Ukraine: Juristinnen und Juristen fordern Respektierung des Völkerrechts durch alle Konfliktparteien
Das Verhalten der Konfliktparteien in der Ukraine gefährdet im zunehmenden Maße den Weltfrieden.
Die westlichen Regierungen haben wesentlich beigetragen zu der gegenwärtigen Situation. Dies geschah mit der seit Jahren voranschreitenden Einkreisung Russlands durch die NATO und die Europäische Union. Es geschah mit der Unterstützung der gewaltsamen und illegalen Absetzung des ukrainischen Präsidenten. Der amtierende Präsident Janukovitsch ist seinerzeit nicht zurückgetreten, sondern nach Russland geflüchtet. Der Absetzungsbeschluss durch das Parlament entsprach nicht den von der ukrainischen genannten Voraussetzungen, welche die Absetzung wegen Flucht nicht kennt.
Es geschah mit der Unterstützung der ukrainischen Putschregierung , in der 4 Mitglieder der faschistischen Swoboda Partei wichtige Ministerposten besetzen (Vizepremier, Verteidigungsminister, Umweltminister, Landwirtschaftsminister), sowie die Position des Generalstaatsanwalts. Diese Partei pflegt in Deutschland gute Kontakte zur NPD.
Der Einsatz der US Söldnerfirma „Academi“ (früher „Blackwater“) auf Seiten der ukrainischen Putschregierung trägt ebenfalls erheblich zur Verschärfung des Konflikts bei und erhöht die Friedensgefährdung. Völkerrechtlich angreifbar sind auch die ohne Beschluss des UN Sicherheitsrats durch die US Regierung und die EU verhängten Sanktionen.
In der Pariser Grundakte über Gegenseitige Zusammenarbeit und Sicherheit zwischen NATO und Russland vom Mai 1997 haben beide Seiten sich verpflichtet, „gemeinsam im euro-atlantischem Raum einen dauerhaften und umfassenden Frieden zu schaffen“. Michail Gorbatschov war anlässlich der deutschen Vereinigung versprochen worden, die Nato würde sich nicht über die DDR hinaus nach Osten ausdehnen. Die tatsächlich erfolgte Osterweiterung der NATO und der EU sowie die globale Ausweitung des Stützpunktsystems der USA, das Raketenabwehrsystem dicht an der russischen Grenze, stehen dazu im Gegensatz.
Aber auch die wiederholte massive Verletzung und Missachtung des Völkerrechts durch die USA und andere westliche Regierungen hat zu dessen Verfall beigetragen. Spätestens seit der Auflösung Jugoslawiens, der militärischen Intervention der NATO, der Anerkennung der Sezession des Kosovo haben sie deutlich gemacht, dass die Respektierung des Völkerrechts nur erfolgt und gefordert wird, wenn dies den eigenen politischen Zielen nützt. Die Unterstützung der Zerstückelung Jugoslawiens, die militärische Intervention in Serbien, die Anerkennung der Loslösung des Kosovo von Serbien, die Kriege in Afghanistan und insbesondere im Irak sowie die anschließende Besetzung und Ausbeutung dieser Länder, die militärische Intervention in Libyen (bei der Absetzung Gaddafis) belegen dies ebenso wie die Unterstützung der gegen die syrische Regierung bewaffnet kämpfenden Gruppierungen. Die frühzeitige Unterstützung der keineswegs nur friedlichen Opposition in der Ukraine und des gewaltsamen Sturzes der ukrainischen Regierung wirkten ebenfalls konfliktverschärfend.
Dennoch ist die aktuelle Politik Russlands in dem Konflikt völkerrechtlich nicht zu rechtfertigen. Dazu gehört die Ankündigung und auch verdeckt durchgeführte militärische Intervention in der Ukraine und die Unterstützung und Anerkennung eines in seiner Gültigkeit zweifelhaften Referendums zur Loslösung der Krim. Nach dem weitgehenden Abschluss der Dekolonisation wird das Recht auf Sezession nur noch unter besonderen Umständen anerkannt. Das völkerrechtlich anerkannte Recht auf Selbstbestimmung der Völker umfasst heute nur noch in Fällen schwerer Missachtung der Menschenrechte das Recht auf Sezession. Das Selbstbestimmungsrecht für Minderheiten reduziert sich darauf, innerhalb der Grenzen des Staates Autonomie, Selbstverwaltung und föderale Strukturen zu bekommen. Auch die russische Regierung selber ist aus Furcht vor Sezessionsbewegungen in Russland sehr zurückhaltend mit der Anerkennung des Rechts auf Sezession. Die Aufnahme der Krim in die russische Föderation wird man unter diesen Umständen zwar kaum als Annexion im Sinne des Art. 39 der UN Charta ansehen können. Sie stellt jedoch einen friedensgefährdenden Schritt dar.
Die russische Regierung hat zu ihrer Rechtfertigung auch keine erheblichen rechtlichen, sondern nur politische und militärische Argumente vorgetragen. Diese reichen jedoch nicht aus, um die Aufnahme der Krim in die russische Föderation und eine militärische Unterstützung der russischen Separatisten in der Ukraine völkerrechtlich zu rechtfertigen.
Der angestrebte Beitritt zu EU oder die Assoziierung ebenso wie ein eventueller Beitritt zur NATO könnten zwar als unfreundliche Handlungen gegenüber Russland angesehen werden, würde aber völkerrechtlich keine Intervention Russlands und auch nicht die Aufnahme der Ukraine in die russische Föderation rechtfertigen. Das würde selbst gelten für eine Beendigung des Truppenstationierungsvertrages auf der Krim. Alle diese Maßnahmen stellen keine aggressiven Handlungen gegenüber Russland im Sinne des Völkerrechts dar. Selbst dann hätte zunächst der UN Sicherheitsrat angerufen werden müssen.
In diesem Konflikt kommt dem Selbstbestimmungsrecht besondere Bedeutung zu. Je nach Kalkül wurden Volksgruppen in ihren Unabhängigkeitsbestrebungen unterstützt oder bekämpft. Abchasien, das Baskenland, Irland, Kosovo, die Krim, Palästina, Südossetien, die jugoslawischen Teilrepubliken und die Westsahara sind einige Beispiele dafür. Bei zahlreichen Konflikten wurde von Russland wie von den NATO Staaten und der EU das Selbstbestimmungsrecht der Völker anerkannt oder abgelehnt, oder auf die völkerrechtlichen Prinzipien von Souveränität und territorialer Integrität gepocht. Aus dieser inkonsistenten Handhabung ist eine Situation entstanden, die insbesondere von Großmächten zur willkürlichen Anwendung im Sinne der eigenen Interessen missbraucht wird.
Solche Konflikte bergen daher großes Potential für die Gefährdung des Weltfriedens, wenn sie nicht friedlich gelöst werden.
Die VDJ fordert daher die Konfliktparteien in der Ukraine und ihre jeweiligen Verbündete auf, unverzüglich Maßnahmen für eine Konfliktlösung zu treffen, die im Einklang mit dem Völkerrecht stehen und geeignet sind eine friedliche Lösung des Konflikts herbeizuführen. Dazu können u.a. gehören
- Beendigung der bewaffneten Kämpfe
- Beendigung des Einsatzes von ausländischen Kombattanten jeglicher Art in dem Konflikt
- Beendigung von Waffenlieferungen in die Konfliktparteien
- Die Einstellung der von den USA und der EU verhängten Sanktionen
- Verhandlungen unter gleichberechtigter Einbeziehung der verschiedenen Bevölkerungsgruppen in der Ukraine und der beteiligten ausländischen Mächte mit dem Ziel einer dauerhaften Lösung für die Beilegung des Konflikts. Dazu können z.B. gehören: eine föderale Struktur mit Teilautonomie und die Anerkennung der russischen Sprache, die Neutralität der Ukraine und der Verzicht auf Mitgliedschaft in der NATO, eine Nichtangriffserklärung Russlands gegenüber der Ukraine
- Die Einrichtung einer internationalen Untersuchungskommission zur Aufklärung der schwere Verbrechen die während der Proteste sowie vor und während des später einsetzenden Bürgerkriegs begangen wurden und werden, insbesondere die Erschießung von DemonstrantInnen und PolizistInnen auf dem Maidan, das Massaker im Gewerkschaftshaus in Odessa, der Beschuss von zivilen Einrichtungen durch das ukrainische Militär
- Die Einholung eines Gutachtens vom Internationalen Gerichtshof über die Gültigkeit des Referendums auf der Krim und deren Anschluss an Russland