VDJ Info 06/2020 vom 07.04.2020

Covid-19-Pandemie: Kein geeigneter Katalysator für einseitigen Lobbyismus

Notlagen scheinen zu Grundrechtsverkürzungen einzuladen und dazu, einseitig Neuvermessungen vorzunehmen. So hat der DAV eine Stellungnahme am 24.03.2020 durch seinen Ausschuss Arbeitsrecht sowie die Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht „zu der Notwendigkeit, die Handlungsfähigkeit der Betriebspartner in der aktuellen Krise zu gewährleisten“, vorgestellt, in der Änderungen des Betriebsverfassungsgesetzes, aber auch Änderungen des Arbeitszeitgesetzes, des AÜG und des SGB III gefordert werden.

Gegen diesen Vorstoß wendet sich eine Initiative von weit mehr als 350 im Arbeitsrecht tätigen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten in einer Gegenposition. Während der Vorschlag zur Beschlussfassung der Arbeitnehmerinteressenvertretungen „im Umlaufverfahren“ noch als Versuch eines Beitrags zur Gewährleistung der Handlungsfähigkeit der Betriebsparteien gewertet werden mag, haben alle anderen Vorschläge eine Schwächung der kollektiven Interessenvertretung, der Privatautonomie der Beschäftigten und der sie schützenden Gesetze zum Gegenstand und dienen allein der Verwirklichung von Arbeitgeberinteressen.

Weitere Unterstützungserklärungen an antwort@dka-kanzlei.de. Bitte neben dem Namen auch die Kanzlei und den Ort angeben.

Demonstration mit Vermummungsgebot

Nachdem Atomkraftgegnern zunächst die von ihnen angemeldete Mahnwache gegen Uranmülltransporte am 06.04.2020 von der Stadt Münster untersagt worden war, haben sich die Verfahrensbeteiligten nach Beantragung von Eilrechtsschutz beim VG Münster darauf geeinigt, dass die Versammlung unter den Auflagen, dass die Protestierenden einen Abstand von 1,50 m zueinander halten, einen Mundschutz tragen und Personen, mit Corona-Sympthomatik (Husten, Fieber, Atembeschwerden) nicht teilnehmen dürfen, erlaubt ist.

Unter gleichen Voraussetzungen konnte in Flensburg auf dem Südermarkt eine Versammlung stattfinden.

Demonstrationsverbote unter Corona

Das VG Hamburg hat mit Beschluss vom 4. April 2020 - 3 E 1568/20 - einen auf die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zur Durchführung einer Versammlung gerichteten Eilantrag abgelehnt

Ausnahmen vom Verbot von Versammlungen können nach der  Verordnung zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 in besonders gelagerten Einzelfällen zugelassen werden, sofern dies aus infektionsschutzrechtlicher Sicht vertretbar ist. Das hat das Gericht verneint und hervorgehoben, dass - selbst bei Verwendung von Gesichtsmasken durch die Versammlungsteilnehmer - die Durchführung der Veranstaltung zu einer Erhöhung des Infektionsrisikos führen würde.

In einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren hat das VG Hannover mit Beschluss vom 25.03.2020 - 15 B 1968/20 entschieden, dass bei offenen Erfolgsaussichten der Klage gegen eine infektionsschutzrechtliche Allgemeinverfügung im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung das Schutzgut der menschlichen Gesundheit und des Lebens gegenüber der Versammlungsfreiheit überwiegt.

Ausgangs- und Aufenthaltsbeschränkungen

Der BayVGH hat mit Beschluss vom 30.03.2020 - 20 NE 20.632 - den “Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, weil die angegriffene Verordnung aller Voraussicht nach eine hinreichende gesetzliche Grundlage findet. Die Verordnungsermächtigung nach § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs.1 Satz 1 IfSG sei in der zum Entscheidungszeitpunkt maßgeblichen Fassung, die sie durch das „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ vom 27. März 2020 (BGBl. 2020 I S.587 ff.; BT-Drucks 19/18111) erhalten hat, nicht zu beanstanden. Die durch die Verordnung vorgesehenen verbindlichen Einschränkungen der Grundfreiheiten der Antragsteller seien angesichts der infektionsrechtlichen Bedrohungslage gerechtfertigt. Der Verordnungsgeber sei jedoch laufend verpflichtet zu überprüfen, ob und inwieweit er die durch die Verordnung getroffenen Einschränkungen aufrechterhält.”

Ebenso hat das OVG Berlin-Brandenburg am 25.03.2020 - OVG 11 S 12/20 - die Beschränkung des  Betretens öffentlicher Orte durch § 1 und § 11 der Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 und COVID-19 in Brandenburg (SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung - SARS-CoV-2-EindV) vom 22. März 2020 bei summarischer Prüfung mit höherrangigem Recht für vereinbar erachtet.

Insbesondere sehe § 11 Abs. 4 S. 1 SARS-CoV-2-EindV ausdrücklich vor, dass bei Inanspruchnahme der in Abs. 3 genannten Ausnahmen der Aufenthalt im öffentlichen Raum alleine, mit einer weiteren nicht im Haushalt lebenden Person oder im Kreis der Angehörigen des eigenen Haushalts gestattet sei. Die in § 11 Abs. 3 Nr. 2 SARS-CoV-2-EindV unmittelbar geregelten und keiner behördlichen Entscheidung bedürfenden Ausnahmen ermöglichen das Betreten öffentlicher Orte, sofern dafür ein triftiger Grund bestehe. Abgesehen davon, dass der in der Vorschrift geregelte Katalog von Ausnahmetatbeständen angesichts des mit der Verordnung verfolgten Zwecks, die besonders hochwertigen Rechtsgüter Leben und Gesundheit zu schützen, restriktiv auszulegen sein dürfte, ermögliche die Vorschrift, wie der Terminus "insbesondere" zeige, auch atypische, aber in gleicher Weise triftige Gründe zu erfassen."

Rechtswegstreit um beschränkten Zugang zum Rechtsanwalt

Der Berliner Migrationsrechtler Dr. Matthias Lehnert wollte mit seinem Normenkontrollantrag beim OVG Berlin-Brandenburg die Corona-Beschränkung, nach der Berliner ihre Wohnung für eine persönliche Vorsprache beim Anwalt nur dann verlassen dürfen, wenn sie einen "dringend erforderlichen Termin" nachweisen, vorläufig außer Kraft setzen lassen. Nachdem der Antrag als unzulässig abgewiesen worden ist, zielt sein Antrag beim VG Berlin nunmehr auf vorläufige Feststellung, dass die Regelung in der Berliner Verordnung unwirksam ist, verbunden mit dem Antrag, der Stadt Berlin aufzugeben, einen entsprechenden Beschluss öffentlich bekannt zu machen.

EJDM u. a: Covid-19 - Keine Zeit zu verlieren ! – Warum inhaftierte Anwält*innen sofort freigelassen werden müssen

In einer gemeinsamen Erklärung fordern die Europäische Vereinigung von Juristinnen und Juristen für Demokratie und Menschenrechte in der Welt, die Day of the Endangered Lawyer Foundation und die Europäischen Demokratischen Anwält*innen die sofortige Freilassung von Anwäl*innen in der Türkei.

Derzeit sind 7 Anwält*innendes ÇHD in Haft (Selçuk Kozağaçlı, Behiç Aşçı, Engin Gökoğlu, Aytaç Ünsal, Aycan Çiçek, Barkın Timtik, Oya Aslan, Ebru Timtik; Sulçuk Kozağaçlı ist der Präsident des ÇHD, ein Menschenrechtsanwalt, der mehrere Menschenrechtspreise erhalten hat, darunter den Hans-Litten-Preis der Vereinigung Demokratischer Jurist*innen (VDJ). Weitere3 Anwält*innengehören der AnwaltsorganisationÖHD an, Doğukan Ünlü, Halil İbrahim Vargül, Semra Özbingöl Çelik.

Zu berücksichtigen ist insbesondere, dass die betroffenen Anwält*innen noch nicht rechtskräftig verurteilt worden sind und gegen ihre Verurteilung Berufung eingelegt haben. Solange das Verfahren läuft, dürfen sie nicht so behandelt werden, als sei ihre Schuld endgültig festgestellt worden. Unter diesen Umständen ist die sofortige Freilassung der inhaftierten Anwält*innen für die Regierung zwingend geboten, wenn sie nicht für schwere Gesundheitsschäden oder gar den Tod der Inhaftierten verantwortlich sein will.

Pandemiegesetzentwurf NRW überwiegend verfassungswidrig

Die Experten in der Anhörung zum Regierungsentwurf für ein "Gesetz zur konsequenten und solidarischen Bewältigung der COVID-19-Pandemie in Nordrhein-Westfalen und zur Anpassung des Landesrechts im Hinblick auf die Auswirkungen einer Pandemie" am 06.04.2020 im Landtag NRW, an der neben Rechtswissenschaftler*innen auch Vertreter*innen von Ärztevereinigungen, Heil-und Pflegeberufen, kommunale Verbände, Gewerkschaften und andere teilgenommen haben, bewerteten die weitreichenden Grundrechtsentschränkungen, Verkürzungen der Parlamentsrechte und insbesondere die Zwangsverpflichtungen von Ärzteschaft und Pflegepersonal zum Arbeitseinsatz überwiegend als verfassungswidrig.

Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes: Griechenlands Abschottungspraxis verstößt gegen Völkerrecht

Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages kommt in einer Ausarbeitung vom 31.03.2020 zu "Push-Backs“ an der türkisch-griechischen Grenze im Lichte des Völkerrechts" zu dem Ergebnis, dass die aktuelle Abschottungspraxis Griechenlands nicht vereinbar ist mit dem Völkerrecht. Das betrifft sowohl die hermetische und auch sehr gewaltsame Abschottung gegenüber Schutzsuchenden, die keine Chance erhielten, ein Asylgesuch geltend zu machen, als auch die Aussetzung des Asylrechts und die - inzwischen offenbar zurückgenommene - Ankündigung, nach dem 1.3. eingereiste Schutzsuchende ohne individuelle Asylprüfung in ihre Herkunftsländer oder in Transitstaaten abschieben zu wollen.

Lesenswertes: "Gemeinnützigkeit - kein Gnadenakt des Finanzamtes"

Andreas Fisahn (Hochschullehrer an der Universität Bielefeld) und Thomas Schmidt (Rechtsanwalt in Düsseldorf) geben in ihrem jüngst erschienenen Beitrag in der Zeitschrift "Forum Wissenschaft" einen Überblick über die diversen offenen Baustellen und Auseinandersetzungsfelder rund um die Gemeinnützigkeit. Sie unterstreichen die Bedeutung zivilgesellschaftlicher Organisationen für den politischen Diskurs und fordern, den Katalog für gemeinnützige Zwecke zu erweitern und gerade das Betätigungsfeld der politischen Bildung nicht auf Neutralität und Objektivität zu verengen.

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