisiert werden. Unter anderem wird festgelegt, dass das Parlamentarische Kontrollgremium über den Einsatz zu unterrichten ist. Auch wenn Berichtspflichten eine Verbesserung gegenüber der bisherigen Gesetzeslage darstellen, ist diese Regelung abzulehnen, weil der Einsatz von V-Leuten weder notwendig noch vertretbar und deshalb einzustellen ist. Wenn in der politischen Debatte häufig vertreten wird, V-Leute seien ein “unverzichtbares Mittel der Informationsbeschaffung”, handelt es sich hierbei um eine bloße Behauptung. Nicht zuletzt, weil die Verlässlichkeit der Informationen nicht gesichert ist. Während also der Nutzen von V-Leuten bezweifelt werden muss, ist der angerichtete Schaden ungleich größer. Beispielsweise werden Informanten mit teils erheblichen Summen für ihre Tätigkeit bezahlt und indirekt neonazistische Gruppierungen damit finanziert.
4. “Charmeoffensive” wird ausgeweitet
Bislang hatte das Landesamt für Verfassungsschutz nur die Befugnis, Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben. Das neue Verfassungsschutzgesetz NRW verordnet der Behörde eine “Charmeoffensive”, indem es die Öffentlichkeitsarbeit ausdrücklich als Aufgabe des Verfassungsschutzes regelt. “Dies soll zu mehr Transparenz und zu einem stärkeren Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Verfassungsschutz führen. Durch seine fachlichen Informationen soll der Verfassungsschutz das gesellschaftliche Bewusstsein für [...] Gefahren stärken” (S. 54). Zugespitzt könnte man sagen, dass die Landesregierung offenbar der Auffassung ist, dass die Bürger die Arbeit des Verfassungsschutzes bislang nur deshalb kritisch bewerten, weil sie nicht ausreichend informiert sind. Darüber hinaus soll die Behörde auch Anlaufstelle für “Aussteiger” sein ohne zu begründen, warum gerade diese Behörde dafür besonders kompetent sein soll.
5. Mangelnde demokratische Kontrolle bleibt bestehen
Die Kontrolle des Verfassungsschutzes soll wie bisher dem Parlamentarischen Kontrollgremium obliegen, das aus Landtagsabgeordneten besteht. Neu ist, dass die Mitglieder des Gremiums bei ihrer Arbeit auf Bedienstete des Landtags zurückgreifen können. Diese Regelung ist ebenfalls nicht ausreichend. Eine effektive Kontrolle setzt voraus, dass bei einem arbeitsteiligen Zusammenwirken ein Vertrauensverhältnis zwischen den mit der Kontrolle befassten Personen besteht. Es wäre sinnvoll gewesen, wenn die Abgeordneten auch eigene Mitarbeiter_innen hätten benennen können, zu denen sie ein gewisses Vertrauen haben.
6. Fazit
Der Gesetzesentwurf schreibt im Wesentlichen den status quo fest, er enthält viele wohlklingende Worte bei gleich bleibenden Eingriffsbefugnissen. Der Verfassungsschutz wird nicht beschnitten, sondern soll aktiv in der Öffentlichkeit für seine Arbeit werben. Die parlamentarische Kontrolle wird nur unwesentlich verbessert.
Es liegt in der Natur eines Geheimdienstes, geheim zu arbeiten. Insofern ist das vom Gesetzesentwurf genannte Ziel eines “kontrollierten und transparenten” Verfassungsschutzes nicht umsetzbar. Der Bespitzelung der Bürger durch den Staat steht ein allenfalls marginaler Nutzen gegenüber. Im Ergebnis bleibt die Frage, was eigentlich den Verfassungsschutz und seine Arbeit legitimiert. Der Gesetzesentwurf hätte schlicht die Auflösung dieser Behörde vorsehen sollen.